Kreislaufwirtschaft "Cradle-to-Cradle" bringt die Lust am Konsum zurück

Cradle-to-Cradle wird immer beliebter. In der Kreislaufwirtschaft ist Konsum kein Problem - so lange nichts verschwendet wird.

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Möglicherweise ist der Stuhl, auf dem Sie sitzen, ein Produkt aus einer neuen Wirtschaftsordnung. Auch der Teppich, auf dem der Stuhl steht, könnte schon Teil der Kreislaufwirtschaft sein.

Während der Begriff Nachhaltigkeit vor allem mit Verzicht verbunden ist, will die „Cradle-to-Cradle“-Bewegung den Spaß am Konsum zurückbringen. Cradle-to-Cradle, kurz C2C, übersetzt „von der Wiege zur Wiege“. Das bedeutet: Der Weg eines Produktes soll nicht von der Wiege zur Bahre führen, sondern zu einer erneuten Nutzung, indem alle Teile neu verwertet werden.

Im Falle des Stuhl oder des Teppichs bedeutet das: Alle Einzelteile können recycelt und als Rohstoffe wieder zu einem Stuhl oder Teppich zusammengebaut werden. Im Deutschen gibt es dazu auch den Begriff Öko-Effektivität. „Das bedeutet, dass kompostierbare Produkte kompostieren und alle andere Produkte als sogenannte technische Nährstoffe im Wirtschaftskreislauf bleiben“, erklärt Tim Janßen.

Janßen hat zusammen mit Nora Sophie Griefahn den „Cradle to Cradle e.V.“ gegründet, der in Deutschland genau diese Denkschule verbreiten will. Dem ökologisch sinnvollen Verzicht wollen sie einen ökologisch sinnvollen Konsum entgegenstellen: „Dass manche Hersteller empfehlen, das eigene Produkt nur eingeschränkt zu kaufen, ist doch absurd“, sagt Janßen.

 Die größte Revolution seit 250 JahrenEntsteht hier eine neue Wirtschaftsform? Davon sind Peter Lacy, Jakob Rutqvist und Philipp Buddemeier überzeugt. Die drei Manager des Beratungsunternehmens Accenture haben in dieser Woche das Buch „Werschöpfung statt Verschwendung – Die Zukunft gehört der Kreislaufwirtschaft“ veröffentlicht.

Sie schreiben ihr die Chance zu, „die größte Revolution und zugleich die größte Chance seit 250 Jahren sein.“ Aber nicht nur aus moralischer Überlegenheit heraus: Schon jetzt zeigt sich, dass manche Rohstoffe knapp werden. Peak Oil ist bekannt, aber auch Phosphor oder Uran zu gewinnen wird immer teurer.

Die Autoren zeigen sich überzeugt: Wer von fossilen Brennstoffen oder seltenen Mineralien abhänge, habe künftig einen deutlichen Wettbewerbsnachteil. Die „Circular Economy“ sei die Lösung dieses Problems. Eine Wirtschaftsform ohne linearen Verbrauch, in der also genutzt, wiederverwertet und nicht verschwendet wird.

Dabei geht es nicht nur um die Nutzung von seltenen Materialien: Geplante Obsoleszenz bei Lampen, die nach zwei Jahren durchbrennen? Verschwendung. Autos, die 90 Prozent ihrer Lebensdauer in der Garage stehen? Ebenfalls Verschwendung.

William McDonough, einer der Cradle-to-Cradle-Vordenker, prophezeit im Vorwort zu „Wertschöpfung statt Verschwendung“ eine "Welt des Überflusses, der Chancen und neuer Geschäftsmodelle“ – also eine Konsumwelt, wie wir sie in Deutschland mit den 60er-Jahren verbinden, nur umweltkompatibel.

"Es braucht einen kulturellen Wandel"Ein schönes Bild, in der Praxis lässt sich das Cradle-to-Cradle-Konzept allerdings nicht ganz so leicht umsetzen, erklärt Nora Sophie Griefahn: „Seit Jahren wird zu Cradle-to-Cradle geforscht, viele Unternehmen wollen das Potenzial auch nutzen. Aber wir glauben: Es braucht auch einen kulturellen Wandel in der Gesellschaft.“ Das bedeutet vor allem, dass Abfall nicht mehr als Müll, sondern als Rohstoff wahrgenommen wird.

„Es gibt eine Cradle-to-Cradle-Denkschule. Das bedeutet einen Perspektivwechsel“, erklärt Janßen. Die Akteure dieser Denkschule wolle man vernetzen, immerhin sind mittlerweile 300 Ehrenamtler im Regionalgruppen engagiert. Die haben Gesprächbedarf und wollen informiert werden. Auch deshalb organisiert der Verein auch einen C2C-Kongress, der am 31. Oktober in Lüneburg stattfinden wird. Eine mögliche Frage: Wie überzeuge ich Unternehmen davon, nach C2C-Prinzipien zu arbeiten?

Denn die Kreislaufwirtschaft lässt sich nicht über Nacht einführen: „Viele Produkte wären nach Cradle-to-Cradle-Prinzipien herstellbar“, sagt Griefahn. „Dazu muss man aber die Produktion neu erfinden – optimieren reicht da nicht.“ Janßen ergänzt: „Deshalb gibt es Cradle-to-Cradle derzeit erst in unkomplexeren Bereichen. Textil etwa, wo der Verzicht auf giftige Farben und die Wiederverwertung von Fasern möglich sind.“

Der Verzicht auf giftige Farben könne zunächst teuer sein, aber das Produkt langfristig günstiger machen – etwa weil die Mitarbeiter keine Schutzmasken mehr brauchen. „Wer in kurzfristigen Zielen denkt, für den wird Cradle-to-Cradle nicht einfach“, sagt Griefahn.

Kritiker halten C2C für nicht umsetzbarDer deutsche Kleidungshersteller Trigema etwa hat rund eine Million Euro in die Entwicklung einer C2C-Kollektion gesteckt, teils mussten neue Maschinen her. Acht Jahre dauerte der Prozess. Doch nun sei man im Unternehmen mit der eigenen Change-Kollektion sehr zufrieden. Auch der erste deutsche C2C-Shop „Cradelution“ hat überwiegend Mode im Angebot.

Andere Bereiche müssen nun nachziehen, wenn die C2C-Bewegung ihren Kritikern etwas entgegensetzen will. Diese halten das Konzept für schlichtweg nicht umsetzbar. Ein C2C-Laptop? Ein ganzes Flugzeug? Bislang kaum vorstellbar. Zumindest mittelfristig wird der geschmähte, unattraktive aber nachhaltige Verzicht weiterhin einen größeren Einfluss auf den Umweltschutz haben, als C2C.

Und trotzdem nehme die „stille Revolution an Fahrt auf“, sind die Autoren von „Werschöpfung statt Verschwendung“ überzeugt. Das aktuelle Wachstumsmodell sei ohnehin nicht mehr haltbar. Und wer jetzt im Cradle-to-Cradle-Bereich Innovationen schaffe, sei der Konkurrenz auf Jahre voraus.

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