High End 2012 Im Paradies der Klangfetischisten

100 000 Euro für ein paar Lautsprecher? 20 000 Euro für Kabelstrippen? Auf der High End 2012 in München gibt es exklusive Unterhaltungselektronik zum Bestaunen und Probehören. Doch ein Messerundgang zeigt auch manch erschwingliches Schmankerl für die „Generation Download“.

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High End Quelle: Pressebild

Rainer Lengfeld rümpft die Nase. Da hatte ihm der Spezialist auf dem Messestand des renommierten Hi-Fi-Herstellers geduldig erklärt, wie die verkürzten Signalwege und raffinierten Filter des Vorverstärkers den perfekten Frequenzgang generieren. Doch der Highend-Liebhaber Lengfeld wendet sich missmutig ab. "Ingenieurs-Hi-Fi", so sein vernichtendes Urteil. So snobistisch das klingen mag, er hat damit so etwas wie den Grundgedanken der High End 2012 ausgesprochen. Es kommt nicht auf die technischen Leistungsdaten an, die sind bei allen ausgestellten Geräten längst "jenseits von Gut und Böse".

Das Prädikat High End verdient nur derjenige Verstärker, CD-Player oder Lautsprecher, der "musikalisch" klingt, bei dem also die Musik den Apparat vergessen lässt. In Leistungsdaten und technische Konzepte lässt sich das nur noch teilweise fassen. High-End-Hörer sind eben eine ziemlich verschworene und ziemlich kleine Gruppe.

Tolle Technik für Musikliebhaber
Kuzma Quelle: Mehmet Toprak
Kai Henningsen Quelle: Mehmet Toprak
Cambridge Audio Quelle: Mehmet Toprak
Reson Audio Quelle: Mehmet Toprak
MAD Quelle: Mehmet Toprak
Vicoustic Quelle: Mehmet Toprak
Atrium der High End 2012 Quelle: Mehmet Toprak

Steigender Absatz: Lautsprecher und Hi-Fi-Komponenten
Dabei sind die Zeiten für die Branche gar nicht mal so schlecht. Die Vorhersagen vieler Pessimisten, MP3 und Digitalisierung würden der klassischen Unterhaltungselektronik den Garaus machen, haben sich nicht bestätigt. Im Gegenteil: 2011 wurden in Deutschland 704 000 Hi-Fi-Komponenten verkauft, das sind 7,1 Prozent mehr als im Vorjahr. Gleichzeitig wurde 758 000 Lautsprecher verkauft, ein Zuwachs um 14,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahlen werden gemeinsam vom Bundesverband Technik des Einzelhandels, der GfK Retail and Technology und der Gesellschaft für Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik ermittelt.

Der Aufwärtstrend zeigt sich auch bei der High End 2012 in München (03. bis 06. Mai). Insgesamt sind mehr als 360 Aussteller gekommen, darunter 188 aus dem Ausland. Im Vorjahr waren es noch 337 Aussteller.

Ein Teil des Erfolgs ist darauf zurückzuführen, dass der Veranstalter High End Society versucht, die Messe mit der Präsentation aktueller Trends frisch zu halten. Das ist sicher nötig, denn ein Blick auf die Besucher zeigt, dass die Fans der hochwertigen Musikwiedergabe in die Jahre gekommen sind. Viele Kids oder Jugendliche sind jedenfalls nicht zu sehen. Dabei hält die Messe auch für die "Generation Download" ein Schmankerl bereit.

Traum der High-End-Fans: hochauflösende Musikdownloads

Zum Beispiel auf dem Stand von Lothar Kerestedjian, Chef des Musikdownload-Portals High Res Audio. Das Unternehmen ist als einer von sechs "Newcomern" auf der Messe geladen. Sie dürfen ihre Produkte präsentieren, ohne Standgebühr entrichten zu müssen. High Res Audio bietet Musik zum Download in hochauflösender Qualität. Statt der bei Amazon, iTunes & Co. üblichen datenkomprimierten MP3s gibt es hier Musik in CD-Qualität oder sogar als Studiomaster in Auflösung mit bis zu 24 Bit/196 Kilohertz.

Technisch gesehen ein Traum für jeden Highend-Fan. Zum Vergleich: Eine herkömmliche CD liefert 16 Bit/44,1 Kilohertz. Allerdings tut sich Kerestedjian schwer, die Plattenlabels davon zu überzeugen, ihre Archive für ihn zu öffnen. Mehr als 10 000 Alben pro Monat verkauft High Res Audio derzeit noch nicht. Allerdings wächst die Zahl der Downloads pro Monat um 30 Prozent.

Retro und preiswert

Atrium Quelle: Pressebild

Mehr als ein Retro-Trend: Vinyl

Während fortschrittlich gesinnte Highender ihre Musik vom Web auf die Festplatte laden und dann via Streaming-Clients oder Netzwerk-Player an den Verstärker weiterleiten, ist die altgediente Fraktion der Vinyl-Liebhaber immer noch höchst aktiv. Dementsprechend stößt der Besucher gefühlt an jedem dritten Stand auf Plattenspieler. Sie gehören auf der Messe immer noch zu den Hinguckern schlechthin.
Highend-Enthusiasten wie Rainer Lengfeld haben selbstverständlich auch einen klassischen riemengetriebenen Plattenspieler zu Hause, in seinem Fall ein Thorens TD 350.
Nach Angaben des Bundesverbands Musikindustrie hat sich der Absatz von Vinyl seit 2006 sogar mehr als verdoppelt. So wurden 2011 rund 700 000 LPs verkauft. Auf der High End zeigen mehr als 200 Labels ihre Vinyl-Platten oder remasterten CDs.

Die wahren musikalischen Schätze gibt es aber bei Christian Bierbaumers Blue Danube Records, dem legendären Plattenladen aus Tulln bei Wien. Auf der High End ist Blue Danube mit einem kleinen Stand vertreten. Bierbaumer ist so etwas wie das lebende Gegenstück zu all den Klangoptimierern und Technik-Freaks. "Ich bin kein Hi-Fi-Mann, ich verkaufe Musik", sagt Bierbaumer. Er hat circa 250 000 LPs im Angebot. Bei Bierbaumer geht es nicht um Neupressungen von Jazz- oder Klassikaufnahmen für Klangfetischisten, er sammelt und verkauft Original-Klassik-Schallplatten, darunter auch echte Raritäten. Natürlich gibt es auch Jazz, Rock/Pop und Easy Listening bei Blue Danube, doch dank der persönlichen Leidenschaft von Bierbaumer machen die Klassik-Platten doch den größten Anteil aus.

Gefunden: preiswerte High-End-Anlagen

Im Mittelpunkt der High End 2012 stehen aber immer noch die Hi-Fi-Komponenten. Womit wir bei den Preisen wären. Wer eine hochwertige Anlage mit CD-Player, Plattenspieler, Verstärker und Lautsprechern anschaffen will, landet schnell bei 10 000 Euro - oder auch beliebig darüber. 100 000 Euro für ein paar Lautsprecher? 20 000 Euro für Kabelstrippen und Netzteile? Für die High-End-Szene kein Problem. Abschrecken sollte man sich davon nicht lassen. Denn die Branche bietet auch Komponenten zu erschwinglichen Preisen.

Etwa bei Phonar Akustik. Kai Henningsen, Geschäftsführer, hat sich nach eigener Aussage "highendige Qualität zu bezahlbaren Preisen auf die Fahne geschrieben". Auf dem Stand gibt es feine Plattenspieler der Marke Music Hall schon ab 1000 Euro oder das Paar Standboxen wie die Phonar Veritas für knapp 2000 Euro. Daneben bietet auch Phonar natürlich die richtig teuren Boxen für den gut betuchten Musikliebhaber.
Als gerade noch erschwinglich mag auch der audiophil angehauchte Kopfhörer Signature Pro des süddeutschen Herstellers Ultrasone durchgehen. Der komplett in Deutschland entwickelte und gefertigte Kopfhörer verspricht ein besonders räumliches Klangbild und kostet knapp 900 Euro.

Verstärker und CD-Player müssen ebenfalls nicht gleich ein ganzes Monatsgehalt kosten. Ordentliche Technik gibt es schon ab etwa 400 Euro wie beispielsweise den Azur 350A von Cambridge Audio für 448 Euro. Die Liste der bezahlbaren Produkte ließe sich fortsetzen, fündig wird man hier etwa bei Marken wie Pro-Ject, Block oder Teac.
Vollendeten Highend-Genuss können Geräte unterhalb der 1000-Euro-Klasse nicht bieten, doch ein sauberes, ausgewogenes und feines Klangbild liefern sie allemal.

Grundsatzfrage: Für wen ist High End sinnvoll?

Kopfhörer Quelle: Pressebild

Highend-Verächter und Skeptiker stellen beim Anblick sündteurer Kabel und exotischer Röhrenverstärker immer wieder die eine Frage: "Hört man das überhaupt noch?" Die Antwort muss lauten: "Ja, das hört man." Der Klanggewinn einer gut zusammengestellten Highend-Anlage gegenüber einer gewöhnlichen Anlage aus dem Kaufhaus ist sogar sehr deutlich zu hören.

Ob sich das viele Geld für Highend am Ende aber wirklich lohnt, hängt von mehreren Faktoren ab. Zum Beispiel vom Musikhörtyp. So genannte Melodie-Hörer, also Menschen, die bei Mozarts "Kleiner Nachtmusik" fröhlich mitpfeifen, sind in der Regel nicht an Klangnuancen interessiert. Auch der bildungsbeflissene Typ, der die CD einlegt, weil er eine Musikrichtung oder einen Komponisten kennenlernen will und der beim Songwriter-Album die Texte mitliest, braucht keine teure Anlage.

Auch die feinste Nuance

"Echte Highend-Hörer" nehmen die Musik als Klangereignis wahr. Sie tauchen in die Strukturen einer Bruckner-Symphonie oder eines Jazz-Stücks ein und registrieren jede feinste Nuance. Sie hören Musik weniger in ihrem zeitlichen Verlauf, sondern mehr als Abfolge faszinierender Einzelmomente und Stimmungen, die sie jeweils ganz ausloten wollen. Diese Art des Musikhörens benötigt Ruhe und Konzentration, nur so erschließen sich die Feinheiten. Dafür ist wiederum anspruchsvolle Technik vonnöten.

Ob hochwertiges Equipment nötig ist, hängt außerdem von der Hörsituation ab. Für die Nebenbei-Berieselung bei Hausarbeit und Internetsurfen reicht die mittelmäßige Kompaktanlage. Und dem Jogger, der mit Knopf im Ohr durch den Park läuft, macht die Musik auch dann Spaß, wenn sie vom MP3-Player kommt. Denn wer lauscht beim Joggen schon Bruckners Neunter oder einem Streichquintett von Brahms?

Festhalten aber sollte man, dass - Zeit, Muße und Konzentration vorausgesetzt - Musik von der Highend-Anlage ein einzigartiges Erlebnis sein kann. Genau dafür bauen die Hi-Fi-Ingenieure die exotischen Verstärker, genialen Lautsprecher und avantgardistischen Plattenspieler, die es alle Jahre wieder auf der High End zu bestaunen gibt. Auch wenn manche Leute dann wieder die Nase rümpfen…

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