Startup Berliner wollen günstigsten Windstrom der Welt erzeugen

Es ist ein revolutionäres Projekt: Das Startup NTS will die erste kommerzielle Höhenwindanlage der Welt bauen.

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Ein Kind, das einen Drachen steigen lässt ist das Vorbild für Uwe Ahrens aus Berlin. Der Luft- und Raumfahrtingenieur will seine Drachen aber nicht zum Spaß in die Luft bringen, sondern er will mit ihnen eine Energierevolution anzetteln.

Dafür hat Ahrens schon im Jahr 2007 sein Startup NTS in Berlin gegründet. Die Idee: Ein Winddrachen, wie er vom Kitesurfen bekannt ist, zieht auf Schienen eine Art Lore, die über einen Generator Strom erzeugt. Fertig ist die Drachenenergie.

Bisher existiert in der Nähe von Berlin nur eine 400 Meter lange, gerade Strecke, auf der die Stromzüge zu Testzwecken hin und zurück gondeln. Das soll sich aber sehr bald ändern.

Denn Ahrens plant derzeit mit seinen zehn Mitarbeitern einen ersten Schienen-Rundkurs mit einer Länge von 700 Metern, um zu beweisen, dass sein System auch durchgängig und voll automatisiert Strom erzeugen kann. Die Drachen würden dabei in einer Höhe zwischen 200 und 500 Metern fliegen und die Loren im Kreis ziehen.

Nun wird sich mancher fragen: In Deutschland drehen sich doch schon mehr als 23.000 Windräder sehr erfolgreich und erzeugen dabei Strom; warum also die neue Drachen-Technik?

Uwe Ahrens weiß viele Antworten auf diese Frage. "Erstmal sind unsere Drachen in dieser Höhe beinahe unsichtbar", sagt er. Während großen Windkraftanlagen schon heute vorgeworfen werde, die Landschaft zu verschandeln, habe die Drachenenergie kaum Auswirkungen auf das Landschaftsbild. "Am Himmel sind die Kites nicht größer als ein zwanzig Cent Stück."

Drachen leiden nur selten unter FlauteHinzu kommen die Kosten. Während herkömmliche Windkraftanlagen an den besten Standorten in Deutschland für rund sechs Cent pro Kilowattstunde Strom erzeugen und in den USA für etwas weniger als vier Cent, rechnet Ahrens mit Kosten zwischen drei und fünf Cent. "Damit wären wir billiger als viele fossile Energieträger, die derzeit auf dem Markt sind", schwärmt er. Mit drei Cent pro Kilowattstunde wäre die Höhenenergie beinahe so günstig wie Kohlestrom.

Hinzu kommt noch ein weiterer Vorteil: So hoch über dem Boden herrscht selten Flaute. NTS rechnet damit, dass ihr System mindestens 5000 Stunden im Jahr Energie produziert - herkömmliche Windanlagen an Land schaffen meist nicht einmal die Hälfte. Und: Da der Wind mehrere hundert Meter über dem Boden sehr viel stärker weht, kommen nun auch bisher windschwache Standorte für die Ökostromerzeugung in Frage - zum Beispiel in Süddeutschland.

Die Höhe hat noch noch einen weiteren Vorteil: Denn wenn Strom stetig fließt, werden weniger teure Batterien benötigt, um die Energie für Flauten zwischenzuspeichern. Mit den Höhenwindanlagen würden also auch die sogenannten "Systemkosten" des Ökostroms sinken.

Revolutionär findet Ahrens seine Technik dabei nicht. Mit Schienen von der Bahn, Generatoren aus Zügen wie dem ICE und Drachen aus dem Kitefachhandel kämen nur bewährte Techniken zum Einsatz. Das Besondere sei die neue Kombination von Altbekanntem. Künftig will Ahrens aber speziell für die Energieproduktion entwickelte Riesen-Drachen verwenden.

Startups weltweit arbeiten an Höhenwind-ProjektenAllein ist NTS mit seiner Idee, die Winde in großen Höhen zu nutzen, allerdings nicht. Weltweit versuchen derzeit mehr als 20 Unternehmen und Forschungsprojekte die neue Energieform zu kommerzialisieren. Mit dabei sind unter anderem das Startup Makani Power aus den USA, das neuerdings zu Google gehört und eine Art Segelflieger zur Stromerzeugung nutzt, und die Berliner von Enerkite.

Die allermeisten der Startups haben ihre Entwicklungen vergangene Woche in Berlin auf der jährlichen Airborne Wind Energy Conference präsentiert.

Was bei der Konferenz klar wurde: NTS setzt als einziges Unternehmen auf die von Drachen gezogenen Mini-Züge. Enerkite zum Beispiel will die Drachen an fest verankerten Bodenstationen befestigen. Indem die Kites am Himmel Schleifen fliegen, treiben sie einen Generator am Boden an (siehe Grafik oben). Das Problem dabei: Wie bekommt man die Drachen in die Luft, wenn sie einmal am Boden waren?

Enerkite und die anderen Unternehmen wollen dieses Problem mit einer Art Wedel-Stab lösen, der die Drachen in die Luft schwingt. NTS macht es sich einfacher: Fahren die elektrisch betriebenen Loren los, hebt sich der Kite von allein in die Luft, wie bei einem Kind, das mit seinem Drachen rennt.

Rundkurs wird per Crowdfunding finanziertOb sich stationäre Anlagen wie von Enerkite oder die Züge von NTS durchsetzen oder vielleicht sogar nebeneinander funktionieren, das wird die Zukunft zeigen - auf jeden Fall will Ahrens nun mit einer ersten Anlage beweisen, dass sein System im Alltagsbetrieb funktioniert. Die mehr als 150.000 Euro, die dafür nötig sind, will NTS unter anderem über die Kölner Crowdfunding-Plattform Green Crowding finanzieren. Ab zehn Euro können sich Interessierte an dem Projekt beteiligen. Mehr als 50.000 Euro sollen so in den kommenden zwei Monaten zusammenkommen.

Schafft Ahrens es, seine Drachen auf dem Rundkurs in der Luft zu halten, warten schon die Investoren für das dann erste kommerzielle Höhenwindprojekt der Welt. Eine Energiegenossenschaft hat die Absicht, zwischen 15 und 26 Millionen Euro in das Projekt zu investieren. Auch hier könnte wieder ein Teil über Crowdfunding finanziert werden.

Die fertige Anlage hätte dann eine Leistung zwischen 6 und 24 Megawatt - das entspräche wegen der stetigeren Stromproduktion zwischen 12 und 48 Windrädern. Die Drachen selbst hätten eine Fläche von bis zu 400 Quadratmetern.

Baubeginn soll noch im kommenden Jahr sein. Der Rundkurs wäre dann zwischen 1,2 und 5 Kilometern lang. Derzeit prüft NTS zwei Standorte in Mecklenburg-Vorpommern für das Projekt. Interesse kommt aber auch aus Kasachstan und von einem Unternehmen aus Südafrika, das im Nachbarland Lesotho einen riesigen Windpark mit einer Leistung von vier Atomkraftwerken plant. Zumindest einen Teil davon könnten die Drachen abdecken.

"Luftfahrthindernis" beschäftigt die BürokratieStimmen die Rechnungen von Uwe Ahrens, erwartet die Investoren zumindest in Deutschland ein gutes Geschäft. Denn als Windmüller würde er über die EEG-Umlage einige Jahre lang mehr als acht Cent pro Kilowattstunde für seinen Strom bekommen - bei Erzeugungskosten zwischen drei und fünf Cent bliebe der Genossenschaft ein stattlicher Gewinn.

Welche Hürden Ahrens für sein Projekt noch sieht? "Die Bürokratie", sagt er. Allein für die aktuelle Teststrecke hat NTS über fünf Jahre mit 14 unterschiedlichen Behörden verhandelt, bis alle nötigen Genehmigungen erteilt waren. Das Problem: Die Energiedrachen gelten als "Luftfahrthindernis" - sie müssen also in Flugkarten eingetragen und wohl auch mit Warnlichtern ausgestattet werden.

Proteste der Bevölkerung gegen seine Technik erwartet Ahrens indes nicht, trotz der Schienen, die verlegt werden müssen. “Innerhalb des Rundkurses können Landwirte ohne Probleme weiter Landwirtschaft betreiben”, sagt er. Ein Tunnel unter den Schienen schafft den Zugang.

Ist der erste Rundkurs ersteinmal fertig, will NTS einen Besuchertag organisieren. Dann sollen alle sehen: Drachenenergie Made in Germany funktioniert.

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