Digitale Musik Die Suche nach dem Super-Sound

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Nach drei Monaten profitabel

Bei Lothar Kerestedjian dürfte sie damit auf volle Zustimmung treffen. Der 52-jährige passionierte Schlagzeuger, Sohn eines Armeniers und einer Berlinerin, ist einer der Pioniere der HiRes-Szene. Er kennt das Musikgeschäft aus jeder Perspektive, war Manager der australischen Rockband INXS, hat für den US-Popstar Prince gearbeitet und mehrere japanische Elektronikkonzerne. Vor allem aber ist er ein rastloser Vorkämpfer für erstklassigen Klang. 2011 gründete Kerestedjian mit seinem Bruder Frank HighResAudio.com, einen der inzwischen weltweit führenden digitalen Plattenläden für hochauflösende Musik.

Der Erfolg hat die Gründer selbst überrascht. „Wir dachten, mit dem Angebot vor allem die alten analogen Sound-Enthusiasten zu erreichen und frühestens nach eineinhalb Jahren profitabel zu sein“, erzählt Kerestedjian. „Tatsächlich haben wir schon nach drei Monaten schwarze Zahlen geschrieben, so groß war die Resonanz.“ Zumal neben audiophilen Connaisseuren der Generation 50+ inzwischen zunehmend auch Käufer ab Mitte 20 seinen Online-Shop besuchen. „Gemessen am Massengeschäft, ist HiRes zwar noch eine Nische, aber sie wird immer größer.“

Das liegt auch daran, dass der neue Digitalklang den perfekten Sound plötzlich all jenen Musikfreunden erschließt, denen der Umbau des Wohnzimmers zum privaten Akustik-Labor bisher zu aufwendig war.

„Weil sich die hochauflösenden Soundbits völlig unverfälscht übertragen lassen und analoge Störungen wegfallen, tönt’s auch ohne Riesenaufwand grandios“, sagt Holger Fromme. Der Gründer der Odenwälder Lautsprecher-Manufaktur Avantgarde Acoustic ist in Sachen Hi-Fi eine Instanz. Seit drei Jahrzehnten gelten seine Hornlautsprecher als Referenz. Unverdrossen hat er die Technik optimiert, immer mit dem Ziel, alle denkbaren analogen Störungen aus dem Klang zu eliminieren.

Jetzt hat der 57-Jährige mit dem Zero 1 seinen ersten aktiven, komplett digitalen Lautsprecher gebaut – und räumt damit Hi-Fi- und Design-Preise ab. Wo Soundfetischisten bisher armdicke Kabel mit Goldsteckern zu den Boxen verlegten, „empfangen digitale Lautsprecher ihr Signal künftig drahtlos von der vernetzten Stereoanlage“, sagt der Odenwälder.

Die Verbindung von dezent auftretender Technik und atemberaubendem Klang mache die Hi-Fi-Welt zudem für weibliche Musikfans attraktiver, glaubt Fromme. „Bisher ist das primär ein Thema für Jungs, künftig wird die Zielgruppe viel größer.“

Der Preis der Qualität

Das lohnt sich für die Labels gleich doppelt. Denn was immer die einschlägigen Download-Plattformen an Rock, Jazz, Pop oder Klassik anbieten, stets gibt’s die High-End-Musik nur gegen einen Preiszuschlag gegenüber Downloads in CD- oder MP3-Format. So steht etwa das brandneue Pink-Floyd-Album „The Endless River“ in CD-Qualität für knapp 16 Euro in Apples iTunes Store. Bei Kerestedjian kostet der Download des gleichen Albums – dafür auch in vielfach besserer Auflösung der Sounddatei – 24 Euro.

Gut zwei Drittel davon müssen Online-Händler dem Vernehmen nach an die Labels durchreichen, die daher vom Geschäft mit dem High-End-Sound überproportional profitieren. Und doch noch nicht recht ahnen, welches – auch wirtschaftliche – Potenzial in ihren Audioarchiven lagert.

Kontext

Schließlich muss, wer sich für die neue, akustische Opulenz begeistert, seine Plattensammlung de facto noch einmal kaufen. Denn die bestehende CD-Sammlung oder als MP3-Datei gekaufte Stücke lassen sich nicht mehr sinnvoll in hochauflösende Dateiformate umwandeln. Klangdetails, die bei der CD-Produktion, dem Mastering, und erst recht bei der MP3-Kompression weggefallen sind, lassen sich schlicht nicht mehr herbeizaubern.

Trotzdem bringe manches Plattenlabel alte Aufnahmen technisch auf HiRes-Niveau; doch das sei nichts anderes, als „aus Mist Bonbons zu machen“, ärgert sich Klangexperte Kerestedjian, „die müffeln trotzdem“. Er hat derart aufgeblasene Audiodateien konsequent aus seinem Online-Shop verbannt – und ist stattdessen regelmäßig als Audioarchäologe bei den Musikkonzernen unterwegs. „Immer auf der Suche nach den Originalbändern.“ Immerhin, inzwischen beschäftigten viele Labels eigene Spezialisten, die sogar bei den Aufnahmestudios nach alten Bändern forschen, wenn sich die Originale erfolgreicher Aufnahmen in den eigenen Archiven nicht mehr auffinden lassen.

Und so wächst das Angebot an HiRes-Titeln zwar kontinuierlich, aber längst nicht so rasch, wie die Zahl von Musikveröffentlichungen in den etablierten Formaten. Auch, weil der Super-Sound bei der Aufnahme einiges an Mehraufwand erfordert: „Stücke, die für die Wiedergabe auf MP3-Spielern angepasst sind, klingen keinen Deut besser, wenn man sie einfach ins höherwertige Format umkopiert“, sagt Eric Kingdon, der beim japanischen Elektronikkonzern Sony das Home-Audio- und Video-Geschäft in Europa betreut. „Die müssten ganz neu und hochauflösend abgemischt werden.“

Der 59-jährige Brite ist bei Sony seit den frühen Achtzigern so etwas wie der europäische Grandmaster of Sound, hat die Einführung der CD begleitet und ist nun auch dafür verantwortlich, Sonys HiRes-Audiosysteme für europäische Hörgewohnheiten zu optimieren. „Es ist wie die Befreiung der Musik von den Beschränkungen der Vergangenheit“, sagt Kingdon. „Dabei lässt sich HiRes-Audio so einfach nutzen, wie das die Generation Online seit Jahren mit MP3 kennt.“

Zumindest fast. Denn während die meisten PCs und Multimediaplayer für die heimische Stereoanlage, aber auch erste Smartphones wie Sonys Xperia Z3 bereits HiRes-Dateien in höchster Auflösung abspielen, fehlt die Funktion etwa in Apples neuen iPhone-6-Modellen noch.

Das wird kaum so bleiben. Gerade erst kündigte Musiker Bono, Kopf der irischen Band U2, im Interview mit dem US-Magazin „Time“ an, die Band arbeite mit Apple an einem „unwiderstehlichen Musikformat“. iFans interpretieren das bereits als Zusage, dass HiRes-Audio auch auf iPhone und Co. kommt.

Spätestens das wäre für den Super-Sound der Durchbruch im Massenmarkt.

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