Es ist aber auch wie verhext: Die meisten Menschen dürften mit Gas ihre Wohnungen heizen, Volkswagen will Erdgas als alternativen Kraftstoff voranbringen, Gaskraftwerke sollen bei der Energiewende helfen, um Schwankungen der erneuerbaren Energie aus Wind oder Sonne auszugleichen. Aber Erdgasförderung im eigenen Land?
Da kommen Ängste ins Spiel, Berichte über Gift im Trinkwasser und über Krebserkrankungen in der Nähe von Förderstätten im Landkreis Rotenburg ließen die Skepsis wachsen. Vor allem der Streit über sogenanntes Fracking - dabei wird mit Quarzsand und Chemikalien vermischtes Wasser unter hohem Druck ins Gestein gepresst, um Erdgas zu gewinnen - beunruhigt die Menschen. Geht Deutschland das Erdgas aus, trotz großer Reserven?
Erdgasförderung sinkt seit Jahren
Tatsächlich sinkt die heimische Förderung seit Jahren: 2006 holten die Unternehmen noch 20 Milliarden Kubikmeter aus dem Boden. 2015 waren es 8,6 Milliarden Kubikmeter, im vorigen Jahr dann nur noch 7,9 Milliarden Kubikmeter. Damit liege der Anteil des deutschen Erdgases bei acht Prozent - vor zehn Jahren seien es noch 20 Prozent gewesen, sagt Miriam Ahrens, Sprecherin des Bundesverbands Erdgas, Erdöl und Geoenergie (BVEG). Rein theoretisch reichten die Reserven für 30 Jahre Vollversorgung, betont Ritva Westendorf-Lahouse, Sprecherin von ExxonMobil - ein Unternehmen, das allein für etwa drei Viertel der deutschen Erdgasförderung verantwortlich ist.
Nur: Es gehe nicht ohne Schiefergas, also Fracking in sogenannten unkonventionellen Lagerstätten wie Schiefergestein, erklärt sie. Allein mit vorhandenen Bohrungen und Fracking in tiefen Sandsteinschichten, die sogenannte konventionelle Förderung - das wäre aus ihrer Sicht innerhalb weniger Jahre der Weg in die vollständige Abhängigkeit von Importen. Jedes Jahr sinke die Förderung um zehn Prozent. Dennoch habe auch die konventionelle Förderung noch „etwas Potenzial in Deutschland“.
Auf Fracking in Schiefergestein setzen vor allem die USA - auch, um von Erdöl- und Erdgaslieferungen aus dem Ausland unabhängiger zu werden. Gegner befürchten allerdings eine Vergiftung des Grundwassers und andere Umweltgefahren wie Erdbeben.
Fracking
Fracking an sich war gar nicht verboten. Es gab nur ein Moratorium, also eine Art Stillhalteabkommen der Gasförderer mit der Politik. Sie stellten keine Anträge und warteten auf ein Gesetz. Fracking in Sandstein, sogenanntes konventionelles Fracking, gibt es in Deutschland seit den 60er Jahren. Meist ist mit Fracking aber die „unkonventionelle“ Förderung von Gas etwa in Schiefergestein gemeint. Das ist die Methode, die aus den USA bekannt ist. Unkonventionelles Fracking wird verboten – höchstens vier Probebohrungen in ganz Deutschland zu wissenschaftlichen Zwecken werden erlaubt.
Die Länder dürfen entscheiden, ob es bei ihnen Probebohrungen für die Wissenschaft geben soll. Keinem Bundesland kann Fracking „aufgezwungen“ werden. Das freut vor allem Nordrhein-Westfalen, wo Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gleich sagte, mit ihr werde es das nicht geben. Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies ist ebenfalls zufrieden – er will der konventionellen Förderung in Niedersachsen „eine Zukunft geben“.
Es ist überall dort verboten, wo es ums Trinkwasser geht - in Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebieten, an Talsperren und Seen wie dem Bodensee, die zur öffentlichen Wasserversorgung dienen. Nicht nur das Bergrecht, auch das Wasserrecht bestimmt künftig, wo Erdgas so gefördert werden darf. Die kommunale Wasserwirtschaft und die Wasserversorger finden das gut: „Es trägt zum Trinkwasserschutz bei. Die derzeit unklare Lage schadet dem Schutz unserer Wasserressourcen“, sagt Martin Weyand, der Hauptgeschäftsführer der Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
Der ursprüngliche Gesetzentwurf, den das Kabinett im April 2015 verabschiedet hatte, war nicht so streng wie der jetzt gefundene Kompromiss. Fracking ist in vielen Wahlkreisen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ein gewaltiges Thema – sowohl in der Union als auch bei der SPD forderten daher Abgeordnete Nachbesserungen. In SPD-Kreisen hieß es zuletzt, der Entwurf liege bei den Fraktionschefs, aber die Union blockiere eine Einigung.
Grüne und Linke sind, jedenfalls auf Bundesebene, gegen Fracking mit Chemikalien. Erst im April hatten die Grünen mit einem Gesetzentwurf den Bundestag aufgescheucht. Sie wollten Fracking nach dem Bergrecht verbieten und darüber namentlich abstimmen lassen – keine einfache Sache für Abgeordnete, die in den heimatlichen Wahlkreisen nicht als Fracking-Freunde dastehen wollten. In Fraktionskreisen wurde geseufzt: „Bei dem Thema kann man nur verlieren.“
Weder SPD noch die Union haben Interesse daran, sich im Wahlkampf mit dem Aufreger-Thema Fracking herumzuschlagen. Eine Einigung vor der Sommerpause hilft allen. Den Ausschlag gab wohl Druck aus Niedersachsen, wo rund 95 Prozent der deutschen Erdgas-Vorkommen liegen. Förderunternehmen dort hatten angekündigt, wieder Anträge zu stellen, auf die sie freiwillig verzichtet hatten. Ein guter Anlass für die Bundes-Fraktionschefs Thomas Oppermann und Volker Kauder, die Sache zu klären.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nennt die Einigung „haarsträubend“. Die Gefahren, die die Methode für Gesundheit, Natur und Trinkwasser berge, seien nicht gebannt, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. Umweltschützer befürchten vergiftetes Trinkwasser oder sogar Erdbeben durch Fracking. Zudem werde die Ära der fossilen Brennstoffe verlängert. „Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden, müssen Kohle-, Öl- und Gasvorräte im Boden bleiben“, fordern Umweltschützer.
Rund 95 Prozent der deutschen Erdgasvorkommen befinden sich in Niedersachsen. Nur fragen sich die Unternehmen, wie sie da herankommen sollen, denn die kommerzielle Förderung von Schiefergas mit der umstrittenen Fracking-Methode bleibt in Deutschland tabu. „Wir haben vernünftige gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen“, meint Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD).
Die gesetzliche Regelung sieht ein Verbot von Fracking in unkonventionellen Lagerstätten vor. Zu wissenschaftlichen Zwecken darf es Probebohrungen geben, um die Folgen für die Natur zu erkunden - aber nur, wenn die betroffenen Bundesländer zustimmen. Darin sehen Kritiker eine Hintertür, um dieses bei Umweltschützern besonders gefürchtete Verfahren doch noch zuzulassen. Lies allerdings betont: „Fracking in unkonventionellen Lagerstätten schließen wir aus.“
ExxonMobil-Sprecherin Westendorf-Lahouse sagt hingegen: „Wir werden weiter dafür werben, dass Deutschland die eigenen Chancen nutzt. Wir wollen die Tür nicht zuschlagen.“ Eine Investitionsentscheidung sei aber noch nicht gefallen. Hier steckt Konfliktpotenzial: „Uns ist völlig klar, dass wir das nur gemeinsam mit der Politik und den Menschen vor Ort auf die Beine stellen können. Und da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten“, sagt die Sprecherin.
Das Land setze sich für die Förderung - in konventionellen Lagerstätten - ein, erwarte auch eine Reihe von Anträgen, erklärt Lies. Er kritisiert jedoch, in der Vergangenheit habe es zu wenig Transparenz in der Industrie gegeben - was Vertrauen kostete. ExxonMobil erwartet indes keine großen neuen Funde in konventionellen Schichten. Anders als im Schiefergestein - dennoch bleibe der Markt interessant: „Wir setzen alles daran, neue Projekte konventionell voranzubringen“, sagt Sprecher Klaus Torp.
Denn: Auch mit konventioneller Förderung sei es möglich, langfristig 10 bis 20 Prozent des Erdgasbedarfs in Deutschland zu decken, meinte BVEG-Vorstandschef Martin Bachmann erst unlängst. Nach mehrjähriger Anlaufzeit seien drei bis vier neue Förderprojekte pro Jahr denkbar. Das hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze: Insgesamt beschäftigten die BVEG-Mitgliedunternehmen 2016 knapp 8700 Menschen - nach rund 9800 ein Jahr zuvor. Und aus einem weiteren Grund sei die heimische Förderung so wichtig, erklärt Wintershall-Sprecher Mark Krümpel - nur mit dem entsprechenden Wissen erhielten die Unternehmen Zugang zu internationalen Energiequellen.