Fußball Mit High Tech zum EM-Sieg?

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Fußball-Spielanalyse mit Hilfe eines Analysesystems Quelle: WirtschaftsWoche

Am Ende macht den Reiz des Fußballs das Unkalkulierbare aus: Flugbahn, spontane Einfälle und Finessen, Improvisation. Jeder Trainer möchte das Unberechenbare mithilfe immer genauerer Spielanalysen jedoch möglichst begrenzen. Dabei sind englische Mannschaften laut Urlbauer schon weiter: „In der Premier League nutzen schon 15 Teams Spielanalysesysteme, in der Bundesliga sind es erst vier.“

Das führt zu der delikaten Frage nach den Defiziten des deutschen Bundesliga-Fußballs im internationalen Vergleich. Urlbauers Laptop birgt dazu jede Menge Beweismaterial. Der Vorsprung anderer Ligen ist messbar. „Frankreich und England sind bei den physischen Komponenten derzeit vorne“, sagt Urlbauer. Vereinfacht heißt das, dass in der Premier League schneller gespielt und mehr gelaufen wird. Spieler italienischer und spanischer Klubs sind ballsicherer, spielen weniger Fehlpässe und liegen im Zweikampfverhalten vorn.

Unterschiede lassen sich mit Urlbauers Zahlen schon beim Torwart aufzeigen: Mitspielende Torhüter wie Manchesters Edwin van der Sar, aber auch der junge Leverkusener Torhüter René Adler und der deutsche Nationalmannschaftstorhüter Jens Lehmann bringen es auf eine Laufstrecke von bis zu 6,5 Kilometer pro Spiel. Torhüter wie der gerade abgetretene Oliver Kahn, die ihre Stärken eher auf der Linie haben, kommen auf knapp fünf Kilometer.

Die weitesten Wege im Spiel legen Mittelfeldspieler wie Michael Ballack, Franck Ribéry und Außenverteidiger vom Schlage eines Philipp Lahm (Bayern München) zurück. Sie laufen mehr als zwölf Kilometer pro Spiel. Ein wahres Laufwunder ist Mathieu Flamini von Arsenal London, der mit einem Spitzenwert von 14 Kilometern den europäischen Rekord innehat.

Doch Laufen alleine ist kein Garant für Tore. Entscheidend ist die sogenannte qualitative Laufleistung: Erobert ein Abwehrspieler den Ball, haben alle europäischen Spitzenteams Supersprinter wie Ronaldo oder Didier Drogba (Chelsea) in ihren Reihen, die ihre Gegenspieler mit Sprints abhängen. Ronaldo wurde mit 33,6 Stundenkilometern (ohne Ball) gemessen, sein Teamkollege Wayne Rooney steht ihm mit 31,3 Kilometern pro Stunde kaum nach. Viel schneller sind auch 100-Meter-Läufer nicht. Bei einem Konter können solche Vollgasspieler in weniger als fünf Sekunden nach dem Ballgewinn zum Torerfolg kommen.

Indiz zum Erfolg: Ballbesitz-Zeiten

In der Bundesliga sind solche explosiven Antritte mit Ausnahme des Bayern-Franzosen Ribéry eher selten. Er spurtet mit sagenhaften elf Metern pro Sekunde los – die Norm liegt bei acht Meter.

Neben der Schnelligkeit messen Urlbauers Sensoren auch das Spiel ohne Ball. Pro Begegnung laufen die Profis der englischen Premier League 10,4 Kilometer, die der deutschen Liga 400 Meter weniger. Auch südeuropäische Top-Mannschaften wie der AC Mailand oder Real Madrid gehen weitere Wege als deutsche – auch wenn der Eindruck am Bildschirm oft ein anderer ist. Spitzenstürmer der Champions League haben nach dem Abpfiff bis zu 15 Sprints mehr in den Beinen als ein Durchschnittsangreifer. Genau darauf spielt Bundestrainer Jogi Löw an, wenn er von Klose, Podolski oder Gomez bei der Europameisterschaft 2008 „Ballfordern in höchstem Tempo“ verlangt.

Ein wichtiges Indiz auf dem Weg zum Torerfolg sind die Ballbesitz-Zeiten. Wie lange hält der Spieler den Ball und wie schnell spielt er ihn weiter? Spieler der Top-Teams von Manchester oder Real Madrid passen den Ball im Durchschnitt nach 0,8 bis 1,6 Sekunden weiter. Bundesliga-Kicker brauchen im Schnitt 2 bis 2,5 Sekunden. Könner wie Ribéry, Ballack, Michael Essien (Chelsea), Andres Iniesta (Barcelona) oder Flamini spielen jeden zweiten Ball direkt weiter – und das mit einer Erfolgsquote von 85 Prozent. Bundestrainer Löw weiß um die Bedeutung: „Ist der erste Pass falsch, ist das Spiel tot.“

Die Ball-Eroberer sind bei Manchester nur zwischen 0,5 und 0,8 Sekunden am Ball, die Kreativen im Mittelfeld hingegen 1,6 bis 2,0 Sekunden. Alles dient bei Manchester nur einem Ziel: Tempo machen. „Die englische Premier League spielt um rund zehn Prozent schneller als die Bundesliga“, sagt Urlbauer. Sicher ein Grund dafür, dass deutsche Teams in der Champions League und im UEFA-Pokal oft früh ausscheiden.

Eher selten wird eine andere Analyse nachgefragt. Spielt ein Team unerklärlich schwach, lässt sich über Abspielverhalten und Laufleistung zeigen, ob die Mannschaft absichtlich schlecht gespielt hat. Zum Beispiel, um den Trainer loszuwerden.

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