Wer mit dem geübten Auge des Fotografen durch die Stadt läuft, sieht ständig neue Motive. Der farbenfrohe Obststand auf dem Wochenmarkt, das Pärchen, das im Straßencafé die Frühlingssonne genießt, der Mann mit den Jonglierbällen im Park oder die Katze auf der Fensterbank. Nur dumm, wenn man seine Kamera nicht dabei hat. Die klobige Spiegelreflexkamera schleppt eben auch der geneigte Hobby-Fotograf nicht jedes Mal beim Verlassen des Hauses mit. Und die kompakte Urlaubskamera wäre zwar schön klein, ist aber für einen ambitionierten Fotografen doch nicht das Richtige. Eine kompakte Kamera mit der Bildqualität und der Bedienung einer ausgewachsenen Spiegelreflexkamera ist daher der Traum vieler Fotografen.
Das ist wohl der Hauptgrund, warum Panasonics 2008 vorgestellte Lumix DMC-G1 als echte Sensation galt. Die G1 sah einer Spiegelreflexkamera sehr ähnlich, hatte alle Einstellmöglichkeiten einer Spiegelreflexkamera und beherrschte den Objektivwechsel wie eine Spiegelreflexkamera. Doch sie hatte keinen Spiegel mehr. Durch den Wegfall des Spiegels wurde auch der Glaskörper überflüssig, der das Licht in den Sucher leitet. So konnte das Gehäuse wesentlich kompakter ausfallen. Zudem entfiel beim Auslösen das störende Geräusch des Spiegelschlags.
Eine kompakte Immer-dabei-Kamera mit Wechselobjektiven und Einstellmöglichkeiten wie bei einer SLR – Hobbyfotografen waren begeistert.
Nach Panasonic brachte auch Olympus 2009 mit der PEN E-P1 eine Systemkamera auf den Markt. Dann folgten Sony, Samsung, Nikon und andere. Heute haben mit Ausnahme von Rollei, Praktica und Casio alle Hersteller mindestens eine Systemkamera im Sortiment.
Absatz der Systemkameras steigt, Kompaktkameras stagnieren
Die neue Digicam-Klasse ist auch im Handel ein Renner. Während der Absatz der preisgünstigen Kompaktkameras unter dem Boom bei Smartphones mit Fotofunktion leidet, verschiebt sich die Nachfrage in Richtung der hochwertigen Kameras. Laut einer GFK-Studie haben Systemkameras 2012 international ein Wachstum von 50 Prozent verzeichnet.
Stirbt die Spiegelreflexkamera aus?
Auch hierzulande verkaufen sich die Systemkameras gut. Nach Angaben des Photoindustrie-Verbands wurden 2012 in Deutschland insgesamt 200.000 Systemkameras verkauft. 2011 waren es noch 130.000 gewesen. Ebenso deutlich stieg auch der Verkauf von Wechselobjektiven und Zubehör: von 1,64 Millionen Stück 2011 auf 1,85 Millionen 2012.
Manche Fotoexperten sagen schon das Ende der Spiegelreflexkamera voraus. Doch davon kann keine Rede sein. 2012 gingen in Deutschland noch mehr als eine Million SLRs über den Ladentisch. Die Systemkameras sind eine Alternative oder eine Ergänzung zur SLR, haben aber auch gewisse Nachteile, die man bei der Kaufentscheidung bedenken sollte.
Die Krux mit dem Sensor
Ein Dreh- und Angelpunkt bei der Kaufentscheidung ist der Bildsensor. Der muss wegen des kleinen Kameragehäuses logischerweise auch kleiner bemessen sein. Die Abmessungen reichen von 1/2,3 Zoll (5,6 x 4,2 mm) bei der Pentax Q 10 über 17,3 x 13 mm beim Micro-Four-Thirds-Standard bis hin zum APS-C-Sensor mit 23,5 x 15,6 mm. Einen Vollformatsensor (36 x 24 mm) wie bei hochwertigen SLR-Kameras gibt es bei den Systemkameras noch nicht. Eine Ausnahme bildet die Leica M9, die aber als Messsucherkamera ein anderes Konzept verfolgt und auch vom Preis her (circa 5.500 Euro ohne Objektiv) in einer eigenen Liga spielt.
Die Super-Kompakten
Ein kleiner Sensor bringt aber gewisse Einbußen bei der Bildqualität mit sich. Da die einzelnen Pixel weniger Fläche haben, ist die Lichtausbeute geringer und die Bilder neigen zum Rauschen. Das lässt sich in der Kameraelektronik aber weitgehend wegfiltern. Die Sache mit der Bildqualität kann man also recht entspannt sehen. Solange man keine Landschaftsaufnahmen für großformatige Kalender macht oder Fotos im Posterformat produzieren will, ist die Bildqualität meistens völlig ausreichend.
Schwieriger wird das schon bei der Tiefenschärfe. Für viele Motive ist es sinnvoll, den Hintergrund unscharf zu lassen, damit das eigentliche Motiv besser zur Geltung kommt. Doch je kleiner der Sensor, desto größer die Tiefenschärfe; im schlimmsten Fall ist dann auf dem Foto von vorne bis hinten alles scharf. Die Tiefenschärfe hängt natürlich auch von der Brennweite der Optik und der vorgewählten Blende ab, doch ein kleiner Sensor lässt in jedem Fall weniger Gestaltungsspielraum bei der Tiefenschärfe. Besonders bei Porträts ist eine geringe Tiefenschärfe erwünscht. Man kann den Hintergrund natürlich auch mit der Bildbearbeitung am PC unscharf machen, doch das dauert lang und ist mühsam, wenn es gut aussehen soll. Versierte Fotografen setzen deshalb schon beim Fotoshooting auf das Gestaltungsmittel Tiefenschärfe. Deshalb gilt: Ein größerer Sensor ist besser.
Die Grundentscheidung: Immer-dabei oder Profi-Qualität
Wer sich eine Systemkamera anschafft, sucht in der Regel eine kompakte Immer-dabei-Kamera. Dabei sind kleine Kompromisse bei Bedienkomfort, Tiefenschärfe-Spielraum und Bildqualität unvermeidlich. Nicht so schlimm, wenn man dadurch kein Motiv mehr verpasst. Ideal für diesen Zweck wäre ein Modell wie die Pentax Q10 in Kombination mit einer Festbrennweite. Ohne ein ausladendes Zoomobjektiv ist die Q10 verblüffend klein, bietet aber alle Einstellmöglichkeiten einer SLR und ein durchdachtes Bedienkonzept.
Vorteile der großen Kameras
Wer Wert auf Tiefenschärfe-Spielraum, exzellente Bildqualität und bequeme Handhabung legt, muss zu einem etwas größeren Modell greifen, am besten gleich mit dem großen APS-C-Sensor. Eine Option wären beispielsweise Sonys Nex-Serie oder auch Fujifilms X-Familie.
Ambitionierte Fotografen werden sich wohl eher für die größere Kamera entscheiden. Sie ist der ideale Kompromiss zwischen Nie-dabei und Immer-dabei. Daneben bietet sie auch jenseits von Leistungsdaten und Bildqualität einen wichtigen Vorteil. Das größere Gehäuse ist einfach griffiger. Kein Gefummel auf kleinstem Raum mit Knöpfchen, Drehrädchen und Schaltern, sondern bequeme und intuitive Bedienung - das sind unschätzbare Vorzüge im Schnappschuss-Alltag.
Sucher und schwenkbares Display
Ein weiterer Punkt, auf den es zu achten gilt, ist der Sucher. Viele Systemkameras verzichten auf einen optischen oder elektronischen Sucher. Bei den Consumer-Digicams findet man ohnehin kaum noch Geräte mit Sucher. Der Fotograf ist dann auf das Display angewiesen. Doch gerade an sehr hellen Tagen ist auf dem Display oft wenig zu erkennen, es sei denn, man regelt die Helligkeit hoch und erhöht damit auch den Stromverbrauch. Und wer beispielsweise bei einer Theateraufführung Fotos machen will, stört mit dem leuchtenden Display die Zuschauer in der hinteren Reihe. Deshalb ist eine Digicam mit Sucher vorzuziehen.
Abgesehen davon sollte man Kameras in die engere Wahl ziehen, die ein schwenk- und neigbares Display haben. Kein Gimmick, sondern enorm praktisch bei Aufnahmen Über-Kopf oder tief am Boden.
Objektivsortiment vorher prüfen
Wer eine Systemkamera kauft, entscheidet sich nicht für eine Kamera, sondern für ein ganzes System, zu dem auch Zubehör und vor allem Objektive gehören. Alle Hersteller, auch diejenigen, die wie Sony oder Panasonic nicht seit Jahrzehnten als traditionelle Kamerahersteller gelten, stellen für ihre Systemkameras zumindest ein kleines aber feines Angebot an hochwertigen Optiken bereit. Zusätzlich kann man bei Canon, Olympus, Pentax, Sony und Nikon die SLR-Objektive über einen Bajonett-Adapter anschließen. Wer sich für ein Modell von Panasonic oder Olympus entscheidet, kann in der Regel die Objektive beider Hersteller nutzen, da diese aufgrund des gemeinsamen Micro-Four-Thirds-Standards kompatible Bajonett-Anschlüsse haben. Die Kameras von Fujifilms X-Serie wiederum verstehen sich auch mit Leica-Optiken.
Ein Vorteil kompatibler Bajonette zeigt sich besonders dann, wenn die Digicam selbst einmal kaputt gehen sollte. In diesem Fall passen die Optiken auch an eine andere Kamera und können weiter benutzt werden.
Ein Blick vor dem Kauf auf die jeweilige Objektivpalette lohnt, wenn man beim Fotografieren besondere Vorlieben hat. Wer gerne Sportveranstaltungen oder Tiere fotografiert, benötigt ein starkes Teleobjektiv mit schnellem und lautlosem Fokusmotor. Schnappschuss-Spezialisten und "Straßenfotografen" nehmen gerne eine lichtstarke Festbrennweite. Für Porträts sind Optiken mit leichtem Tele ideal. Im Einzelfall kann ein bestimmtes Objektiv sogar über die Wahl der Kamera entscheiden.
Technische Spitzenklasse hat seinen Preis
Helmkameras für Piste und Pulver
Apropos lichtstarke Festbrennweite. Das technische Meisterwerk in dieser Kategorie ist Leicas Noctilux-M 1:0,95/50 mm ASPH. Bei der sagenhaften Lichtstärke von 1:0,95 sind auch Aufnahmen bei Kerzenlicht kein Problem mehr - vorausgesetzt, man hat 9.000 Euro zur Hand.
Schneller Fokus und Serienbilder
Drückt man einem Profifotografen eine neue Kamera zum Ausprobieren in die Hand, so geschieht Folgendes. Er schaltet die Kamera ein, richtet sie auf ein beliebiges Motiv und drückt auf den Auslöser. Er testet damit die Auslöseverzögerung, also wie lange die Kamera braucht, um die Belichtung zu messen, scharfzustellen und das Foto zu machen. Gute Kameras haben das auch bei schwachen Lichtverhältnissen schnell erledigt. Eine Systemkamera, deren Fokus bei Dämmerlicht verrückt spielt oder mit bewegten Objekten nicht klar kommt, macht keinen Spaß. Deshalb gehören Auslöseverzögerung und Fokus zu den grundlegenden Kriterien beim Kauf. Hier gilt die Empfehlung, Testberichte in der Fachpresse zu studieren und, wenn möglich, die Kamera im Laden ausgiebig auszuprobieren.
Auch bei der Serienbild-Funktion zeigen sich deutliche Unterschiede. Mindestens fünf Bilder pro Sekunde sollte eine spiegellose Kompaktkamera schon schaffen. Bessere Modelle knipsen zehn Mal pro Sekunde. Der Meister in dieser Disziplin ist Nikons 1 V 2. Die Kamera schafft bis zu 60 Bilder pro Sekunde, allerdings ohne dazwischen neu zu fokussieren.
Wer mit seiner Systemkamera gleichzeitig Videos drehen will, für den ist Panasonics Lumix DMC-GH3 ein heißer Kandidat. Ihre Videofunktion wird von Hobbyfilmern und in der Fachpresse hoch gelobt. Mit 1.200 Euro ohne Objektiv ist die Panasonic nicht gerade billig, aber wenn die GH3 den Kauf eines Camcorders überflüssig macht, relativiert sich der hohe Preis wieder.
Richtig billig ist übrigens keine der Systemkameras. Ausgeklügelte Technik und das breite Zubehörsortiment haben eben ihren Preis. Wer aber das nötige Kleingeld zusammengespart und die genannten Punkte auf der Checkliste bedacht hat, kann guten Gewissens zum Kauf schreiten. Eine gute Systemkamera ist in der Bildqualität einer Einsteiger-SLR ebenbürtig und als Immer-dabei-Kamera eine ideale Ergänzung zu dieser.
Dann stehen auch die Chancen gut, dass man beim nächsten Stadtbummel kein Motiv mehr verpasst.