Das dritte Auge Persönliche Mini-Kameras zeichnen den Alltag auf

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Alltagsereignisse im öffentlichen Raum mit allgegenwärtigen Smartphone-Kameras festgehalten werden. Die nächste Stufe in dieser Entwicklung: am Körper getragene Mini-Kameras, die automatisiert und stetig die Umgebung ablichten.

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Es gab mal eine Zeit, als erste Mobiltelefone mit Kameras ausgerüstet wurden und man sich die Frage stellte, wie eine Gesellschaft aussehen würde, in der alle jederzeit ein Foto von einer bestimmten Situation machen und es für jeden sichtbar ins Netz laden können. Im Jahr 2012 wissen wir: im Prinzip nicht anders. Wir haben uns daran gewöhnt, dass bei auch nur annähernd dokumentierenswürdigen Ereignissen sofort zehn Passanten ihr Smartphone zücken, die Geschehnisse in Bild- und Videoform festhalten und anschließend bei Facebook, Twitter oder Instagram publizieren – nachträglich ortsbezogen auffindbar etwa bei Worldcam. Sicher, ab und an kollidiert diese neue Welt mit ethischen und moralischen Konventionen, doch grundsätzlich ist die bisherige Transformation einigermaßen problemlos über die Bühne gegangen.

Kleine Always-on-Kameras

Die nächste Phase dieser Entwicklung kündigt sich allerdings schon an – mittelfristig mit Google Glass, wobei dort noch abzuwarten bleibt, inwieweit die mit Kameras ausgestattete Cyberbrille tatsächlich wie geplant im nächsten Jahr auf den Markt kommt. Schon vor der eventuellen Einführung von Glass wird aber eine andere Produktgattung erneut Menschen dazu zwingen, ihre Vorstellungen von Privatsphäre und Anonymität in der Öffentlichkeit zu hinterfragen: am Körper getragene Always-on-Kameras im Miniformat, die als drittes Auge fungieren und permanente Schnappschüsse machen.

Eine am Körper getragene Always-on-Kameras im Miniformat: Schon vor der eventuellen Einführung von Google Glass wird dieses Gerät Menschen dazu zwingen, ihre Vorstellungen von Privatsphäre und Anonymität in der Öffentlichkeit zu hinterfragen. (Symbolbild) Quelle: dpa

t3n berichtete vor zwei Wochen über die Autographer Cam des Herstellers OMG. Dabei handelt es sich um eine Kamera, die ihr Besitzer um den Hals gehängt trägt, und die vollautomatisch Fotos schießt, sofern ihre Sensoren Veränderungen in der Umgebung feststellten, etwa einen Temperaturwandel oder eine Bewegung. Bilder werden auf einem acht Gigabyte großen Flashspeicher gelagert und können archiviert und per Smartphone-App im Social Web geteilt werden. Ab November soll das Gerät für umgerechnet rund 500 Euro in Großbritannien verkauft werden.

Mit Memoto befindet sich zudem gerade eine schwedisches Startup in den letzten Zügen, ein ähnliches Produkt zu lancieren. Das Unternehmen agiert derzeit im Stealth Modus, weshalb Details knapp sind. Was wir wissen: Auch die Nordeuropäer entwickeln eine Kamera, die stetig die Umgebung aufzeichnet. Für den 23. Oktober ist ein “Major Announcement”, also die Bekanntgabe einer signifikanten Mitteilung, geplant.

Die schönste Momente noch einmal erleben

Was Sie mit ihrem Handy lieber lassen sollten
Problemfall 1: Kurzschluss-NachrichtenWie schnell kann es gehen, dass man eine SMS, die an den Liebsten gehen soll, mal eben an den Ex-Freund verschickt? Die brisantesten Uhrzeiten für solche Fälle: der späte Abend. Die brisantesten Zustände: angetrunken. Deshalb im Notfall das Smartphone lieber nach 22 Uhr nicht mehr zur Hand nehmen. Und wenn, dann nur zum Empfangen, nicht zum Senden. Quelle: AP, Montage
Problemfall 2: Kaum noch redenKurze Frage: Wann haben Sie zuletzt mit Ihrem Smartphone - Achtung (!) - telefoniert? Genau. Viel beliebter ist es nämlich, laut einer aktuellen Studie von O2, auf dem Smartphone durchs Internet zu surfen, sich in sozialen Netzwerken herumzutreiben, Musik zu hören und zu spielen. Erst an fünfter Stelle kommt das Telefonieren. Und nun mal Hand aufs Herz: Ist es für die persönliche Kommunikation mit Freunden, Familie oder eben auch dem einen oder anderen Geschäftspartner nicht besser, einfach mal zu reden, anstatt sich kurze Nachrichten zuzuschicken und diese im schlimmsten Fall auch noch misszuverstehen. Quelle: obs
Problemfall 3: zu viele FotosEs soll ja Leute geben, die während eines Musikkonzerts nichts anderes tun, als das Smartphone für den perfekten Schnappschuss in die Höhe zu halten. Und jeder weiß, wie das abläuft: Die meisten dieser Fotos sind zu dunkel, zu weit entfernt, zu verschwommen, zu... Und ehe man sich versieht, ist das Konzert vorbei und auf die Frage "Wie war's denn?" fällt einem nix ein. Deshalb: Smartphone am besten zuhause lassen und die Musik genießen. Quelle: dapd
Problemfall 4: Handy statt LenkradNicht ohne Grund ist die Polizei sehr wachsam und streng, wenn es um das Telefonieren am Steuer geht. Doch mittlerweile wird nicht nur telefoniert, sondern auch mal eben an der Ampel die Mails gecheckt oder ein Foto bei Facebook geliked. Klingt banal, ist es aber gar nicht: Beim Laufen, insbesondere auf Straßen, ist es durchaus ratsam, die Augen nicht am Handydisplay kleben zu haben. Laternenpfähle stellen sich manchmal wirklich einfach in den Weg. Quelle: dpa
Problemfall 5: Handy auf dem TischDie typische Situation beim Business-Lunch: Die Jacken werden an der Garderobe abgegeben, Portemonnaie und Smartphone kommen mit an den Tisch - und zwar nicht etwa in die Jacke oder Handtasche. Nein, sie werden fein säuberlich neben Messer und Gabel aufgereiht. Getreu dem Motto: mein Haus, mein Auto, mein Handy. Noch schlimmer: Während des Gesprächs starrt das Gegenüber ständig auf hereinkommende Nachrichten, antwortet mal eben auf einen Tweet oder ruft den Wetterbericht ab. Geht gar nicht und das nicht nur aus Gründen des Anstands.
Problemfall 6: Unterdrückte Rufnummer Es ist nicht unbedingt gefährlich, es gehört sich schlichtweg nicht, dem Gegenüber nicht zu zeigen, wer man ist und am besten noch beleidigt zu sein, wenn kein Rückruf erfolgt. Deshalb: Es ist eine Frage des Anstands, seine Nummer anzuzeigen. Ebenso anständig ist es übrigens, dann auch wirklich zurückzurufen. Und nicht nur per SMS zu reagieren. Quelle: dpa, Montage
Problemfall 7: Klingelnde und summende TelefoneNichts ist schlimmer, als wenn im Kino ein Handy bimmelt oder während einer berührenden Szene ein Smartphone vor sich hin brummt. Gibt's tausende von Erinnerungsspots im Vorprogramm des Films, hilft oft aber immer noch nichts. Gehört sich einfach nicht. Quelle: dpa

Das Teaservideo auf der Memoto-Website zeigt verschiedene Personen, die sich zu der Frage äußern, welche Augenblicke aus der Vergangenheit sie gerne nochmals erleben möchten. Tatsächlich dürften jedem Menschen einige besonders schöne Momente des Lebens einfallen, die aufgrund ihres unerwarteten Eintreffens nicht visuell festgehalten wurden. Anbieter wie OMG und Memoto wollen uns die Chance geben, künftig auch das in Bildern dokumentiert zu haben, worauf wir uns nicht im Vorfeld durch das Bereithalten von Smartphone oder Fotoapparat einstellen können.

Die "Little-Brother-Gesellschaft"

Doch gleichzeitig erinnern sich viele unter Garantie auch an Vorfälle, bei denen sie froh waren, dass keine Linse in der Nähe war, die selbige für alle Ewigkeit festhalten konnte. Ein Zeitalter, in der Personen rund um die Uhr automatisch ihre Umgebung fotografieren, während sie sich durch die Straßen bewegen, kommt einer von der gegenseitigen Überwachung geprägten “Little-Brother-Gesellschaft” sehr nahe – besonders in Kombination mit Technologien zur Gesichtserkennung und -identifizierung.

Wie vor zehn Jahren, als sich die Allgegenwärtigkeit von Handykameras abzeichnete, lässt sich auch dieses Mal schwer vorhersagen, welche Auswirkungen dies auf unser Verhalten in der Öffentlichkeit haben könnte. Bei einem kritischen Blick ließe sich ein dramatisch zunehmender Konformitätsdruck vermuten, weil jeder permanent darauf bedacht ist, nur nicht in unvorteilhafter Weise fotografiert zu werden. Eine optimistischere Prognose wäre, dass wir uns schlicht an die allgegenwärtigen Aufnahmen gewöhnen und dass eine Inflation an im Netz abrufbarem Bildmaterial dazu führt, dass lediglich die wirklich speziellen, emotional berührenden Ereignisse überhaupt noch Aufmerksamkeit erhalten.

Es ist anzunehmen, dass automatisch fotografierende, intelligente Mini-Kameras für Empörung und Boykottaufrufe sorgen werden – speziell in Ländern wie Deutschland, wo der Schutz der Privatsphäre einen überaus hohen Stellenwert hat. Doch sollten derartige Geräte eine echte Nachfrage bedienen – was heute niemand weiß – wird ihre Verbreitung in einer globalisierten Welt nur schwer aufzuhalten sein.

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