Fotovoltaik Effizienzsprung bei druckbaren Billig-Solarzellen

Schweizer Chemiker haben Farbstoff-Solarzellen so leistungsstark gemacht wie herkömmliche Dünnschicht-Technik. Das könnte den Solarmarkt revolutionieren.

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Wer im Wissenschaftsmagazin Nature einen Aufsatz veröffentlichen darf, hat zuvor in der Regel eine kleine oder größere Forschungssensation erreicht. Michael Grätzel, renommierter Chemiker an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne, ist schon mehrmals in den Genuss gekommen. Heute aber gelingt ihm einer seiner größten Coups. Denn er veröffentlicht in Nature einen Aufsatz über eine neuartige Solarzelle, die die Fotovoltaik billiger und allgegenwärtig machen kann.

Seit mehr als 20 Jahren forscht Grätzel an so genannten Farbstoff-Solarzellen - eine neuartige Technik, die statt teurem hochreinen Silizium billige Farbstoffe benutzt und daraus bunte und biegsame Solarmodule erzeugt. Nun ist ihm eine Zelle gelungen, die einen Rekord-Wirkungsgrad von 15 Prozent hat, also 15 Prozent des auftreffenden Sonnenlichts in Strom umwandelt.

Das ist zwar etwas weniger als viele kommerzielle Silizium-Zellen leisten, kommt aber an das Niveau kommerzieller Dünnschicht-Solarzellen heran. Zudem lassen sich die Grätzel-Zellen mit sehr preiswerten Materialien herstellen, und zwar in gewöhnlichen Siebdruckmaschinen. Und sie holen auch aus schräg einfallendem und diffusem Sonnenlicht noch viel Energie heraus.

Bei seinen neuen Zellen setzt der renommierte Forscher auf so genannte Perowskite. Das sind spezielle Mineralien, die sich als Pulver zu einer Zellschicht auftragen lassen. Der deutsche Mineraloge Gustav Rose hatte die Materialien bereits 1839 entdeckt. Für die Herstellung von Solarzellen verwenden Forscher sie erst seit kurzem. Aber die Fortschritte sind enorm: Vor knapp zwei Jahren erreichten Wissenschaftler mit solchen Zellen gerade mal 6,5 Prozent - Grätzel schaffte nun 15 Prozent. "Einen solchen Durchbruch erlebt man als Forscher nur sehr selten", sagt Grätzel im Gespräch mit Wiwo Green.

Technik für HauskraftwerkeDer Erfolg steigert die Aussichten für eine rasche Kommerzialisierung der Farbstoff-Solarzellen. Denn zum einen haben die Grätzel-Zellen nun den Wirkungsgrad von vielen Dünnschichtsolarzellen eingeholt, die bereits massenhaft in riesigen Solarkraftwerken Strom erzeugen. Damit können sie nicht mehr nur in Solartaschen oder drahtlosen Tastaturen verwendet werden, sondern auch in Hauskraftwerken.

Zum anderen sind die neuen Zellen viel leichter herzustellen, als bisherige Farbstoff-Solarzellen.

Das liegt daran, dass sie nun ohne flüssige Bestandteile auskommen. Diese hatten die Lebensdauer der bisherigen Zellen auf wenige Jahre begrenzt, weil sie mit der Zeit durch die Plastikversiegelung nach außen drangen. Feststoff-Solarzellen dagegen waren nicht leistungsstark genug. "Seit 1998 war ich bestrebt, eine Feststoff-Farbstoffsolarzelle zu entwickeln", sagt Grätzel. "Aber lange Zeit erreichten die Laborzellen nur einen Wirkungsgrad von wenigen Prozent.“

Mit den pulverförmigen Perowskiten änderte sich das nun beinahe über Nacht. „Im Jahr 2009 stieß ich auf die überraschende Arbeit eines japanischen Kollegen", sagt Grätzel. "Er hatte erstmals Perowskite als Halbleiter benutzt. Die Zellen waren allerdings nicht stabil, der Perowskit lösten sich im Elektrolyten auf.“

Grätzel erkannte das Potential des neuen Materials und begann eigene Forschungen. „Zusammen mit Professor Nam Gyu Park aus Korea versuchten wir, den Elektrolyten durch einen Lochleiter zu ersetzen, den wir im Jahre 1998 in der Zeitschrift 'Nature' publiziert hatten", erzählt Grätzel. Lochleiter werden etwa bei der Fertigung von Displays mit organischen Leuchtdioden verwendet. "Und plötzlich passte alles zusammen: Auf einen Schlag erreichten wir einen Wirkungsgrad von über neun Prozent. Das war sehr erstaunlich und wir wussten gleich: Da ist mehr drin.

Preis des Materials spielt keine RolleAuch nach seinem jüngsten Weltrekord sieht Grätzel noch deutlich Spielraum nach oben. „Das Wettrennen hat jetzt erst begonnen", sagt er. "Denn mit Perowskiten sind wahrscheinlich noch deutlich höhere Wirkungsgrade möglich.“ Obendrein ist das neue Material in Massen verfügbar: „Die eingesetzten Perowskite sind spottbillig", sagt Grätzel. "Da außerdem nur geringe Mengen benötigt werden, können Sie deren Preis vergessen.“

Die große Frage ist nun, ob und wie schnell sich die Laborergebnisse in die Industrieproduktion übertragen lassen. Mehrere Unternehmen stehen schon in den Startlöchern, um die neue Technik zu kommerzialisieren. Das australische Solar-Startup Dyesol arbeitet eng mit Grätzels Institut zusammen und will die Perowsskit-Zellen in Massen mit Druckmaschinen fertigen.

Dabei sollen nicht herkömmliche Solarmodule entstehen, sondern beschichtete Stahl- und Glasplatten für den Einbau in Gebäuden. Dyesol will zusammen mit dem Stahlkonzern Tata noch bis Ende des Monats melden, ob die jahrelangen gemeinsamen Forschungen an solarstromerzeugenden Stahlteilen nun zu einem Massenprodukt werden soll.

Beim britischen Solar-Startup Oxford PV steht die Entscheidung schon fest: Im Jahr 2014 soll eine Pilotanlage für Glas mit einer Beschichtung aus Perowskit-Solarzellen starten. Ende desselben Jahres sollen die ersten ein mal zwei Meter großen Glasmodule vorgestellt werden. Und im Jahr 2015 wollen die Briten die ersten Produkte verkaufen. Ein Modul koste dann höchstens 30 US-Cents pro Watt, hofft Oxford-PV-Chef Kevin Arthur - halb so viel wie heutige Billigmodule aus China.

Vorteile gegenüber herkömmlicher TechnikDie Ausbeute der Zellen ist obendrein größer, weil sie bei Bewölkung oder morgens und abends, wenn die Sonne tief steht, deutlich mehr Strom liefern als Silizium-Zellen. „Und wenn sich herkömmliche Solarzellen in der Sonne erhitzen, sinkt Ihr Wirkungsgrad", sagt Grätzel. "Farbstoff-Solarzellen halten ihre Leistung.“

Profitieren könnte auch die Umwelt. „Silizium-Zellen herzustellen, kostet viel Energie", sagt Grätzel. "Farbstoffsolarzellen lassen sich viel umweltfreundlicher produzieren. Die meiste Energie steckt im Glas, auf dem sie aufgetragen sind.“

Ob Solarzellen also künftig billig und in Massen aus dem Drucker kommen oder ob doch noch neue Hürden auftauchen, werden wir bald erfahren. Eines steht schon fest: Bunt sind die neuen Zellen nicht mehr - denn Perowskite sind bräunlich-schwarz.

Hier zeigt die Deutsche Welle die Technik nocheinmal im Video:



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