Der Spion, den wir lieben Warum die Deutschen Google und Amazon ins Wohnzimmer lassen

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Die digitale Welt gehört zu unserer Identität

Wobei das mit der Bequemlichkeit eben so eine Sache ist. Maren Biermanns Freund, mit dem sie zusammenlebt, stört sich nicht daran, morgens aus dem Fenster zu schauen, wenn er wissen will, wie das Wetter wird. Um rechtzeitig die Bahn ins Büro zu erwischen, verlässt aber auch er sich nicht mehr nur auf den an der Haltestelle ausgehängten Fahrplan. Er sieht auf seinem Smartphone nach. Menschen haben sich längst daran gewöhnt, ihr Leben in die Hand all der digitalen Helfer zu legen. „Das ist auch ein Stück weit Resignation“, sagt Tim Leberecht, der sich als Managementexperte mit all den Facetten einer immer digitaleren Welt beschäftigt. „Wir akzeptieren, dass wir ohne unsere digitale Existenz nicht mehr Teil der Gesellschaft sind. Unsere persönlichen Daten zu teilen wird zunehmend zur Grundlage unserer Identität“, resümiert er.

Google Maps hilft uns, schneller von einem Ort an den anderen zu kommen; WhatsApp, die Verabredungen mit unseren Freunden besser abzustimmen. Dass die Menschen so fast nebenbei Effizienz in immer mehr Bereichen ihres Lebens zum alleinigen Paradigma erhoben haben, das halte er für eine echte Bedrohung, sagt Leberecht. „Wir verlaufen uns nicht mehr. Wir nehmen uns selbst die Möglichkeit, etwas zu entdecken.“ Der Anspruch des Silicon Valley, für jedes alltägliche Problem einfach eine App zu programmieren, reduziere die Welt letztlich auf einen sehr kleinen Ausschnitt – und schränke das freie Denken ein.

Und dennoch glaubt Leberecht nicht daran, dass sich das Rad zurückdrehen lässt. Dass strengere Gesetze die Konzerne davon abhalten können, immer mehr Daten zu sammeln – oder auch nur die Menschen, immer mehr Daten preiszugeben. Viel dringender als die Diskussion darüber, wie viel wir von uns offenlegen, sei deshalb die Diskussion der Frage, wie all diese Informationen verwendet werden.

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Ein Klick - und alles gehört Facebook

Denn die Rechte zur Auswertung all dieser Daten räumen die allermeisten den Anbietern mit einem raschen Klick unter den allgemeinen Geschäftsbedingungen ein. Die sind zu lang, als dass sie jemand freiwillig lesen würde. Unser digitales Leben gehört damit immer mehr den Konzernen, wobei es viel Spielraum und noch mehr Grauzonen gibt. Das mussten gerade die Eltern eines Teenagers erfahren, die gerne nach dem ungeklärten Tod ihrer Tochter Zugang zu deren Facebook-Profil gehabt hätten. Sie wollten anhand der dortigen Chats wissen, ob die Tochter Selbstmordgedanken hegte oder ob es sich um einen tragischen Unfall handelte. Facebook sperrte sich, ein Gericht bat die Parteien nun, sich untereinander zu einigen. Ein hinterbliebenes analoges Tagebuch hätten die Eltern wohl ohne Gerichtsbeschluss gelesen.

Maren Biermann hat die Nutzungsbedingungen zu Alexa, drei mit sperrigen Begriffen befüllte Seiten, nicht gelesen. Auch nicht die mehr als doppelt so lange Datenschutzerklärung. Sie sagt, dass sie ihre Daten gerne abgibt, wenn sie etwas davon habe. Empfehlungen für den Onlineeinkauf. Tipps für einen guten Musiktitel. Trotzdem hat sie sich gewundert, als sie in der App gesehen hat, dass dort auch gespeichert wird, was sie Alexa wann befohlen hat. Wenn das möglich wäre, würde sie das ausschalten. Aussortieren will sie die Box deshalb nicht. „Ich mache ja nichts Verbotenes mit ihr“, sagt sie. „Außerdem bin ich die Einzige, die auf die App zugreift.“

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