Sensoren Wie die Selbstvermessung den Sport erobert

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"Tracking ist ein wichtiger Trend"

Auch der Marktforscher Gartner prognostiziert großes Kundeninteresse. 2020 schon soll die Industrie weltweit 200 Millionen Fitness-Gadgets im Wert von knapp 16 Milliarden Dollar absetzen. Heute sind es gerade 8,6 Milliarden Dollar (siehe Grafik unten).

„Tracking ist ein ganz wichtiger Trend. Gerade bei Profivereinen sehen wir die Entwicklung hin zum transparenten Spieler“, sagt Stefan Wagner, der beim Softwarehersteller SAP die globale Entwicklung von Anwendungen in Sport und Unterhaltung verantwortet. Transparent ist durchaus wörtlich zu verstehen: Germán Burgos etwa, Co-Trainer beim spanischen Fußballmeister Atlético Madrid, ließ sich Bewegungs- und Fitnessstatistiken der Spieler im April 2014 testweise ins Display seiner Google-Glass-Datenbrille einblenden. Da steckte das Team mitten im Kampf um die Meisterschaft. Am Ende errang Atlético einen wichtigen 2:0-Sieg gegen FC Getafe.

Taktiktipps aus dem Rechner

Mess- und Positionswerte stammen entweder von Sensoren, die die Spieler – wie in Göttingen – am Körper tragen, oder – etwa bei Fußballspielen – von Kamerasystemen, die in Stadien oder Trainingsanlagen installiert sind. 30 bis 200 Mal pro Sekunde liefert die Technik so Rohstoff für ein dreidimensionales Abbild aller Bewegungen. Empfänger am Spielfeldrand fangen die Signale auf. Bei Fußballspielen fallen so im Schnitt mehr als drei Millionen Messwerte an. Forscher vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen haben gar einen Chip im Ball entwickelt, der bis zu 2000 Mal pro Sekunde seine Position übermittelt.

Umsatz mit vernetzten Fitnessprodukten

Doch ob Profi- oder Breitensportler: Die schiere Datenmasse hilft wenig. „Ohne Interpretation im Trainings-Computer ist sie nutzlos“, sagt Daniel Memmert, Professor für Kognitions- und Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln. „Aber gebündelt erhalten wir immensen taktischen Mehrwert – etwa zu Angriffs- oder Abwehrkonstellationen“, sagt der Sportwissenschaftler, der auch Videodaten der Fußballbundesliga auswertet.

Vorteil der Technik gegenüber dem kritischen Auge des Trainers: Sie ist objektiv. Ärgert sich ein Trainer über einen verkorksten Pass, können die Daten ihm verraten, dass der Spieler vorher mit fünf exzellenten Pässen Torchancen herausgespielt hat – oder eben schon mehrfach gefährliche Konter der Gegner verursachte.

Die Fernvermessung ermöglicht es sogar, zu erkennen, wann es Zeit wird, Spieler auszuwechseln oder das Training zu beenden – bevor die Sportler selbst die Erschöpfung spüren. Solch ein Frühwarnsystem kann Sportunfälle vermeiden. Catapult errechnet aus den Messdaten die Kenngröße „Player Load“. Daran kann der Trainer die Belastung von Muskeln und Gelenken ablesen und Spieler schonen. Daneben ermöglicht die Auswertung auch, zu erkennen, ob ein Spieler auf dem rechten oder linken Bein schwächer ist – und gezielt den Muskelaufbau trainieren sollte.

WM-Sieg dank digitaler Kicker

Für wachsendes Interesse an der Messtechnik im Sport sorgt nicht zuletzt der Erfolg, der den Statistiken zugeschrieben wird. So führt etwa Oliver Bierhoff, Manager der deutschen Fußballnationalmannschaft, den Erfolg bei der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien – auch – auf die intensiven Datenanalysen zurück.

Der Softwarehersteller SAP, der Teile der Analytik geliefert hat, wertet länger schon Bewegungs- und Fitnessdaten der Kicker der TSG 1899 Hoffenheim aus, zu deren Finanziers SAP-Mitgründer Dietmar Hopp gehört. Doch seit dem WM-Sieg verzeichnet SAP-Sportspezialist Wagner deutlich mehr Interesse von anderen Teams: „Plötzlich melden sie sich: ‚Helft uns zu gewinnen!‘“, sagt er. In den kommenden Jahren rechnet der Softwarekonzern daher mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 30 Prozent in der Sportindustrie.

Zumal die Daten auch neue Serviceangebote ermöglichen: So könnten die Vereine ihren Fans gestützt auf die Daten neue Informationsdienste verkaufen, Liveticker etwa mit Fitnesszustand der Publikumslieblinge. Noch allerdings sind das Gedankenspiele. Denn obwohl viele Bundesligisten bereits mit Sensoren trainieren, im Spielbetrieb sind sie noch nicht zugelassen. Wie das jahrelange Hickhack um die Torlinientechnik zeigt, verbindet IT und Profifußball eine schwierige Beziehung.

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