Red Dot Award Funktionales Design trifft Liebe zum Detail

Der Red Dot Award ist einer der wichtigsten Designpreise der Welt. Die deutschen Gewinner zeigen: Schöne Formen entstehen vor allem dank solider Ingenieurskunst.

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Die Sieger des Red Dot Award. Quelle: Pressebild, Montage

Der Plan war ambitioniert. 50.000 Euro wollten Thomas Kaiser und Christian Wassermann Anfang des Jahres beim Crowdfunding-Portal Startnext einsammeln. Mit ihrem Unternehmen höfats wollten sie einen besonderen Holzkohlegrill herstellen. Zum Vorzugspreis von 465 Euro für alle, die sich an der Sammelaktion beteiligten. Der Erfolg übertraf ihre Erwartungen: Am 6. Januar hatten sie genau 66.751 Euro beisammen. Der Grill namens Cone ging in Produktion.

Was die Geldgeber damals noch nicht ahnen konnten: Sie investierten in ein Produkt, das schon zwei Tage vor der ersten Auslieferung eine renommierte Auszeichnung erhielt: den Red Dot Award – einen der wichtigsten Designpreise der Welt, den das Design Zentrum Nordrhein-Westfalen bereits seit 1954 vergibt.

In diesem Jahr konnten sich Schöpfer und Hersteller industriell gefertigter Produkte in insgesamt 31 Kategorien bewerben. Drei Tage lang wählte eine 38-köpfige Jury aus vielen Tausend Produkten aus aller Welt die besten aus. Diese werden nun unter anderem im Essener Red Dot Design Museum präsentiert.

In den vergangenen Jahren erhielten den Preis unter anderem weltbekannte Marken und Hersteller wie Apple, Nomos, BMW, Hansgrohe, Bose oder Steinway & Sons. In diesem Jahr sind nun auch Thomas Kaiser und Christian Wassermann dabei. Sie nannten ihren Grill Cone, in Anlehnung an das englische Wort für Kegel oder Eiswaffel – weil er eben so aussieht, bloß mit Deckel drauf und Füßen dran.

Christian Wassermann und Thomas Kaiser Quelle: Bernhard Haselbeck für WirtschaftsWoche

Das Geheimnis ihres ausgezeichneten Designs sei einfach, sagt Kaiser: „Die Form resultiert aus den technischen Anforderungen.“

Bei herkömmlichen Grills wird die unmittelbare Hitze unter Würstchen und Steaks verändert, indem man den Rost nach oben oder unten schiebt. Beim Cone hingegen wird die Kohleschale in der Höhe verstellt. Fährt man die Glutebene ganz nach unten, wird die Luftzufuhr gestoppt. Benötigt der Grillmeister starke Hitze, fährt er sie wieder nach oben. Von außen, bei geschlossenem Deckel.

Zeitgleich wird so die Luftzufuhr geregelt und damit das Brennverhalten der Kohle und mithin die Hitze gesteuert. „Das würde in einem Zylinder nicht funktionieren“, sagt Wassermann. Denn dort wäre es stets die gleiche Menge Luft, die seitlich an dem Kohlehalter vorbeiströmt: „Dafür braucht es einen konischen Körper.“

Die Form folgt der Funktion. Kein Mantra des Produktdesigns wird häufiger wiederholt. Designer berufen sich darauf, Hersteller schmücken sich damit. Der deutsche Mittelstand füllt das Motto mit Leben – auch wenn es für außergewöhnliche Formen meist wenig Ruhm und Ehre gibt. Ob Krankenhausbett, Konferenzmöbel oder Kabelführungsschlauch – häufig gibt die Technik Vorgaben und erzwingt die Form. Nur in Ausnahmefällen entstehen dabei Produkte, die ebenso schön anzusehen wie intuitiv zu bedienen sind.

Die schönsten deutschen Produkte
Commuter von Canyon Quelle: PR
sqUeezed von Heike Wal Quelle: PR
Digitalkamera T von Leica Quelle: PR
Dakota D030 von Maxguard Quelle: PR
Care-O-bot 4 von Fraunhofer IPA und Schunk Quelle: PR
Complete Smart von Leitz Quelle: PR
TAN-Generator tanJack Bluetooth von Reiner Kartengeräte Quelle: PR

Dabei geht der Trend eindeutig zum hauseigenen Designer. 185 deutsche Produkte, die in diesem Jahr einen Red Dot Award erhalten, wurden von externen Kräften entworfen. 217 Produkte stammten aus internen Federn.

Designteam des Jahres wurde die Abteilung von Bosch Hausgeräte um Robert Sachon. Er verantwortet die Gestaltung aller Produkte von Kühlschrank über Kaffeeautomaten bis Einbauherd und macht aus der sprichwörtlichen Not gerne eine Tugend: „Enge technische Vorgaben wie Bauhöhen machen erfinderisch.“

Steckdose in der Tischplatte

Das weiß auch Siegfried Schulte. Der 80-Jährige arbeitet bereits seit 1964 als Ingenieur und Erfinder. Dass in Fahrzeugen die Schalter für Blinker, Licht und Scheibenwischer in einem Bauteil stecken, geht auf seine Idee zurück. Das entsprechende Patent verkaufte er 1976, mit dem Erlös baute er seine erste Fabrik. Seitdem hat Schulte knapp 300 Patente entwickelt.

Doch noch immer ist er ein Bastler und Tüftler. Ein Problem, das an ihm nagt, will er lösen und so lange rumprobieren, bis es beiseite geschafft ist.

Zum Beispiel die Sache mit den Rasenmähern. Vor einigen Jahren wollte Schulte Unfälle mit den elektrischen Geräten verhindern. Immer wieder kam es vor, dass allzu eifrige Hobbygärtner bei der samstäglichen Rasur des Rasens aus Versehen über die Schnur fuhren – mit teilweise tödlichen Folgen. Nicht minder dramatisch klingt Schultes Antwort: Der „Totmannschalter“ stoppt die Klingen, wenn der Mensch den Griff loslässt.

Evoline BackFlip Quelle: PR

Mit Liebe fürs Detail

Seine Produkte sind mehrfach mit Designpreisen ausgezeichnet worden. In diesem Jahr sind beim Red Dot Award gleich zwei dabei, darunter der Evoline BackFlip, eine Steckdose für Tischplatten.

Deren Clou: In geschlossenem Zustand ist sie nur eine dünne Platte auf der Arbeitsfläche. Tippt man jedoch sanft mit einem Finger drauf, dreht sie sich um 180 Grad und offenbart ihre nützliche Seite – Steckdosen und USB-Anschlüsse. Nützlicher Nebeneffekt: Beide liegen so hoch über der Tischplatte, dass sie vor Kaffee oder Wasser geschützt sind.

Das Äußere der Steckdose habe sich von selbst ergeben, sagt Schulte betont nüchtern. Viel wichtiger sei, dass sich die Unterseite der Klappe dank des Aluminiums gut anfühle, dass die Kanten geschmeidig in den Kunststoffteil übergehen. Auch mit 80 Jahren legt Schulte Wert auf solche Details. Einmal Designer, immer Designer.

Das können die beiden Grillexperten Thomas Kaiser und Christian Wassermann gut nachvollziehen. Auch sie haben ständig neue Ideen. Manche schaffen es auf eine gemeinsame Liste, einige davon in die ernste Planung.

Rucksackfahrrad und Flaschenöffner

Die Designer lernten sich während des Maschinenbaustudiums an der Hochschule Kempten kennen. Danach gingen sie gemeinsam an die Weißensee Kunsthochschule Berlin. Von 350 Bewerbern wurden 15 angenommen. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihnen der dortige Professor Helmut Staubach, Experte für Produktdesign: „Ihm war wichtig, dass technisches Verständnis für die Produkte vorhanden ist“, sagt Kaiser heute.

In diesen Küchen regiert das Design
Der Küchenhersteller Schüller setzt auf wuchtige Holzschränke aus Alt-Eiche und geradlinige Fronten aus mattem Glas in Indigoblau. Quelle: PR
Küchengeräte und Vorräte verschwinden bei Schüller hinter großen Holz-Türen - die Schränke erinnern damit immer mehr an Wohnwände, als an Küchenregale. Quelle: PR
Diese Küche hat Poggenpohl zusammen mit dem Design-Team von Porsche gebaut. Auftrag: Eine Küche für den Mann. Quelle: PR
Kronleuchter, Glas und gläzende Fronten: SieMatic betont bei diesem Vorführmodell aus dem Showroom in New York auf das Zusammenspiel von verschiedenen Materialien. Quelle: Siematic
Die Amerikaner mögen es klassisch: Weiße Fronten, kleine Griffe und Schränke mit Konturen sind dort noch immer sehr beliebt, sagt SieMatic-Marketingexperte Jörg Overlack. Auch dieses Modell ist Bestandteil des Showrooms in New York. Quelle: Siematic
Auch Deutschlands größter Küchenhersteller Nobilia löst die Trennung zwischen Küche und Wohnzimmer auf: Hier befindet sich der Herd fast direkt neben dem Fernseher. Quelle: PR
Auch Fronten in auffallenden Farben bietet Nobilia an. Quelle: PR

Das berücksichtigten sie auch bei der Abschlussarbeit ihres Maschinenbaustudiums, einem Rucksack-Fahrrad namens Bergmönch. Es wird auf dem Rücken auf den Gipfel getragen und auf Rollen wieder heruntergefahren.

Ihr erstes Produkt unter eigener Regie war der Flaschenöffner Johnny Catch, der in diesem Jahr ebenfalls einen Red Dot Award erhielt. Er wird an der Wand befestigt und fängt dank seines integrierten Magneten bis zu 20 Kronkorken auf.

„Wir wollten mit einem kleinen Produkt den kompletten Prozess durchziehen, von Idee bis Vertrieb“, sagt Kaiser. Deshalb sieht der Johnny Catch nicht nur gefällig aus, sondern funktioniert auch. „Reinen Designern gelingt es oft nicht, ein Produkt wirklich fertig zu machen“, sagt Kaiser.

Ihr technisches Können ermöglichte es hingegen, das weitaus größere Projekt des Grills Cone anzugehen – in seinem Segment eine Innovation.

Unsichtbares Design

Das gilt auch für den Fahrradschlauch Procore von Schwalbe. Der Hersteller stammt aus der oberbergischen Gemeinde Reichshof, etwa 60 Kilometer östlich von Köln, 370 Meter über dem Meeresspiegel – für den Rheinländer eine anspruchsvolle Höhe, für Hobbyradfahrer ebenfalls. Insofern passt der Firmensitz zum Geschäft.

Doch im Vergleich zu den anderen 80 Produkten, die beim diesjährigen Red Dot Award mit dem Zusatz „Best of the Best“ ausgezeichnet wurden, fällt der Procore aus der Reihe. Und das nicht nur, weil er mit seiner knallblauen Farbe vom Schwalbe-Design abweicht. Sondern vor allem, weil er im Alltag unsichtbar ist.

Funktionales Design für Fahrradfahrer

Der Procore ist eine Entwicklung speziell für Mountainbikefahrer. Deren Wünsche an einen Reifen widersprechen sich. Einerseits soll der Luftdruck möglichst niedrig sein. Das gibt bessere Haftung auf losem Untergrund wie Schotter oder auch Waldwegen. Andererseits muss der Reifen bei waghalsigen Abfahrten notfalls einen Aufprall auf Steinen und Wurzeln auffangen, ohne dass die Felge zu Schaden kommt.

Markus Hachmeyer Quelle: Dominik Asbach für WirtschaftsWoche

Die Lösung: ein Hochdruckreifen im Mantel und ein Ventil, das mit einer Schraubbewegung entweder den inneren Hochdruckreifen oder den äußeren Mantel aufpumpt. Ist alles montiert, ist das Produkt unsichtbar.

Deshalb schreckte der Schwalbe-Chefentwickler Markus Hachmeyer zunächst auch davor zurück, den Procore zum Red Dot Award einzureichen. Erst als das System bei der Fahrradmesse Eurobike ausgezeichnet wurde, entschied er sich dafür.

Siegfried Schulte hält nichts von solch falscher Bescheidenheit. Für ihn gehört es seit Jahrzehnten dazu, hauseigene Entwicklungen bei verschiedenen Designwettbewerben einzureichen. Den Erfolg nutzt er gerne als Marketingvehikel: Auf Verpackungen druckt er die verschiedenen Logos der Auszeichnungen, darunter den Designpreis des Landes Nordrhein-Westfalen oder den iF Award des International Forum Designs in Hannover.

"Keine technischen Kompromisse"

Seine Leidenschaft für Design ist auch in der neuen Unternehmenszentrale in Lüdenscheid bemerkbar. Dort verlaufen alle Kabel unterhalb von Bodenelementen, die jederzeit ausgetauscht werden können. Dadurch, schätzt Schulte, sparte er etwa 3,5 Kilometer Kabel.

Thomas Kaiser und Christian Wassermann gingen bei ihrem Grill weniger sparsam vor. Insgesamt wiegt der Cone knapp 20 Kilo: „Wir wollten keine technischen Kompromisse“, sagt Kaiser, „aber auch kein Produkt nur für die Oberklasse.“ Aktuell kostet der Grill knapp 600 Euro.

Ihr Ideenzettel ist schon wieder gut gefüllt. Neben Auftragsarbeiten stehen derzeit die ersten Prototypen an. Und wachsen möchte ihr Unternehmen höfats auch, derzeit haben sie einen festen Mitarbeiter und suchen einen Auszubildenden. Freude am Grillen ist von Vorteil. Denn der Cone vor ihrer Eingangstür ist gleichzeitig die Betriebskantine, sagt Kaiser: „Wir müssen unsere Produkte ja auch selber testen.“

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