Polaroid Die Rückkehr der Sofortbildkamera

Polaroid ist aus der Bedeutungslosigkeit zurück. Das Kultobjekt profitiert von der digitalen Bilderflut in Zeiten von Smartphones. Was macht sie aus, die Faszination des analogen Knipsens?

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Polaroid Fotos Quelle: dpa

Dies ist die Geschichte einer doppelten Wiederauferstehung. Es geht um ein Unternehmen, das sich neu erfindet, weil es sich wieder auf seine Ursprünge besinnt. Es geht aber auch um ein Produkt, das vom Fortschritt zunächst ruiniert wurde, bevor es von dessen Folgen profitierte.

Diese Geschichte beginnt in den Fünfzigerjahren im US-Bundesstaat Minnesota, als Edwin Land die Sofortbildkamera erfand. Damals war es vor allem die fototechnische Innovation, die die Menschen an der Polaroid faszinierte: Da entwickelte sich plötzlich ein Bild innerhalb von Sekunden vor den eigenen Augen. Der Fotograf ist nicht nur Zeitzeuge, wenn er ein Foto schießt. Er wird auch zum Beobachter seiner eigenen Geschichte, wenn er die Entwicklung des Bildes physisch miterlebt – und das ganz ohne Laborkenntnisse. Die Kamera schafft einen besonderen Moment, in dem sie die Zeit verkürzt zwischen dem Einfangen einer Szene und dem Augenblick, in dem sie zur Erinnerung wird.

Zu jedem Trend gibt es eine Gegenbewegung

Genau diese vermeintliche Magie ist es, die die Menschen schon damals fesselte – und das Polaroidbild auch heute wieder interessant macht. Und das in einer Zeit, in der das Smartphone stets in der Hosentasche schlummert. Immer bereit, den einen Moment auf der Stelle einzufangen. Sofort abrufbar, und das auch noch völlig kostenlos, fertig zum Verschicken an Freunde, Familie und Facebook. Allein 1,8 Milliarden Bilder werden heute täglich in den sozialen Netzwerken hochgeladen und geteilt – mehr als je zuvor.

Doch wo ein Trend, da ist die Gegenbewegung meist nicht weit. Und so gibt es genug Menschen, die der Digitalisierung und damit einhergehenden Inflationierung der Bilder überdrüssig geworden sind. Trotz des Fortschritts – oder vielleicht gerade deswegen?

Zahlreiche Fotoplattformen wie Pixum.de oder PosterXXL.de bieten ihre Ausdrucke im Polaroidlook an. Auf Hochzeiten, Abschlussfeiern und Geburtstagspartys werden wieder Einwegkameras verteilt. Die US-Modekette Urban Outfitters verkauft seit diesem Jahr sogar T-Shirts und Magnetrahmen mit dem Polaroid-Firmenlogo.

Polaroid-Bilder sind einzigartig

Und auch in der Kunst hat das Polaroid einen festen Platz. Der Taschen-Verlag brachte ein Buch mit den Testbildern des Fotografen Helmut Newton aus den Siebziger- und Achtzigerjahren heraus. Brooklyn Beckham, ältester Sohn des Promipaares Victoria und David Beckham, teilte Polaroids seines Shootings für das britische Traditionshaus Burberry im Netz.

Und Peter Buse, Kunstprofessor an der Kingston-Universität in London, veröffentlichte ein Buch über die Bedeutung der Polaroids für die Fotografie: „The Camera Does the Rest“.

Die Schönheit des Verfalls
Wer eine verlassene Ruine sieht, denkt nicht zwangsläufig sofort an ein schönes Foto. Christian Richter tickt da anders. Wenn der Fotograf verlassene Orte betrifft, kommt er ins Schwärmen.
„Es fasziniert mich, wie vergänglich alles ist“, sagt der Künstler, „und wie sich die Natur nach und nach unaufhaltsam ihren Weg bahnt.“
Zur Fotografie kam Christian Richter eher zufällig: Ein Freund schenkte ihm vor vier Jahren eine alte Digitalkamera. Sein erstes Foto schoss Richter dann im Oktober 2011.
Warum Christian Richter so gerne verlassene Orte fotografiert? - „Der alte Glanz trifft mit der neuen Macht der Natur zusammen, das ist unglaublich bewegend.“
Auf die Suche nach verlassenen Orten reist Richter quer durch Europa.
Ganz legal sind die Expeditionen des Fotografen nicht, manchmal muss er auch durch den Keller in die verlassenen Gebäude kriechen oder durch Fenster einsteigen.
Wo sich die Orte genau befindet, verrät Richter nicht, um sie vor Touristen oder Graffiti-Sprayern zu schützen.

Darin bezieht er sich auch auf den deutschen Philosophen Walter Benjamin und dessen Definition moderner Kultur: Erst wenn Dinge verschwinden – Orte, architektonische Formen, Kunstwerke –, dann enthüllen sie ihre Geheimnisse und ihre Bedeutung. Das gilt auch für ein Polaroidfoto: Es ist einzigartig, unkopierbar, vergänglich. Und das verleiht ihm eine geheimnisvolle Aura. Heute mehr denn je. Es scheint, als löse das Polaroid wieder den Zauber aus, den es bereits in den Fünfzigerjahren versprüht hatte. Das war nicht immer so. Die Geschichte von Polaroid ist auch eine Geschichte von Aufstieg und Fall.

In den Siebzigerjahren befand sich Polaroid auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit. Die Polaroid Corporation setzte 1,4 Milliarden Dollar um, beschäftigte 20 000 Mitarbeiter und war eine der berühmtesten und angesagtesten Marken der Welt. Allein im Jahr 1972 produzierte die Firma 5000 Modelle pro Tag, Künstler und Prominente nutzten die SX-70, deren Name zum Synonym für Kameras wurde. Der Oscar-Preisträger Laurence Olivier machte Werbung für das Produkt, die Künstlerlegende Andy Warhol verließ das Haus angeblich nicht ohne seine Polaroid, Helmut Newton nutzte die Kamera als Hilfsmittel, um Licht und Bildkomposition vor seinen Shootings zu testen.

Einmal insolvent und wieder zurück

Dabei hatte der Polaroiderfinder eigentlich andere Pläne. Edwin Land, Harvard-Studienabbrecher und zunächst mäßig erfolgreicher Erfinder, gründete die Firma 1937 in Minnesota, um mit Skibrillen, Linsen und Militärbedarf zu handeln. Erst 1948 hatte er die Idee, die ihn reich und berühmt machte. Dank seiner Tochter.

Der Firmenlegende nach fragte das Mädchen, warum sie das Bild, das ihr Vater gerade geschossen hatte, nicht sofort ansehen konnte. Knips – und die Idee für eine Sofortbildkamera war geboren. Bis 1980 blieb Land an der Spitze des Unternehmens, im Nachhinein nicht die beste Entscheidung. Denn seine spezielle Arbeitsweise beschleunigte den Untergang des Unternehmens.

Als Wissenschaftler war er zeitlebens ehrgeizig. Die Kameras wurden daher immer kleiner und handlicher, Land wollte vor allem die Farbintensität der Fotos verbessern. Außerdem war er davon überzeugt, dass die Kunden ihr Bild immer schneller ansehen wollten. So weit, so richtig. Das Problem war, dass er das richtige Ziel erkannte, aber den falschen Weg wählte.

Polaroid setzte auf Scanner

Polaroid hatte zwar das Monopol für die Instant-Fotografie durch zahlreiche Patente geschützt. 1996 brachte das Unternehmen sogar die erste Digitalkamera auf den Markt. Allerdings hatten bereits 40 Konkurrenten ähnliche Produkte entwickelt. Schlimmer noch: Land war davon überzeugt, dass die Nutzer weiterhin ausgedruckte Foto-Prints wollen – und setzte vermehrt auf Scanner und andere Geräte, mit denen man Fotos direkt ausdrucken konnte. Eine Fehleinschätzung. Mit Beginn der Digitalisierung sank das Bedürfnis der Kunden, das geschossene Foto unmittelbar in der Hand zu halten.

Sie wollten ihre Bilder lieber digital bearbeiten, auf Festplatten speichern und das gleiche Motiv zigfach fotografieren, ohne auf den Vorrat an kostbarem Fotopapier achten zu müssen. Welch grausame Ironie: Vier Jahrzehnte lang war Polaroid das Synonym für ein Prinzip, das die Digitalfotografie perfektionierte – der Druck auf den Auslöser, der den Nutzer sofort belohnt. Nun scheiterte sie genau daran.

2001 meldete die Firma erstmals Insolvenz an, es folgten mehrere Eigentümerwechsel und schließlich der Verkauf an die Petters Group. Damit endete die Pechsträhne jedoch nicht. Der Leiter der Holding wurde wegen Anlagebetrugs zu einer Gefängnisstrafe von 50 Jahren verurteilt. 2008 hatte er mit seinem Schneeballsystem Polaroid erneut in die Insolvenz getrieben. Schließlich kaufte ein Joint Venture 2009 das Unternehmen – oder zumindest das, was von der einstigen Kultfirma noch übrig war.


Simple Idee, großer Erfolg

Ein gutes Jahr später sollten ausgerechnet zwei Softwareentwickler aus dem Silicon Valley dem angeschlagenen Unternehmen zur Hilfe eilen. Zu dieser Zeit stellten Kevin Systrom und Mike Krieger eine neue App vor. Damals konnten die beiden nicht ahnen, dass Instagram sie schon zwei Jahre später reich machen würde – und sie ganz nebenbei auch noch Polaroid und ihr berühmtes Produkt vor dem kollektiven Vergessen bewahren würden.

Fünf erfolgreiche Comebacks
Weck-Gläser Quelle: Fotolia
Birkenstock-Schuhe Quelle: PR
Dual-Plattenspieler Quelle: Fotolia
Casio-Uhr Quelle: PR
Yes-Törtchen Quelle: PR

Ihr Programm basiert auf der vermeintlich simplen Idee, Fotos in einem eigenen Profil ins Netz zu stellen. Ein Jahr nach Firmengründung wurden bereits 100 Millionen Bilder über die Plattform hochgeladen, im April 2012 kaufte Facebook den Dienst für eine Milliarde Dollar. Und dieser Erfolg brachte auch Polaroid Aufmerksamkeit. Denn der Charme von Instagram liegt vor allem in der Möglichkeit, verschiedene Filter über die Bilder zu legen. Einer der beliebtesten lässt die Fotos so aussehen, als seien sie mit einer alten Polaroidkamera aufgenommen worden: grünstichig, leicht unscharf, etwas retro. Außerdem sind die Fotos in ihrer Form an die Polaroidquadratur angelehnt.

Dieser Trend legte den Grundstein für die Wiederauferstehung der Firma Polaroid: Der 45-jährige Scott Hardy führt seit 2012 das Unternehmen, früher war er Manager bei Dell und Intel. Er will analoge Fotografie für die digitale Generation attraktiv machen. Was sich anhört wie ein Widerspruch, scheint zu funktionieren. Polaroid verkauft seine Produkte inzwischen in 100 Länder weltweit.

Nur noch 40 Prozent des Umsatzes entstehen innerhalb der USA; Hardy legt in seiner Strategie Wert auf die Vernetzung mit Partnern. Er hat eine Kooperation mit Apple angestoßen, der Konzern verkauft Polaroidfotodrucker, außerdem wurde die Snap-Kamera entwickelt: eine Mini-Polaroid, mit der man die Fotos nicht nur direkt ausdrucken, sondern gleichzeitig auch ins Netz hochladen kann. Also gewissermaßen eine Sofortdruck-Digitalkamera. Sogar die berühmten Testimonials kommen wieder: Lady Gaga wurde vor ein paar Jahren zum „Creative Director“ des Unternehmens berufen.

Vor einem Jahr endete auch das jahrelange Ringen um die Firma. Die Pohlad-Dynastie, eine der reichsten Familien in Minnesota, kaufte die Mehrheit der Firma Polaroid – für 70 Millionen Dollar.

Es bleibt abzuwarten, wie lange die Renaissance des Sofortbildes anhalten wird. Die Polaroidentwicklungskosten sind nicht niedrig. 50 Blatt Fotopapier der Snap kosten fast 30 Euro. Ob das Bedürfnis auch weiterhin groß genug sein wird, Fotos aus der digitalen Bilderschwemme zu reißen und in der Hand zu halten?

Aber vielleicht geht es auch um etwas ganz anderes. Um Vorfreude. Um den kleinen Moment der Spannung, den ein Polaroidbild schenkt. Sehe ich gut aus? Oder ziehe ich wieder eine komische Schnute? In Zeiten der perfekt bearbeiteten Selfie-Klone bieten solche Erlebnisse wieder etwas Menschliches. Und dokumentieren gleichzeitig einen Moment, der vielleicht nicht perfekt ist – aber wenigstens wahrhaftig.

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