Textil-Siegel Nachhaltig verwirrt im Baumwoll-Dschungel

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Vor dem Spinnen müssen in einer Fabrik die Kerne aus der Baumwolle entfernt werden.

Der Biostandard GOTS blickt nicht nur auf die Zustände auf den Feldern, sondern auch auf die der Weiterverarbeitung. Siegelklarheit bescheinigt GOTS eine sehr hohe Umweltverträglichkeit; allerdings nur eine mittelmäßige Sozialverträglichkeit. Die Einhaltung von Menschenrechten und Arbeitsgesetzen beispielsweise werde kaum berücksichtigt.

Bei Baumwolle des Fairtrade Labels hingegen werden diese Kriterien stärker gewichtet, dafür aber Umweltaspekte wie der Wasserverbrauch vernachlässigt. Unterm Strich werden jedoch beide Siegel als "sehr gute Wahl" bewertet.

Lediglich eine "gute Wahl" seien BCI und CmiA. Zwar erfüllen beide die Mindestanforderungen an Sozialverträglichkeit. Darunter fällt beispielsweise das Verbot von Kinderarbeit, das Recht auf eine Arbeitnehmervertretung und die Zahlung einheitlicher Löhne. Beim Umweltschutz jedoch werden die Mindestanforderungen nicht komplett erfüllt. So gibt es bei CmiA gibt keine Einschränkung von Kunstdüngern, wie das bei Bio-Produkten der Fall ist. Nur ohnehin verbotene Pflanzenschutzmittel lässt CmiA nicht zu.

Weder Bio noch Fairtrade

Friederike Sorg möchte mit dem Informationsportal auf verbesserungswürdige Punkte hinweisen. Trotzdem hat sie Verständnis für die Unterschiede zwischen den Anbietern. "Cotton Made in Africa ist ein Einstiegsmodell, damit Farmer in Trainingsprogramme kommen und sich über die Zeit hinweg verbessern können hinsichtlich der Nachhaltigkeit", sagt sie über die Hamburger Initiative. "Fairtrade ist viel strenger und fordert gleich zu Beginn sehr viel, das ist ein anderer Ansatz."

Diese Unterschiede spiegeln sich auch in den Handelszahlen wider, die die Bremer Baumwollbörse veröffentlicht. Während CmiA zuletzt 400.000 Tonnen Baumwolle jährlich produzieren ließ, waren es bei Fairtrade lediglich 16.000 Tonnen. Insgesamt liegt der Gesamtanteil von Bio-Baumwolle, BCI, CMIA und Fairtrade bei nur etwa zehn Prozent.

Fertige Baumwollpakete für den Export in wohlhabendere Länder.

Christina Ben Bella kennt die Kritik am Pestizideinsatz. "Im Nachhaltigkeitsstandard von CmiA spielen neben sozialen und ökonomischen auch ökologische Kriterien eine bedeutende Rolle", erwidert die Projektleiterin von CmiA. Von Hamburg aus kümmert sie sich unter anderem um Marketing- und die Öffentlichkeitsarbeit der dahinter stehenden Aid by Trade Foundation.

Unterschiedlich strenge Details

Sie verweist darauf, dass in anderer Hinsicht CmiA sogar höhere Standards als die der Bio-Zertifikate erfülle. "Es kann beispielsweise nur Regenwasser zum Anbau verwendet werden", sagt Ben Bella. "Im globalen Vergleich kann mit CmiA-Baumwolle mehr als 500 Liter Wasser pro T-Shirt gespart werden." Der Verzicht auf Bewässerungsanlagen lässt den durchschnittlichen Verbrauch von gigantischen 2000 Litern also erkennbar sinken. Dies sei wichtig für Länder wie Äthiopien, die ohnehin von Trockenheit geplagt sind.

Ben Bella arbeitet in einem unscheinbaren dreistöckigen Gebäude gegenüber dem weitläufigen Firmenkomplex der Otto Group, dessen Aufsichtsratschef Michael Otto das Projekt angestoßen hat. "Die Aid by Trade Foundation hat mit Cotton Made in Africa einen Nachhaltigkeitsstandard auf den Markt gebracht, der Unternehmen eine nachhaltige und zugleich massenmarkttaugliche Alternative zu konventioneller Baumwolle bietet."

Um ihnen nichts überzustülpen, müsse auf einem moderaten Level begonnen werden. "Unser Ziel ist, vielen Kleinbauern mithilfe von Trainings zu ermöglichen ihre Produktion Schritt für Schritt auf eine umweltfreundliche Grundlage zu stellen und sie dabei zu unterstützen, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern", sagt Ben Bella.

Dafür toleriert CmiA Abstriche bei der Ökologie. Wer dennoch die Biostandards anderer Siegel wie die des GOTS erfüllt, kann sie zusätzlich zum CmiA Siegel anrechnen lassen - und die Baumwolle unter dem Label "CmiA organic" vermarkten. In Tansania gehen tausende Kleinbauern diesen Weg.

Zuckersirup für die Zweifler

Asefa Aga teilt den pragmatischen Ansatz von CmiA. Bevor der Äthiopier zum Vertreter der Baumwollfarmer wurde, hat er selbst auf einer Farm gearbeitet. Landwirte würden sich nur von Veränderungen überzeugen lassen, von denen sie auch einen wirtschaftlichen Vorteil erwarten können, meint er. Am besten ließe sich dies am Ort des Geschehens vermitteln. Bei seinen Schulungen organisiert Asefa Aga deshalb Minibusse, um die Landwirte zu einem der Felder zu bringen. 

Zwischen brusthohen Baumwollpflanzen ist ein aufgeschlitzter gelber Kanister an einem Holzstock befestigt. Im Inneren klebt ein brauner Sirup. Nachtfalter verfangen sich in ihm beim Naschen des süßen Safts – und werden daran gehindert, zu den Baumwollknospen zu flattern und in ihnen ihre schädlichen Larven loszuwerden.

Zuckerfallen helfen den Bauern dabei, auf Pestizide verzichten zu können.

"Der afrikanische Bollwurm greift die Knospen an und verursacht 25, ja manchmal 35 Prozent Produktionsausfall", erklärt Asefa. Die Landwirte verzichten nicht allein aus ökologischen Gründen auf einen intensiven Einsatz von Pestiziden. Pestizide sind teuer - und Asefa zeigt in seinen Seminaren, dass es Alternativen gibt: "Dadurch wissen die Farmer, dass beispielsweise das Aufstellen einer Zuckersirupfalle tausendmal günstiger ist als Chemikalien zu sprühen."

Wenn noch etwas Überzeugungsarbeit nötig ist, greift Asefa schon einmal zu einer der Plastikflaschen, mit denen der Zuckersirup nachgefüllt wird und nimmt einen Schluck. Mit der zähen Flüssigkeit spült er auch die Bedenken der skeptischen Landwirte herunter.

Der 46-jährige Ayechew Mengiste gehört zu den erfahrenen Bauern.

Ayechew Mengiste ist einer der Baumwollfarmer, der nun CmiA beliefert. Bislang hat sich der 46-Jährige teilweise mit dem lokalen Markt begnügt und Sesam, Süßkartoffeln und Hirse angebaut. Jahrzehnte unter der Sonne und auf den Feldern haben Furchen in Gesicht und Hände des Landwirts gegraben Vor Jahren hatte er schon einmal Baumwolle angebaut. Damals hat es sich nicht rentiert. Als CmiA die Kooperation anbot, hat er wieder damit begonnen.

Ayechew gehört zur ersten Generation äthiopischer Kleinbauern, die nun Baumwolle anpflanzt, die schließlich weiterverarbeitet und als Shirts, Hosen und Bettwäsche in den Einkaufsregalen wohlhabender Länder ausliegen wird. "Wir Bauern wollen noch mehr Baumwolle produzieren", verkündet er zuversichtlich. "Wir haben keine Sorge mehr, an wen wir unsere Baumwolle verkaufen sollen."

Mit Dank an die Heinz-Kühn-Stiftung, die diesen Beitrag mit ihrem Journalisten-Stipendium ermöglicht hat.

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