Gesellschaft Thesen für eine neue Konsumkultur

Wir kaufen zu viel, arbeiten zu viel und machen uns zu wenig Gedanken um unseren Planeten. Die Soziologin Juliet Schor fordert ein radikales Umdenken und eine neue Art des Wirtschaftens.

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Eine Frau trägt Quelle: dpa

Vor der Finanzmarktkrise von 2008 steigerte sich die Weltwirtschaft in einen nie dagewesenen Kaufrausch. Dieser kollektive Rausch wurde auch von der in Asien wachsenden, zunehmend wohlhabenden Mittelschicht angetrieben. Doch auch in den reichen Ländern nahm die Konsumlust kräftig zu, vor allem in den USA. Jahr für Jahr.

Diese Entwicklung hatte sich bereits seit Jahrzehnten abgezeichnet. 1969 betrug der Anteil des für den privaten Verbrauch aufgewendeten Bruttoinlandsproduktes 61,5 Prozent. Der Rest verteilt sich auf Bruttoinvestitionen, Ausgaben des Staates und Außenbeitrag. 20 Jahre später hatten sich die Konsumausgaben der privaten Haushalte auf einen Anteil von 65,6 Prozent erhöht und im Jahr 2007 die 70 Prozent überstiegen. Die Pro-Kopf-Ausgaben erreichten im selben Jahr mit 32 144 Dollar einen Höchststand.

Eine beachtliche Summe, verglichen mit dem globalen Durchschnittseinkommen von nur 8000 Dollar.

Mit dem zunehmenden Konsum geht ein weiterer Trend einher: Der Warenfluss zwischen den privaten Haushalten und der Wirtschaft beschleunigt sich gewaltig.

Der Grund: In reichen Ländern werden Güter, die der Grundversorgung dienen – etwa Essen, Kleidung, Wohnungen und Transportmittel – zunehmend zu Symbolen. Marken, Moderichtungen und Exklusivität werden dazu benutzt, den gesellschaftlichen Status zu zeigen. Die Güter an sich verlieren an Bedeutung, die soziale Konnotation steigt.

Kollektiver Klamotten-Wahn

Ich nenne das "materiality paradox". Es beschreibt die Vorgänge während des Booms und ist ein Grund dafür, dass die Erde für unser Konsumverhalten einen immer größeren Preis bezahlt. Dieses "materiality paradox" zu überwinden ist eine unserer dringlichsten Aufgaben.

Ein gutes Beispiel ist der Bekleidungssektor – nicht weil Textilien ökologisch gesehen eine so zentrale Rolle spielen (das tun sie nämlich nicht), sondern weil hier das wenig nachhaltige Verhalten der Verbraucher besonders deutlich wird.

20 Jahre lang stieg der Absatz von Kleidung kontinuierlich. 1991 legten sich die Amerikaner jährlich im Schnitt 34 neue Kleidungsstücke zu – unter anderem Hosen, Kleider, Pullover, T-Shirts, Unterwäsche. 1996 stieg diese Zahl auf 41. 2006 wiederum war der Pro-Kopf-Verbrauch auf 67 Teile geklettert. Das heißt, dass amerikanische Verbraucher alle 5,4 Tage ein neues Kleidungsstück kaufen.

Die Industrie gibt den Produkten, die sich nur kurz auf dem Markt halten, einen prosaischen Namen: schnelllebige Verbrauchsgüter oder fast moving consumer goods (FMCG). Ursprünglich handelte es sich dabei um Dinge wie Zahnpasta und Waschmittel, die man im Handumdrehen aufbraucht.

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