Energieversorger Polarstern "Wir brauchen doch keine Millionen"

Mit einem Energieversorger lässt sich nicht reich werden - die Polarstern-Gründer haben trotzdem Spaß daran.

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Sie könnten ihre Urlaube auf den Bahamas verbringen, Nadelstreifenanzüge tragen und in Sportautos durch ihren Wohnort München kurven.

Doch sie tragen T-Shirt und Jeans. Statt am Taittinger nippen Simon Stadler, Jakob Assmann und Florian Henle (Titelbild von links) in einem Münchener Biergarten an ihren Saftschorlen.

Die Unternehmer sind Mitte 30 und haben wirtschaftswissenschaftliche Abschlüsse, die sie eigentlich zu Großverdienern prädestinieren. Doch die große Karriere interessiert sie nicht. Sie wollen lieber die Welt verbessern.

Deshalb haben sie 2011 das Unternehmen Polarstern gegründet, das Kunden mit Ökogas und Ökostrom beliefert. Im Interview mit WiWo Green erzählen sie, warum sie sich als Sozialunternehmer ausgerechnet den hart umkämpften Energiemarkt ausgesucht haben, wie sie sich vor der Pleite gerettet haben und was Geld ihnen bedeutet.

Seit fünf Jahren seid ihr mit einem Sozialunternehmen auf dem Markt. Das ist schwer genug. Als Energieversorger habt ihr euch auch noch eine besonders harte Branche ausgesucht. Warum?

Florian Henle: Wir sind in den Markt gegangen, weil wir dort die Chance sehen, die Energiewende voranzubringen. Wir haben überlegt, weshalb es Ökostrom gibt, aber keine guten Ökogasprodukte. Denn der Wärmemarkt, der zum größten Teil über Gas läuft, macht etwa 80 Prozent des Energieverbrauchs aus, Strom nur 20 Prozent. Also haben wir entschieden, neben Ökostrom auch Biogas anzubieten.

Jakob Assmann: Wir wollen die maximale Herausforderung. Das bedeutet, nicht nur ökonomisch sondern auch sozial und ökologisch erfolgreich zu sein. Wenn man schon viele Kapazitäten in ein Unternehmen steckt, sollte man etwas Sinnvolles machen. Wer braucht schon die siebte Foto-App?

Florian: Wir haben unser Unternehmen so aufgebaut, wie wir es für richtig erachten und es auch von anderen erwarten würden. Das heißt, nicht nur kurzfristig auf die finanzielle Rendite zu schauen. Am Ende wurde daraus ein Social Business.

Ihr steht mit Polarstern kurz vor der Gewinnschwelle – was habt ihr anderen Sozialunternehmern voraus?

Simon Stadler: Vielleicht den wirtschaftlichen Hintergrund. Wir wollten etwas Gutes machen und mussten Gott sei Dank nicht noch dazulernen, wie man mit Zahlen umgeht und Geld verdient.

Florian: Wir haben uns Gedanken gemacht, wie die Geldströme für unsere Produkte Ökostrom und Ökogas fließen und wohin sie gehen: Zum Beispiel nach Kambodscha. Jeder Polarstern-Kunden unterstützt dort Familien mit 20 Euro jährlich um den Bau einer eigenen kleinen Biogasanlage zu realisieren.

Das klingt nett, aber was haben kambodschanische Kleinbauern mit der Energiewende zu tun?

Jakob: Die Erderwärmung muss man global bekämpfen. Das bedeutet auch, Armut zu reduzieren, innovative Technologien zu fördern, eine saubere Energieversorgung zu gewährleisten. Der Klimawandel wird die größte Ursache für Flüchtlingswellen sein. Wer ökologisch denkt, denkt automatisch sozial.

Was habt ihr bislang erreicht?

Florian: Seit der Belieferung der ersten Kunden Ende 2011 bis heute konnten wir 16.000 Tonnen CO2 einsparen. Gemeinsam mit ihnen und unseren Partnern vor Ort haben wir dort etwa 5.000 Menschen die Energieversorgung über eine Mikro-Biogasanlage ermöglicht. Anstatt Holz zu sammeln, können Mädchen in die Schule gehen und beim Schein einer Gaslampe abends Hausaufgaben machen. Mit den Gärresten behandeln die Bauern ihre Böden und brauchen kein Geld für chemische Dünger ausgeben.

Ich wollte richtig Kohle verdienenDiplomwirt, MBA, Doktor – ihr habt tolle Management-Abschlüsse. Woanders könntet ihr wahrscheinlich sehr viel mehr Geld verdienen.

Jakob: Uns geht es nicht darum, das nächste Unicorn (Milliardenunternehmen - die Red.) zu gründen. Klar, wollen wir gut leben. Aber dazu braucht man doch keine Millionen, da reicht doch ein normales Gehalt.

Habt ihr immer so gedacht?

Jakob: Nein. Ich habe BWL studiert, weil ich richtig Kohle verdienen wollte. Als ich nach meinem Abschluss auf Weltreise war, hatte ich Zeit nachzudenken. Ich habe mich gefragt, was mache ich eigentlich mit der ganzen Kohle auf meinem Konto? Wie wird das mein Leben verändern, welches Gefühl will ich damit erzeugen? Wenn man das genau hinterfragt, hört man damit auf, sich selbst zu betrügen.

Florian: Ich bin auch klassisch betriebswirtschaftlich konditioniert gewesen. Zum Glück gab es einen Umdenkprozess. Der Grenznutzen von Geld als Motivator ist schnell erreicht. Was Dich wirklich bewegt, ist Sinn.

Was unterscheidet euch von anderen Versorgern, etwa den Stadtwerken München, die auch grüne Energie anbieten?

Jakob: Klar haben die auch Ökostrom. Die Stadt München, die Besitzerin der Stadtwerke, ist sonst aber zu 99 Prozent fossil. Die haben neben Kohlekraftwerken ganz viel Atomenergie und einen einzigen Ökotarif. Auch bei Eon kann man Ökostrom kaufen, wenn man das sinnvoll findet. Man kriegt schließlich auch bei McDonalds einen Salat.

Florian: Wir wollen den fossilen Platzhirschen die Kunden abjagen.

Wie das?

Jakob: Die Leute, die zu uns gehen, wollen eine Firma, die zu 100 Prozent erneuerbar ist, nicht nur ein bisschen. Ökogas bieten die Stadtwerke München beispielsweise gar nicht an. Sie nennen das zwar so, aber das ist im Endeffekt Erdgas, bei dem CO2 durch gepflanzte Bäume kompensiert wird. Der durchschnittliche deutsche Ökogas-Tarif enthält einen Ökogas-Anteil von weniger als zehn Prozent, der Rest kommt aus fossilen Quellen. Unser Ökogas wird dagegen komplett aus organischen Reststoffen erzeugt. Wir verwenden Zuckerrübenreste aus der Zuckerproduktion, Abfälle die ohnehin anfallen. CO2 entsteht nicht zusätzlich, also müssen wir nichts kompensieren. Das macht sonst niemand.

Was macht ihr noch anders?

Jakob: Wir suchen unsere Lieferanten penibel aus. Wir überprüfen sehr genau, ob etwa unser Wasserkraftwerkspartner in Feldkirchen in irgendeiner Weise mit der Atomindustrie verflochten ist. Oder die Biogasanlage in Ungarn, die Ökogas produziert. Wir wollen wissen, was genau da fermentiert wird. Gülle kommt bei uns nicht in Frage, weil die oft aus der Massentierhaltung stammt. Energiepflanzen, die extra angebaut wurden und in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln stehen, auch nicht.

Simon: Wir halten unsere Kunden nicht gegen ihren Willen in Verträgen oder verkaufen ihnen Graustrom. Wir haben ein transparentes Produkt, wenn jemand trotzdem nicht zufrieden ist, soll er die Möglichkeit haben, zu gehen.

Schlagt ihr den Mehraufwand beim Energiepreis drauf?

Florian: Wir sind bundesweit sogar günstiger als andere, zumindest im Strombereich. Das geht, weil wir als kleiner Anbieter keinen bürokratischen Wasserkopf haben. Wir können alles neu und sehr effizient aufbauen. Wir haben viel geringere Overhead-Kosten als die Grundversorger, dafür sind unsere Margen natürlich niedriger.

Wir sind eher ein BeamtenstartupWie verträgt sich das mit euren Gehältern?

Florian: Die ersten Jahre haben wir natürlich verzichtet, das ist normal.

Jakob: Wir wollen nicht sagen wie viel wir uns auszahlen, aber wir können jetzt gut davon leben. Das muss es auch verdammt noch mal hergeben. Aber klar, jetzt muss ich erstmal ein paar Schulden zurückzahlen.

Wie sieht das Arbeitspensum bei Polarstern aus?

Florian (lacht): In der Hinsicht sind wir wohl eher ein Beamtenstartup.

Jakob: Wir arbeiten natürlich auch viel, aber versuchen, möglichst effizient zu sein, damit unsere Mitarbeiter nach dem normalen Pensum nach Hause gehen können.

Und wie ist das bei euch?

Florian: Wir machen ein bisschen mehr. Ich versuche aber am Wochenende nicht zu arbeiten und das klappt fast immer. Ich schaue, dass ich um 18 Uhr aus dem Büro gehe, damit ich noch mit meinen Kindern zu Abend essen kann. Wenn noch was zu tun ist, mache ich das halt wenn sie schlafen.

Jakob: Bei mir ist das ähnlich. Ich bin auch Vater und will natürlich mein Kind sehen.

Damals standen wir vor dem AbgrundDas klingt so leicht, ist es aber nicht.

Florian: Nein. Es war schon hart, mit wenig Ressourceneinsatz einen Energieversorger aufzubauen. Unser Geschäftsmodell basiert darauf, Leute davon zu überzeugen, dass wir etwas Sinnvolles machen. Als wir anfingen, war Social Entrepreneurship noch total exotisch. Wir hatten keinen Business-Plan in der Tasche mit Wachstumskurven, die wie Hockeyschläger aussehen. Wo es schnell steil bergauf geht und die dicken Margen warten. Die Finanzierung war natürlich immer ein Thema.

Gab es einen Moment, wo ihr aufgeben wolltet?

Florian: Ja, da standen wir mit der Finanzierung am Abgrund. Vor zweieinhalb Jahren war das. Ein Investor zahlte plötzlich nicht mehr. Wir mussten die Finanzlücke schnell schließen, denn zu dem Zeitpunkt waren wir noch nicht profitabel. Da haben wir uns natürlich gefragt, ob es uns morgen noch gibt. Das war eine beschissene Zeit, auch noch über Weihnachten.

Simon: Damals hat sich die Stimmungslage stündlich geändert. Wir haben immer abwechselnd die Krise gekriegt. Wenn Du da nicht das richtige Team hast, bleibst Du liegen.

Wie ging es weiter?

Jakob: Wir haben einen Ersatzinvestor gesucht. In so einer Situation zu pitchen, ohne Erfolge vorweisen zu können, das geht eigentlich gar nicht. Wir haben trotzdem in letzter Sekunde einen Geldgeber gefunden.

Wie das?

Jakob: Wir sind ganz stark über die Geschichte, über die Inhalte gegangen. Haben Überzeugungsarbeit geleistet.

Florian: Das alles ist zum Glück abgehakt und gut für uns ausgegangen.

Ihr seid nicht mehr abhängig von Geldgebern?

Florian: Nein. Wir hatten Angebote von VCs, Wagniskapitalgebern, die bei uns investieren wollten. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, weil wir unserer Freiheit nicht aufgeben wollten. Wir wollen keine Leute, die uns sagen, diese 20 Euro für Kambodscha. Das ist ja eine zweistellige Marge, die euch fehlt. Für zwei Jahre könnt ihr das doch einstampfen, damit die Rendite stimmt.

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Cool die Welt retten - was Polarstern und andere Sozialunternehmer anders machen, lesen Sie auch in der aktuellen Ausgabe der gedruckten Wirtschaftswoche Green Economy. 

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