Ich bin, auch wenn es um mein Arbeits-Handy geht, eine treue Seele. Und zumindest letzteres unter durchaus widrigen Bedingungen. Denn obwohl Monat für Monat die neuesten Smartphones über meinen Schreibtisch und durch meine Hände gehen, ist mein persönliches Telefon noch immer ein vergleichsweise angejahrter Palm Pre 3. Er ist eines der letzten Geräte aus der von Hewlett Packard ebenso stümperhaft wie halbherzig auf den Markt gebrachten Smartphones, deren WebOS-Betriebssystem für seine Eleganz und intuitive Bedienung hoch gelobt aber kaum gekauft wurde. Für mich ist er dennoch seit Jahren die perfekte Kombination aus Finger- und Tastaturbedienung.
Vor allem letztere ist, wenn es um hohe Produktivität beim Bearbeiten von E-Mails oder gar um das Verfassen von Texten geht, durch keine virtuelle Bildschirmtastatur ersetzbar. Das zeigt mir jeder neue Test reiner Touchscreen-Riesen à la Samsung Galaxy S4, HTC One oder auch iPhone 5. Entsprechend gespannt war ich auf den Q10, Blackberrys zweites neues Smartphone mit dem neuen BB10-Betriebssystem. Denn nach dem Z10 (das ausschließlich über das berührungsempfindliche Display bedient wird) kommt der Q10 nun wieder wie ein echter Blackberry daher – nämlich mit einer kompletten Tastatur.
In einer längst von reinen Touch-Handys dominierten Smartphone-Welt ist das mutig – und dennoch konsequent. Denn wenn die Kanadier eine Überlebenschance haben wollen, dann müssen sie den Tastaturfans in ihrer noch immer bemerkenswert loyalen Nutzerbasis endlich ein zeitgemäßes Smartphone bieten. Und vielleicht gewinnen sie mit dem Q10 auch noch ein paar versprengte Tasten-Junkies wie mich für ihre Plattform. Der Vorgänger Blackberry Bold 9900 und sein Betriebssystem BB7.1 jedenfalls sind inzwischen technisch komplett veraltet.
Und tatsächlich erweist sich der ohne Vertrag im Netz für rund 590 Euro gehandelte Q10 (abgesehen von der heute außergewöhnlichen Bauform) als absolut zeitgemäß ausgerüstetes Gerät. Wie in seinem Schwestermodell Z10 arbeitet darin ein 1,5 GHz schneller Qualcomm-Prozessor. Der schnellste aktuelle Mobilfunkstandard LTE (und zwar – anders als beim iPhone – für alle deutschen Netze) ist ebenso an Bord wie Funkchips für WLAN, Bluetooth und den Kurzstreckenfunk NFC. Der eingebaute Programmspeicher von 16 Gigabyte lässt sich über einen Steckplatz für Mikro-SD-Karten problemlos um 32 Gigabyte erweitern. Die eingebaute 8-Megapixel-Kamera liefert sehr ansehnliche und scharfe Bilder und das, dank rückseitenbelichtetem Sensor sogar noch bei schlechteren Lichtverhältnissen. Und auch die Bildschirmdarstellung ist – zumindest bei der Pixeldichte von 330dpi – über alle Zweifel erhaben.
Manko: Q10 hat nur ein Mini-Display
Was den Q10 allerdings in Zeiten von Full-HD-Handys vergleichsweise alt aussehen lässt, ist sein - zumindest im Vergleich mit dem aktuellen Standard - atypisch kleines Display von nur 720 x 720 Bildpunkten. Kommt der Z10 mit 4,2-Zoll (und 1280 × 768 Pixeln) verglichen mit Apples iPhones und der Android-Armada konkurrenzfähig daher, so wirkt der quadratische 3,1-Zoll-Bildschirm des Q10 beinahe winzig und (freundlich formuliert) gewöhnungsbedürftig. Das ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sich Bildschirm und Tasten die Frontfläche teilen müssen. Es ist auch Folge der klaren Designentscheidung, das Gerät kompakter zu bauen als viele der aktuellen Top-Telefone mit ihren Großbildschirmen. Mit knapp 12 Zentimetern Höhe und unter 6,7 Zentimetern Breite ist es jedenfalls merklich taschentauglicher als die erste Garde der Touch-Telefone.
Die sieben Smartphone-Sünden
Gemeint ist die übertriebene Lust am Schnäppchen mittels App. Viele gehen zwar zum Aussuchen oder Anprobieren von Klamotten ins Geschäft, bestellen dann aber lieber günstiger im Internet. Mancher macht noch im Geschäft mit Barcode-Scanner den Preisvergleich. Wenn das alle machen, gibt es bald kein Shoppen und Bummeln mehr, sondern nur noch Online-Handel und Postdienste. Die Geiz-ist-geil-Mentalität lässt Innenstädte und Einkaufszentren zur Kapitalismuskulisse werden. Der geschniegelte Verkäufer zeigt einem alles in schicker Atmosphäre und der Schichtarbeiter packt es dann in trostloser Umgebung in Kartons.
Gemeint ist der vom Smartphone verstärkte Übermut gegenüber alter Technik. Vor allem das Festnetz scheint kulturell abgemeldet zu sein. Ruft ja sowieso nur noch Mama drauf an. Oder nervige Werbefirmen. Stört mit seinem lauten Klingeln in ruhigen Minuten, erschreckt beim Chatten oder SMS-Tippen. Die Ära des Festnetzes war die Zeit, als man Telefonnummern noch auswendig kannte. Heute gibt man neuen Bekanntschaften sein Facebook-Profil. Die Festnetznummer aufzuschreiben gilt als old school. Doch in Zeiten des Festnetzes lief man wenigstens nicht Gefahr, überfahren zu werden, weil man mit starrem Blick aufs Handy über die Straße lief.
Gemeint ist die Reaktion auf die vielen abrufbaren Neuigkeiten aus dem Freundeskreis. Soziale Netzwerke wie Facebook verstärken das Nicht-Gönnen-Können. Das sagen zumindest Forscher der Technischen Universität Darmstadt und der Humboldt-Universität Berlin. Schuld sind die fast durchweg positiven Nachrichten, die die „Freunde“ posten. Urlaubsbilder, berufliche Erfolge, Fotos vom Essen. Um negative Gefühle wettzumachen, wird mit eigenen Erfolgsgeschichten reagiert - so dreht sich die „Neidspirale“ weiter. Ein Teufelskreis.
Gemeint ist die Bequemlichkeit und Faulheit, sich nichts mehr merken zu müssen, weil man ja den leistungsstarken Taschencomputer immer bei sich trägt. In Gesprächen wird einfach gegoogelt, wenn keiner weiter weiß. Heute kann man auch einfach losfahren oder laufen, ohne zu planen. Geht ja alles bestens unterwegs. Fahrpläne, Stadtpläne, E-Mails - alles ist bei Bedarf verfügbar. Verabredungen sind nur noch grob nötig. Wir finden uns dann schon, rufen einfach an, schreiben kurz eine Message. Das ist einerseits alles ganz wunderbar, andererseits ersetzt Verpeiltheit zunehmend die gute alte Verlässlichkeit.
Gemeint ist die Maßlosigkeit bei der Benutzung all der schönen Smartphone-Anwendungen. Viele bekommen den Hals nicht voll, seien es Computerspiele, Chats oder tatsächlich Telefonate, die gerne laut und störend in der Bahn, im Restaurant, im Supermarkt oder auf der Straße geführt werden. Mit dem Alleskönner in der Tasche kann man in sozialen Netzwerken auch immer sofort kommentieren - oft leider unüberlegt und fies. Im Internet surfen kann man sowieso. Hauptsache, niemals einfach mal die Klappe halten oder die Hände still halten.
Gemeint ist die grenzenlose Sammelwut neuer Reize mit dem Smartphone. Das Internet scheint manchmal nur für Sex und Porno erfunden worden zu sein. Doch die sinnliche Begierde schlägt auch in anderen Bereichen zu. Früher gab es das Klischee vom Japaner, der seinen Urlaub nur durch die Kamera sieht und die Ferien erst zu Hause mit Hilfe von Filmen und Fotos „erlebt“. Heute ist das ein Massenphänomen. Was nicht aufgezeichnet wurde, scheint nie passiert zu sein. Bei Popkonzerten zum Beispiel hat kaum noch jemand die Hände frei zum Klatschen. Leuchtende Displays überall. Die Musiker auf der Bühne schauen statt auf ein Meer von Feuerzeugen auf ein Feld von Handys. Wer schaut sich das Gesammelte überhaupt an?
Gemeint ist die provozierte Wut, wenn man sein Handy wichtiger nimmt als Menschen, die gerade bei einem sind. Wer in einem persönlichen Gespräch immer aufs Smartphone linst und damit signalisiert, dass er in Gedanken ganz woanders ist, kann bei seinem Gegenüber Zorn erzeugen. Das Schlimme am Smartphone ist die Vergrößerung der Welt. Die Technik erlaubt jedem, viel mehr von den parallelen Ereignissen mitzubekommen und danach süchtig zu werden. Viele verfallen der grotesken Angst, ständig etwas zu verpassen. Selbst beim Ausgehen in Bars oder Restaurants sieht man immer öfter Menschengruppen ins Smartphone statt ins Gespräch vertieft.
Wer indes Wert auf eine opulente Optik legt (und mithin auf MegaPhones wie Samsungs Note abfährt), das ist ganz klar, der wird mit dem neuen Blackberry nicht mehr glücklich – selbst wenn dessen OLED-Display wirklich ansehnliche, farbstarke Bilder liefert und selbst kleinste Schriften in Texten oder die Inhalte auf Webseiten noch knackscharf anzeigt. Nur, wirklich geräumig ist der Bildschirm nicht, scrollen auf Webseiten oder in längeren Nachrichten ist Pflicht. Dass der Browser des Q10 dabei zu den schnellsten seiner Art gehört und Web-Inhalte wahlweise für die mobile Darstellung optimiert oder im Desktop-Layout darstellt, ist zwar sehr erfreulich – aber eben auch nur ein schwacher Trost fürs eingeschränkte Bildformat.
Es ist der notwendige Kompromiss, den eingehen muss, wer - wie ich - viel und schnell mit seinem Smartphone Texte schreiben oder Nachrichten kommentieren will. Denn was die Kanadier an Tastatur in ihr neues Smartphone gepackt haben, gehört weiterhin zum Besten, was an Mini-Keyboards in der Telefonwelt zu haben ist: Mit dem charakteristischen Knick versehen, liegen die Tasten eindeutig und sicher unterm Finger, ihr klarer Druckpunkt macht das Tippen zur Freude. Da kann keine Bildschirmtastatur mithalten.
Zumal die kanadischen Entwickler viel Gehirnschmalz in einer möglichst smarte Verbindung von Tasten- und Bildschirmsteuerung investiert haben. So besitzt der Q10 ebenfalls eine sehr smarte Wortergänzung, die es beim Tippen in vielen Fällen ermöglicht, nur die ersten Buchstaben eines Wortes einzugeben und dann durch eine kurze Berührung des Displays das passende Wort in den Text zu übernehmen.
Gerät lernt praktische Wortvorschläge
Und weil offenbar auch ein paar Linguisten mit von der Partie waren, folgen auf die Wortauswahl gleich noch ein paar Vorschläge, welcher Begriff sinnvoll folgen könnte. Wer etwa „schnelle“ tippt, bekommt Begriffe wie „Antwort“ oder „Reaktion“ angezeigt und kann die ohne weitere Tastatureingabe direkt übernehmen. Das funktioniert nicht immer, aber – im wahrsten Wortsinn – immer öfter. Denn der Q10 lernt, welche Begriffsfolgen sein Benutzer öfter verwendet und passt seine Wortvorschläge an das Nutzerverhalten an. Genauso wie er Worte auch aus den eingehenden Nachrichten in seinen Wortschatz übernehmen kann, selbst wenn die ab Werk dort noch gar nicht eingespeichert waren. Im Laufe des Gebrauchs wir die Qualität der Wortvorschläge damit immer besser – und das Smartphone zur immer persönlicheren Schreib-Maschine.
Dazu trägt auch bei, dass es den Blackberry-Entwicklern gelungen ist, dem neuen Betriebssystem viel von der Intuitivität der Bedienung beizubringen, die der Plattform in der Vergangenheit verglichen mit iOS und Android fehlte. Bei BB10 stand erkennbar die Bedienlogik von Palms WebOS Pate: So reicht es nun beispielsweise auch beim Q10, einfach los zu tippen und mit einem Kurzbefehl gewünschte Aktionen auszulösen. Den Aufruf der zugehörigen App kann man sich dann schenken. Wer etwa das Wort „Tweet“ und dann einen kurzen Text eingibt, der muss nur noch die Eingabetaste drücken, und das Statusupdate ist verschickt. Bei Blackberry heißt die Funktion „Instant Actions“ – und sie ermöglicht es beispielsweise auch, ohne großen Aufwand E-Mails zu verfassen, Anrufe zu initiieren oder eine Suche im Web zu starten.
Für den Wechsel zwischen den Apps wiederum reichen ein paar flüssige Daumenbewegungen über den Schirm. Ein leichtes Wischen übers Display ermöglicht, ganz Business-Tool, aus jeder Anwendung den schnellen Blick in den Blackberry Hub genannten universellen Posteingang. Er führt, frei konfigurierbar, alle privaten und beruflichen Nachrichtenquellen sowie die Kurzmeldungen aus sozialen Netzwerken an einer zentralen Stelle zusammen. Und auch dort reichen wenige Fingergesten, um Nachrichten zu sichten, verschieben oder zu löschen. Schneller, stringenter und komfortabler als mit dem Bedienkonzept des BB10-Betriebssystems ist mir das bisher noch bei keiner Konkurrenzplattform gelungen.
Bei all dem liegt die neue, knapp 140 Gramm schwere Schwarzbeere sicher in der Hand, auch dank des leicht gummiert wirkenden Ruckseitendeckels. Dessen Karbon-Optik wirkt zudem (nicht nur für Blackberry-Maßstäbe) richtig schick und auch im Concours d'élégance unter Managern wieder präsentabel.
Ein Ersatzakku bietet zusätzlichen Komfort
Wichtiger noch aber ist, was sich unter dem Deckel verbirgt: ein 2100-mAh-Akku, der selbst Vielschreiber wie mich leidlich sorgenfrei durch einen Arbeitstag begleitet - und der bei etwas zurückhaltender Nutzung auch zwei Tage lang durchhält. Einsatzzeiten von bis zu einer Woche, wie sie manch alter Blackberry zu liefern vermochte, sind mit dem Q10 allerdings nicht mehr drin. Auch das ist eine Folge der technologischen Aufrüstung bei der Funktechnik. Immerhin: Wer will, kauft sich einen Ersatzakku und tauscht den Energieträger bei Bedarf einfach aus. Von derlei Komfort können Besitzer eines iPhone oder HTC One nur träumen.
Umgekehrt, auch das sei nicht verschwiegen, träumen Besitzer eines der neuen Blackberrys bestimmt gelegentlich auch davon, einmal auf eine so umfassenden Software-Fundus zugreifen zu können, wie ihn iOS oder Android – aber auch Microsofts Windows Phone 8 – längst bieten. An deren App-Vielfalt reicht die neue BB10-Welt noch lange nicht heran. Und vermutlich wird sie es auch nicht mehr tun. Dazu haben die Kanadier in der Smartphonewelt zu viel Boden gegenüber der Konkurrenz verloren.
Andererseits ist das Software-Angebot für den Q10 und den Z10 gar nicht so mager, wie es die nicht mal sechsstellige Zahl originärer BB10-Apps befürchten ließe: Ob Dropbox-Zugriff oder Evernote-Integration, Facebook-, LinkedIn- oder FourSquare-Anbindung, Skype- oder WhatsApp-Client, ob WebEx-Zugang oder Documents-to-Go-Officepaket, Bubbles oder (unvermeidlich) Angry Birds – bis hin zur WiWo-App findet sich so manches im Blackberry World genannten App Store.
Dass Klassiker wie der Bahn-Navigator, obwohl für BB7 noch verfügbar, in einer BB10-Version noch ebenso fehlen wie etwa die App der Lufthansa, ist ein Manko. Aber ein erträgliches, denn inzwischen sind viele mobil-optimierte Webseiten nah an die Funktionalität und den Bedienkomfort speziell programmierter Smartphone-Programme herangerückt. Speziell bei der Kranich-Airline etwa ist kaum noch zu unterscheiden, ob man im Browser-Fenster für den nächsten Flug eincheckt oder in einer nativen App. Und auch das mobile Bahn-Angebot im Web macht eine eigenständige App für den Blackberry inzwischen fast überflüssig.
Für meinen alten Palm gab es die ohnehin nie, wie leider so manche andere smarte Handy-Software. Dass er Tasten und Touchbedienung so elegant verknüpfte, hat mich das lange verschmerzen lassen. Inzwischen aber hat er mit dem neuen Blackberry Q10 einen ernsthaften Konkurrenten bekommen. Er stellt – ich muss es gestehen – meine Treue zum Pre erstmals wirklich auf die Probe. Mal sehen, wie die Konkurrenz ausgeht.
Update: Der in der Ursprungsversion erwähnte Citrix-Client ist noch nicht öffentlich für das Blackberry-10-Betriebssystem freigegeben. Wann er verfügbar wird, steht noch nicht fest.