Datenbrille Ist Google Glass am Ende?

Eigentlich hätte diesen Monat Google Glass in den Markt gehen sollen. Doch bisher deutet nichts diesen Schritt an. Woran die Datenbrille zu scheitern droht. Eine Analyse.

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Droht Googles Projekt 'Glass' zu scheitern? Quelle: AP

„OK, Glass. Wird das noch was mit dir?“ Vermutlich weiß die Datenbrille Google Glass selbst keine Antwort darauf. Doch je länger Google die Werbetrommel für seinen Minicomputer für die Nase rührt, desto stärker werden die Zweifel am Erfolg der Brille.

Seit Jahren gibt der Suchmaschinen-Konzern in detaillierten Schritten bekannt, wie sich das Gadget langsam weiter entwickelt.

Erst 2013 schickte das Unternehmen die Brille für einen stolzen Preis von 1.500 Dollar an erste Entwickler, damit die schon einmal den App-Store mit passenden Anwendungen füllen. Auf jeder Messe, jeder Tagung, jeder Veranstaltung, auf der jemand Google Glass dabei hatte, war der Saal voll besetzt. Doch je länger der Hype geschürt wird, desto zurückhaltender ist die Begeisterung für die Brille.

Eigentlich sollte Google Glass ab April auf dem Markt kommen. Google selbst kündigt das Produkt nach wie vor für „Anfang 2014“ an. Doch bisher ist kein Event in Sicht, dass eine Produkteinführung andeutet. Im Gegenteil: Die Skepsis am Erfolg der Brille wird immer lauter. Erst am Wochenende zweifelte Spiegel-Korrespondent Thomas Schulz stark an, dass aus der Datenbrille wirklich noch ein Renner wird.

Danach hassen selbst eingefleischte Techies aus dem Sillicon Valley die Brille. Wer die Brille trägt, sei als „Glasshole“ (Asshole=Arschloch) verschrien. In manchen der kalifornischen Kneipen sei das Tragen der Datenbrille bereits verboten. Selbst die Google-Mitarbeiter aus Mountain View scheinen die Brille kaum noch tragen zu wollen.

Offensichtlich stören sich also nicht nur die Deutschen an der Vorstellung, dass jemand eine Kamera im Gesicht trägt und damit etliche Datenschutzfragen noch lange nicht geklärt sind.

Warum der Veröffentlichungstermin immer wieder verschoben wurde, hat Google selbst bisher nicht erläutert. Doch die Gründe dafür liegen auch so auf der Hand.

Wo Google seine Finger im Spiel hat
Google GlassEines der spannendsten Projekte des Suchmaschinen-Anbieters ist sicherlich Google Glass. Mit der Datenbrille ist es möglich E-Mails abzufragen, im Internet zu surfen, zu fotografieren und zu filmen. 2013 hat das Unternehmen erste Datenbrillen an Webentwickler und Geschäftspartner verkauft, mittlerweile ist die Brille frei verfügbar. Quelle: dpa
Online-MusikdienstGoogle stärkt sein Musikgeschäft mit dem Kauf des Streaming-Dienstes Songza, der passende Lieder für verschiedene Situationen zusammenstellt. Nutzer der Songza-App können zum Beispiel zwischen „Musik zum Singen unter der Dusche“, zum Autofahren oder zum Joggen entscheiden. Solche Song-Listen werden von Songza-Mitarbeitern zusammengestellt, es gibt Angebote für verschiedene Tageszeiten und Stilrichtungen. Zugleich kann sich auch die Software hinter dem Dienst an den Musikgeschmack der Nutzer anpassen. Die Musikauswahl kann über Daten aus dem Netz auch das aktuelle Wetter am Standort des Nutzers abgestimmt werden. Google nannte bei Bekanntgabe des Deals am Dienstag keinen Kaufpreis. Nach Informationen der „New York Times“ waren es mehr als 39 Millionen Dollar. Songza ist bisher nur in Nordamerika verfügbar und hatte Ende vergangenen Jahres 5,5 Millionen Nutzer. Der kostenlose und werbefinanzierte Dienst werden zunächst unverändert weiter betrieben, erklärte Google. Mit der Zeit werde man nach Wegen suchen, wie die Musikplattform Google Play Music von Songza profitieren könnte. Quelle: Screenshot
SatellitentechnikGoogle stärkt seine digitalen Kartendienste mit dem Kauf des Satelliten-Spezialisten Skybox Imaging, der Bilder aus dem All in hoher Auflösung erstellt. Der Preis liegt bei 500 Millionen Dollar in bar, wie der Internet-Konzern mitteilte. Skybox bietet seinen Kunden das Beobachten gewünschter Gebiete mit detailreichen Fotos und 90 Sekunden langen Videos an. Als Dienstleistungen nennt Skybox zum Beispiel die Überwachung von Feldern auf Schädlingsbefall und die Aufsicht über Energie-Pipelines. Auch die Auswertung der Container-Bewegungen in Häfen, der Aktivität auf Flughäfen oder der Bestände auf Parkplätzen von Autohändlern ist möglich. Die Satelliten von Skybox sollen helfen, die Google-Karten auf aktuellem Stand zu halten, erklärte der Internet-Konzern am Dienstag. Außerdem hoffe Google, damit die Versorgung mit Internet-Zugängen und die Hilfe bei Unglücken und Naturkatastrophen zu verbessern. Google ist selbst bei der Entwicklung digitaler Satellitenkarten mit seinem Projekt Google Earth weit vorangekommen. Etablierte Anbieter wie DigitalGlobe oder GeoEye haben den Erdball erfasst, Skybox verspricht jedoch frischere Bilder auf Bestellung. Skybox ist einer von mehreren neuen Anbietern, die von drastisch gesunkenen Kosten für Entwicklung und Herstellung von Satelliten profitieren wollen. Sie packen ihre Technik in deutlich kleinere Satelliten als man sie früher baute. Skybox will über die Jahre rund zwei Dutzend Satelliten ins All bringen, steht bei dem Plan aber erst am Anfang. Die Skybox-Satelliten sind nach bisherigen Berichten rund 100 Kilogramm schwer. Das macht es auch günstiger, sie ins All zu bringen als früher. Die Kosten pro Satellit werden auf rund 25 bis 50 Millionen Dollar geschätzt. Quelle: Screenshot
SatellitentechnikErst im April 2014 hatte Google den Hersteller von Solardrohnen Titan Aerospace gekauft. Mit dem Kauf will Google seine Pläne vorantreiben, drahtloses Internet auch in abgelegenste Teile der Welt zu bringen. Über den Kaufpreis für das US-Unternehmen, das 20 Mitarbeiter beschäftigt, wurde nichts bekannt. Titan entwickelt solarbetriebene Satelliten. Sie sollen 2015 erstmals kommerziell in Betrieb genommen werden. Die Drohnen fliegen in rund 20 Kilometern Höhe und können dort fünf Jahre bleiben. Ihre Spannweite ist mit 50 Metern etwas kürzer als die einer Boeing 777. Medienberichten zufolge war auch Facebook an Titan interessiert. Quelle: AP
Sicherheits-GadgetsGoogle hat die Firma SlickLogin gekauft, die eine innovative Art erfunden hat, herkömmliche Passwörter mit einer zweiten Sicherheitsstufe zu ergänzen. Das israelische Start-up setzt dabei auf Ultraschall-Töne, die zwischen Smartphone und PC eines Nutzers ausgetauscht werden. SlickLogin gab die Übernahme am Sonntag bekannt, eine Preis wurde nicht genannt. Nach Informationen des Technologieblogs „Geektime“, das als erstes von dem Deal berichtet hatte, geht es um einige Millionen Dollar. Derzeit setzt Google als zweite Zugangsstufe zusätzlich zum Passwort Zahlencodes ein, die über eine App auf das Smartphone geschickt werden. Der Vorteil des von SlickLogin entwickelten Systems ist, dass die Authentifizierung automatisch laufen kann, ohne dass der Nutzer sich darum kümmern muss. SlickLogin hatte das Ultraschall-Konzept im vergangenen September vorgestellt und befand sich bis zuletzt noch in einer geschlossenen Test-Phase. Nach Informationen von „Geektime“ bestand die Firma immer noch aus den drei Gründungsmitgliedern. Quelle: WirtschaftsWoche Online
Autonome AutosNicht nur große Automobilkonzerne, auch Google forscht mit viel Aufwand an selbstfahrenden Pkw. Dafür entwickelt der Konzern selbst die Software, die das Auto steuert. Dabei will der Konzern wohl sogar eigene Fahrzeuge auf den Markt bringen, die als autonome Taxen am Straßenverkehr teilhaben sollen. Für die Produktion der Autos gab es bereits Gespräche mit dem deutschen Zulieferer Continental und dem Fertiger Magna. Quelle: dpa
Medizinische GadgetsGoogles geheime Forschungsabteilung Google X hat ihre nächste Erfindung öffentlich gemacht. Es ist eine digitale Kontaktlinse für Diabetiker, die Blutzucker-Werte kontrolliert. Google X soll für den Internet-Konzern die Grenzen des Möglichen austesten. Die Entwickler aus dem Forschungslabor testen laut einem Blogeintrag Prototypen einer Kontaktlinse, bei der zwischen zwei Schichten ein Sensor sowie ein Miniatur-Funkchip integriert sind. Die Linse messe die Glucose-Werte in der Tränen-Flüssigkeit jede Sekunde. Der Prototyp sei in mehreren klinischen Forschungsstudien erprobt worden. Die Kontaktlinse solle die Daten an eine begleitende Smartphone-App funken. Chip und Sensor seien so winzig wie Glitzer-Partikel und die Antenne dünner als das menschliche Haar. Er werde auch erwogen, für Warnsignale Mikro-LEDs direkt in die Linse zu integrieren, hieß es. Es sei noch viel Arbeit zu tun bis die Kontaktlinse als fertiges Produkt auf den Markt komme, schränkten die Entwickler ein. Google wolle sich dafür in dem Bereich erfahrene Partner suchen, die Zugang zu der Technologie bekämen. An dem Projekt arbeitet federführend der Forscher Babak Parviz mit, der schon an den Anfängen der Datenbrille Google Glass stand. Er hatte bereits 2009 demonstriert, wie man Kontaktlinsen mit LEDs versehen kann. Quelle: dpa
  1. Google Glass ist technisch deutlich schlechter als das Smartphone ausgestattet. Wer sich an die Funktionen seines Smartphones gewöhnt hat, würde bei dem aktuellen Entwicklungsstand der Brille etliche Abstriche machen müssen. Während Nokia inzwischen mit einer 14 Megapixel-Kamera punktet, erkennt man auf den Google-Glass-Fotos wieder deutlich die einzelnen Bildpunkte. Auch der im Brillenbügel versteckte Akku hält nur wenige Stunden durch. Die Bedienung per Tippen auf den Bügel ist alles andere als nutzerfreundlich.
  2. Bisher scheitert Google Glass neben der Funktionalität noch immer an futuristischer Hässlichkeit. Sogar der berühmte Designer Marc Newson sagte, dass das Design erbärmlich sei und die Welt des Industrial Designs noch viel von der Modeindustrie lernen müsse. Um dem entgegenzuwirken, hat Google erst kürzlich bekannt gegeben mit der italienischen Luxottica Group (RayBan) zusammenzuarbeiten. Ein geschickter Zug, immerhin zählen die Designs der Marke zählen zu den beliebtesten unter Brillenträgern überhaupt. Auf der anderen Seite macht die kleine Glasscheibe am rechten oberen Brillenrand auch das schönste Brillenmodell wieder zu einem verrückten Cyberlook, dem sich wohl kein halbwegs modebewusster Mensch freiwillig aussetzen möchte.

Die Datenuhr macht derzeit das Rennen

Es wird immer deutlicher, dass Google mit seiner minutiösen Marketingstrategie über Jahre seine Fans verliert. Die überschwängliche Begeisterung an Google Glass ist gewichen. Und selbst das Unternehmen selbst scheint nicht mehr zu hundert Prozent auf die Brille als Wearable der Zukunft zu setzen.

Erst kürzlich hat das Unternehmen aus Mountain View eine eigene Smartwatch vorgestellt und dabei alles anders gemacht als bei Glass. Die Uhr wurde überraschend und ohne großen Vorlauf präsentiert. Und sie sieht mit ihrem modernen Retro-Look um ein vielfaches eleganter aus als die klobigen Konkurrenzmodelle von Sony und Samsung. Als Hersteller für die neue AndroidWear stehen LG (rechteckiges Design) und Motorola (rundes Design) bereit.

Insgesamt machen die Computeruhren gegenüber den Computerbrillen gerade das Rennen. Sie sind deutlich dezenter und geben dem Nutzer ganz bequem die Möglichkeit, Emails und Nachrichten zu lesen oder Kalendereinträge zu überprüfen. Für die Navigation sowie das Fotografieren und Filmen sind die Uhren hingegen genauso wenig gut geeignet wie Glass. Allerdings wird beim Marketing der einzelnen Computer-Uhren-Hersteller auf diesen Aspekt auch kaum abgehoben. Während Glass mit Sprachbefehlen wie „Ok Glass, take a picture“ gemessen wird, punkten die Uhren mit Diskretion.

Doch welches Gadget das Smartphone am Ende ablösen wird, will heute kein Experte sagen. Zu stark experimentieren Hersteller aus aller Welt derzeit. Und zu frisch ist auch noch der Umbruch vom Handy auf das Smartphone. Was bei der Diskussion allzu oft vergessen wird: Eine Gesellschaft besteht nicht nur aus Tech-Geeks, die immer das neuste Produkte ausprobieren wollen. Natürlich ist die Technik-Welt immer schnelllebiger geworden. Aber sind es auch die Nutzer? Zwischen der Einführung des Handys und des Smartphones lagen über zehn Jahre. Das iPhone hat erst vor sieben Jahren unser Nutzerverhalten mit einer brillanten neuen Technologie auf den Kopf gestellt.

Vielleicht brauchen wir Käufer einfach noch etwas Zeit mit unserem Smartphone, um den Wert der Wearables stärker zu erkennen. Und die Wearables brauchen ganz offensichtlich mehr Power (vor allem eine bessere Akkuleistung, mehr Speicherplatz), um mit den Funktionalitäten der Smartphones mithalten zu können. Und auf diesem Weg hat die Uhr es deutlich leichter als die Brille, die wir präsent im Gesicht tragen.

Dass Google mit der Brille trotzdem so vorprescht, hat zumindest einen Vorteil für das Unternehmen: Datenbrillen sind schon jetzt eng mit dem Namen des Unternehmens verknüpft. Egal wer sich nun in diesen Bereich vorwagt, wird sein Produkt immer mit Glass messen müssen. Das hat der Suchmaschinen-Konzern geschafft. Doch ob es die Google-Brille ist – oder am Ende doch ein iGadget von Apple, das den Endverbraucher überzeugt, steht aktuell noch in den Sternen.

Zum finanziellen Desaster würde ein Glass-Flopp übrigens nicht führen. Bei Google strömen die Werbegelder regelrecht. Im Schlussquartal 2013 verdiente das Unternehmen unterm Strich 3,4 Milliarden Dollar (2,5 Milliarden Euro). Das war ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zu, Vorjahreszeitraum. Den Verlustbringer Motorola (operativer Verlust von 384 Millionen Dollar, doppelt so viel wie 2012) hat Google mittlerweile an den chinesischen PC-Hersteller Lenovo verkauft.

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