Als Tragetasche oder Müllbeutel Biokunststoff-Tüten: Sinnvolle Alternative oder Greenwashing?

Tüten aus Biokunststoffen geben sich den Anstrich einer umweltfreundlichen Alternative zur klassischen Plastiktüte. Doch sie sind nicht unumstritten.

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Plastiktüten verschwinden allmählich aus den Supermärkten. Doch ob Biotüten wirklich besser für die Umwelt sind, darüber streiten sich Experten. (Foto: Paul Zinken/dpa) Quelle: dpa

Wer ab Juli im Geschäft an der Kasse nach einer Plastiktüte fragt, muss bei vielen großen Händlern ein paar Cent zusätzlich aus dem Portemonnaie holen. Einige Geschäfte erheben zwar jetzt schon eine Gebühr auf herkömmliche Plastiktüten, es werden aber noch viele weitere dazukommen. Rund 260 Firmen haben die entsprechende Selbstverpflichtung des Handelsverbands Deutschland unterschrieben. Rewe geht sogar noch weiter und verkauft demnächst gar keine Plastiktüten mehr. Ähnlich sieht es in ganz Frankreich aus: In unserem Nachbarland sollen dünne Einweg-Kunststofftüten ab Juli komplett verboten werden.

In der Folge rücken sogenannte Biotüten in den Fokus, die Hersteller als umweltfreundliche Alternative bewerben. Die bestehen aus sogenannten Biokunststoffen, die aus nachwachsenden Ressourcen wie etwa Maisstärke statt Erdöl hergestellt werden und nach dem Gebrauch auf dem Kompost landen. Dort sollen sie sich zersetzen. Angedacht sind unterschiedliche Verwendungszwecke: Biotüten gibt es sowohl als Tragetaschen für den Einkauf als auch als Müllbeutel für den Teil des Küchenabfalls, der in der Biotonne landet. Für welches Einsatzgebiet sind die Tüten aber tatsächlich sinnvoll? Und wie nachhaltig sind sie wirklich?

Mit dieser Frage beschäftigt sich ein schon mehrere Jahre andauernder Rechtsstreit zwischen dem Biotüten-Hersteller Victor Group und der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe. 2012 hat die Umwelthilfe die Victor Group angezeigt: Slogans für die Tüten wie etwa "100 Prozent kompostierbar" seien Verbrauchertäuschung, da in einer Anfrage bei 81 Kompostierwerken herauskam, dass 79 von ihnen in der Praxis die Biotüten nicht kompostieren. Das ist relevant, weil in den Kompostierwerken die Abfälle aus den Biotonnen der Haushalte landen – gesammelt und entsorgt werden diese Abfälle häufig mitsamt den vermeintlich unbedenklichen Tüten. Das Oberlandesgericht Köln untersagte der Victor Group daraufhin, den Werbespruch weiter zu benutzen; Aldi und Rewe nahmen die Taschen aus ihrem Sortiment. Der Hersteller ist in Revision gegangen, aktuell wird wegen fehlerhafter Beweisaufnahme im ersten Verfahren neu verhandelt.

Was macht eine Biotüte eigentlich "bio"?

Um die Auseinandersetzung zu verstehen, muss man erstmal einen Schritt zurück machen. Denn Biokunststoff ist nicht gleich Biokunststoff. Tatsächlich gibt es zwei Faktoren, die Plastik zu einem "Biokunststoff" machen können: Eine biobasierte Herstellung oder die biologische Abbaubarkeit. Der Kunststoff der aktuell diskutierten Biotüten vereint in der Regel beide Eigenschaften.

Biobasierte Kunststoffe sind Kunststoffe, die zwar nicht zu 100 Prozent, aber zu großen Teilen aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Plastiktüten scheint offensichtlich: Diese werden nur aus fossilen Ressourcen wie Erdöl hergestellt. Mais beispielsweise wächst im Gegensatz dazu nach und wandelt gleichzeitig auch noch durch Photosynthese CO2 in Sauerstoff um.

Umweltbundesamt zweifelt an Umweltfreundlichkeit

Doch das Umweltbundesamt (UBA) ist nicht überzeugt, dass biobasierte Kunststoffe umweltfreundlicher sind als klassische. "Über den gesamten Lebensweg schneiden Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen zurzeit gewöhnlich nicht besser ab als konventionelle Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen", sagt Franziska Krüger vom Fachgebiet Produktverantwortung des UBA. Die Klimabilanz sei zwar meist günstiger, dafür gebe es aber Nachteile bei anderen Umweltbelastungen wie Nährstoffübersättigung, Versauerung des Bodens und Feinstaubbelastung durch die Bewirtschaftung der Felder. European Bioplastics, der Verband der Biokunststoff-Hersteller, hält dagegen: Für die Biokunststoffproduktion seien 2014 gerade einmal 0,01 Prozent aller Landwirtschaftsflächen genutzt worden. Dadurch seien die potentiellen Auswirkungen verschwindend gering.

Die zweite Biokunststoffform sind die biologisch abbaubaren Kunststoffe, die also zersetzbar sind. Das heißt allerdings nicht unbedingt das Gleiche wie kompostierbar. "Tragetaschen aus Biokunststoff gehören in die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack und nicht in die Biomülltonne", sagt Franziska Krüger. Ausgenommen seien nur jene, die laut Bioabfallverordnung als „kompostierbar“ gelten. Aber besonders um diese Bezeichnung drehen sich wiederum Diskussion und Rechtsstreit. Im Mittelpunkt steht die europäische Norm DIN EN 13432. Die besagt, dass ein biologisch abbaubarer Werkstoff (BAW) als "kompostierbar" bezeichnet werden darf, wenn nach dreimonatiger Kompostierung nicht mehr als 10 Prozent von der Originalmasse übrig ist. An dieser Definition stören sich viele Betreiber von Kompostierwerken.

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