Garn aus Fischernetzen Jetzt wird aus Meeresmüll Kleidung

Millionen von Meerestieren sterben jährlich in herrenlosen Fischernetzen. Die Initiative Healthy Seas will das Problem beseitigen - und die Netze wiederverwerten.

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Ein kurzes Glucksen, ein paar Luftblasen platzen an der Wasseroberfläche und schon verschwinden die schwarzen Flossen zwischen den leicht wogenden Wellen in der Tiefe. Der Taucher, ausgerüstet mit dunklem Neoprenanzug, Brille und zwei Sauerstoffflaschen, sucht vor der slowenischen Küste von Portoroz nach alten Fischernetzen.

Inmitten von knallbunten Bojen taucht er nur wenig später wieder auf. In seiner Hand hält er ein grobmaschiges, dunkelgrünes Netz. Kaum vorstellbar, dass daraus einmal ganz normale Socken entstehen. Doch genau das soll passieren. Denn der Mann unterstützt die „Healthy Seas“-Initiative.

„Healthy Seas“ heißt auf Deutsch so viel wie „gesunde Meere“. Doch wer glaubt, hier bündeln sich Greenpeace oder Umweltaktivisten in einer Interessengruppe, der irrt. Dahinter stecken Akteure aus der Textilindustrie, angeführt von dem italienischen Chemiefaserproduzenten Aquafil und dem niederländischen Sockenhersteller Starsock, sowie der niederländischen Nichtregierungsorganisation ECNC Group.

Das Trio hat in diesem Jahr seine Initiative gegründet – und schon ambitionierte Ziele: Gemeinsam möchten sie die Weltmeere von einer ihrer größten Miseren befreien – den herrenlos im Meer treibenden Fischernetzen. Gut 640.000 Tonnen schwimmen davon weltweit in den Ozeanen umher.

Bis zu 600 Jahre dauert es, bevor sich manche Netze völlig zersetzen. Mindestens zwei oder drei Jahre aber fischen sie weiterhin unkontrolliert die Meere ab – sogenanntes „Ghostfishing“. Mehr als 300.000 Robben, Delfine, Wale und Meeresschildkröten sterben dadurch jährlich qualvoll in den Netzen.

Für die Industriepartner sind die Netze wegen diesem Material interessant: das häufig darin verwendete Nylon 6. Dieses lässt sich zu 100 Prozent wiedergewinnen – nur statt Fischernetzen entstehen am Ende Socken, Badeanzüge oder etwa der Teppich für den deutschen Innovationspreis Greentec Awards. Ökologisch passend präsentiert sich der Name des auf diese Weise hergestellten Garns: Econyl. „Wir reden nicht nur über grüne Wirtschaft, wir realisieren sie. Wir schließen den Kreislauf“, sagt Mike Mannaart, Vize-Vorsitzender der ECNC Group, bei der Kick-Off Veranstaltung von Healthy Seas in Slowenien.

Allein in den ersten sechs Monaten hat die Initiative knapp 120.000 Euro investiert. Geld, das entweder direkt von Industriepartnern oder aus den Töpfen von „One Percent for the Planet“ kommt. Letzterer ist ein internationaler Verbund von Unternehmen, die ein Prozent ihres Umsatzes für den Umweltschutz spenden.

Schwerstarbeit am Anfang des KreislaufsDer Niederländer Pascal van Erp steht nicht gern im Mittelpunkt. Doch nun muss er einer Horde von neugierigen Wirtschaftsvertretern und Journalisten seine Arbeit erklären. Etwas unbeholfen fummelt der muskelbepackte, kahlgeschorene Hüne mit dem Mikrofon in der Hand. Die andere hat er sicherheitshalber in seine Hosentasche gesteckt. Auf dem Boot, dem Treffpunkt, ist er immerhin ganz nahe an seinem Element: dem Wasser. Van Erp ist Taucher für die Healthy Seas und steht sozusagen am Anfang des zu schließenden Kreislaufs.

Gemeinsam mit Kollegen aus aller Welt übernimmt er den riskantesten Part der Produktionskette: Mühsam entfernen sie die Netze vom Meeresboden, müssen aufpassen, sich nicht selbst darin zu verfangen. In schwierigen Gewässern, also dort, wo kein schweres Gerät hinkommt, können sie nur per Hand arbeiten und schaffen sie bis zu 150 Kilogramm pro Tauchgang an Land.

Mit einem Kran sind es bis zu sechs Tonnen. Im letzten halben Jahr hievten allein niederländische Taucher so knapp 20 Tonnen ausgediente Fischernetze aus dem Wasser.

Doch ihre Arbeit steht nur für einen kleinen Teil der gesammelten Netze. Den Großteil kauft Aquafil von internationalen Partnern aus der Industrie, beispielsweise bei Fischfarmen. Eben dort, wo die meisten Abfälle entstehen.

Insgesamt wurden für das Econyl-Garn in diesem Jahr bereits 1.000 Tonnen Fischernetze verarbeitet. Nylon 6 auf diese Art wiederzugewinnen spart Öl – einer der Hauptbestandteile des Materials. Mehr als 3.100 Barrel wurden somit schon in diesem Jahr ersetzt. Das entspricht etwa der Menge von 3.000 gefüllten Badewannen.

Aus Plastik wird GarnEin Gewerbegebiet am Rande von Ljubljana, der Hauptstadt Sloweniens. Hinter grauen Mauern und Zäunen versteckt steht hier die Econyl-Produktionsstätte. Lange silberne Rohre schlängeln sich durch die großen sterilen Hallen. Arbeiter tragen Helme, Arbeitsbrillen und Mundschutz. Ein beißender Geruch von verbrannter Kleidung und Staub setzt sich in den Lungen fest. Ohrenbetäubender Lärm. Mit einem dumpfen Schlag lassen zwei Arbeiter einen Sack voller Netze in einen großen Zylinder fallen. Eine Staubwolke steigt auf.

Nachdem die Netze gereinigt, in Teile zerlegt, sortiert und in kleine Pellets zermalmt wurden, werden sie in dieser Fabrik schließlich zu Textilfäden. Sie werden eingeschmolzen und in Plastikform verpresst, bevor sie schließlich zu grell weißem Garn weiterverarbeitet werden. Endlos stapelt es sich aufgerollt zu tausenden kleinen und großen Ballen in den Hallen, bereit zur Auslieferung.

In einem Konferenzraum über den Produktionshallen geht es ruhiger zu. Fabrizio Calenti, Geschäftsführer von Aquafil, erklärt noch einmal den Prozess. Dabei macht er auch keinen Hehl aus den wirtschaftlichen Motiven seiner Firma: „Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir mit Econyl Geld verdienen wollen“, sagt er. „Das dient ja letztlich auch der Initiative: Umso mehr Unternehmen und Konsumenten auf uns aufmerksam werden, umso mehr können wir mit unserer Arbeit erreichen“, ergänzt Calenti.

Denn auch darin sind sich die Partner einig: Die Arbeit von Healthy Seas steckt noch in den Kinderschuhen – sie reicht längst noch nicht aus, um den Müll der Meere wesentlich zu bekämpfen. Selbst die Italiener stellen Econyl nicht ausschließlich aus Fischernetzen her. Unter anderem werden alte Teppiche und andere Textilien wiederverwertet. Zudem muss Caprolactam, ein wichtiger Grundstoff für die Herstellung von Nylon 6, tonnenweise zugekauften werden.

Gesucht: Neue Partner„Wir müssen unsere Arbeit ganz stark erweitern – das gilt insbesondre für neue Partner“, betont demzufolge auch der Niederländer Mannaart. Zwar ist er stolz auf das, was die Initiative in so kurzer Zeit geleistet hat. Für die Zukunft arbeitet seine NGO, die ECNC Group, genauso wie die Industriepartner mit Hochdruck an neuen strategischen Partnerschaften.

Nicht unerheblich ist dabei die Vermarktung. Zwar verwenden Hersteller wie Adidas, Arena oder BMW schon heute das Garn – allerdings nur unter ihrem eigenen Namen. Damit Econyl selbst als Marke bekannter wird, braucht es eigene Produkte.

Ab Mai 2014 soll es schließlich soweit sein. Auf der Kick-Off-Veranstaltung verkündete Sockstar-Chef Eric Roosen, dass er dann Socken mit dem Econyl-Namen flächendeckend in Deutschland und sechs weiteren Ländern bei der Kaufland-Gruppe anbieten wird.

Dieser Schritt wird nicht zuletzt Taucher Pascal freuen. Nach der Besichtigung der Produktion ist er beeindruckt. Zwar birgt er schon seit fünf Jahren Fischernetze vom Meeresboden, doch bisher konnte er nie nachvollziehen, was danach damit passiert. „Wahrscheinlich wurden sie wie der meiste Müll verbrannt. Es ist großartig zu sehen, dass wir jetzt mit unserer Arbeit zu einer so nachhaltigen Initiative beitragen.“

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