Blockchain-Technologie Mehr Sicherheit für Verbraucher – Sämtliche Produkte sollen rückverfolgbar werden

Ein britisches Start-up will dem Etikettenschwindel ein Ende bereiten - und sämtliche Warenströme in einer fälschungssicheren Datenbank dokumentieren.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Stammt der Fisch wirklich aus Indonesien? Das lässt sich nun leicht beantworten. (Foto: Provenance)

Bewusster Leben liegt im Trend. Das zeigt sich auch häufig im Supermarkt. Ob in der Gemüseabteilung, beim Metzger und an der Fischtheke, Verbraucher achten darauf, woher ihre Produkte stammen. Doch was, wenn der angebotene Kabeljau anstatt aus dem atlantischen aus dem pazifischen Ozean kommt? Oder in Wahrheit gar kein Kabeljau ist, sondern ein sogenannter Köhler?

30 Prozent der Meerestiere, die in Restaurants, bei Einzelhändlern oder in Supermärkten verkauft werden, sind falsch deklariert. Zu diesem Ergebnis kommen spanische Forscher in einer Studie, die sie im November 2015 im wissenschaftlichen Journal Food Control veröffentlicht haben. Manchmal handelt es sich bei den Falschangaben schlicht um einen Irrtum, etwa, wenn sich Arten zum Verwechseln ähnlich sehen. Oft steckt dahinter jedoch systematischer Betrug am Verbraucher mit dem Ziel, Fangquoten zu umgehen und mit vermeintlich wertvolleren Fischen höhere Margen zu kassieren.

Das britische Startup Provenance will, dass derlei Umweltfrevel und Konsumententäuschung bald der Vergangenheit angehört. Sie beschränken sich dabei nicht auf den Fischhandel: "Ob Diamanten in der Mine oder Bäume im Wald", prangern sie auf ihrer Webseite an, "es sind die tiefsten und dunkelsten Enden der Wertschöpfungsketten, die dem Planeten und dessen Lebewesen so sehr schaden". Und so streben sie danach, die undurchsichtigen Lieferwege des globalen Handel transparent zu machen. In Zukunft soll die Herkunft - Provenance im englischen - für sämtliche Produkte zweifelsfrei nachvollziehbar sein.

Blockchain als Grundlage

Die Zeitenwende würde ausgelöst werden durch ein technologisches System, um das sich zuletzt ein regelrechter Hype entwickelt hat: die Blockchain, von der es bereits hieß, dass sie das Zeug dazu hätte, die Bankenwelt zu revolutionieren. Außerhalb der Tech-Szene wurde das System erst durch die digitale Währung Bitcoin bekannt, die auf ihr beruht.

Die technische Umsetzung mag ungeheuer komplex sein. Das Grundprinzip dahinter ist jedoch simpel: Die Blockchain ist so etwas wie ein gigantisches digitales Archiv, in dem jede einzelne Transaktionen zwischen Computern exakt gespeichert wird. Im Gegensatz zu vielen herkömmlichen Datenbanken geschieht das allerdings nicht auf einem einzelnen Privatserver. Die Informationen sind verschlüsselt und auf tausenden Rechnern gleichzeitig hinterlegt. Wird ein einzelner manipuliert oder fällt aus, bleibt die Information andernorts erhalten.

Das Team von Provenance hat nun ein Programm entwickelt, was sich dieses System zu Nutze macht. Eine erste Anwendung sei der Fischfang in Indonesien. Keine Nation fängt so viel Thunfisch. Das Problem sind die Trawler, die die Gewässer vor den Küsten leerfischen. Die traditionelle Fischerei hingegen gilt als ökologische Alternative, von der die lokale Wirtschaft lebt. Die Tiere werden nicht mit Schleppnetzen, sondern einzeln gefangen, was eine Überfischung verhindert. Fair Trade beispielsweise honoriert dies mit ihrem Siegel.

Den weiten Weg vom Fischer zum hiesigen Konsumenten will Provenance nun akribisch dokumentieren. Den genauen Umfang und die Qualität ihres Fangs müssen die Fischer festhalten, im System speichern und ihre Ware nachverfolgbar machen - beispielsweise durch das Versehen mit Barcodes. Der Händler scannt die verschiedenen Barcodes ein, wenn er die frische Ware einkauft.

Mittels App lässt sich der gesamte Weg des Produkts nachvollziehen

Auf jedem der folgenden Glieder der Lieferkette muss eine Registrierung vorgenommen werden, damit parallel dazu auch im digitalen Archiv der Blockchain gespeichert wird, wie die Ware von einem Eigentümer zum nächsten wechselt. Am Ende der Kette steht schließlich der Verbraucher, der den Thunfisch aus der Tiefkühltruhe nimmt und den Code der Verpackung scannt. Auf der Smartphone-App erscheinen die genauen Informationen über dessen indonesische Herkunft, abgerufen aus dem digitalen Archiv. Zwischen umgerechnet 9 und 27 Euro kostet der Konsumenten der Dienst.

“Die Blockchain liefert uns eine Infrastruktur, die wie ein Schiedsrichter sicherstellt, dass die Regeln eingehalten werden”, kommentiert Provenance die Bedeutung der Datenbank. Die Regeln, aufgestellt von den Programmierern des Startups, halten unter anderem fest, wer das Archivprotokoll mit weiteren Produktinformationen ergänzen darf: Produzenten, verarbeitende Unternehmen, Zertifizierer, Händler und Endkunden beispielsweise. “Die Blockchain kümmert sich darum, dass jeder geblockt wird, der das System betrügen möchte”, erklärt Provenance. “Und es gibt keinen Weg, diese Kontrollfunktion zu beeinflussen”.

Darin würde auch die Verlässlichkeit des Systems beruhen. Denn Datenbanken zur Nachverfolgung von Produkten gibt es schon lange. Allerdings decken sie sich oft nicht ganze Lieferketten ab, sind nur von wenigen einsehbar und können nachträglich verändert werden. “Diese Zersplitterung macht die Bemühungen anfällig für Betrug“, so das Unternehmern.

Barcode einscannen, fertig: So einfach funktioniert das System für den Verbraucher. (Foto: Provenance)

Die Sorgen so mancher Unternehmer vor einer völligen Offenlegung aller beteiligten Geschäftspartner möchte Provenance jedoch zerstreuen: “Das System erlaubt es den Teilnehmern anonym zu bleiben“, formulieren sie. Denn: Wichtig sei, dass der Besitzwechsel eines Produkts stattgefunden hat. Der tatsächliche Name der Handelnden sei unerheblich. Provenance verfolgt mit der Blockchain die Vision, sämtliche Warenströme der Welt in dem digitalen Archiv zu speichern - egal ob es sich um Lebensmittel oder Produkte der Textilindustrie handelt. “Technisch gesehen gibt es keine Grenze hinsichtlich der Menge an Informationen, die man in der Blockchain hinterlegen kann“, schwärmen sie.

Einige Fragen bleiben dennoch offen: zum Beispiel, wie die Rückverfolgung von Materialien wie Erzen garantiert werden soll, die miteinander vermischt werden; oder wie verhindert werden soll, das fehlerhaft deklarierte Produkte überhaupt erst in die Kette gelangen. Unklar ist auch, wie die Speicherkapazitäten gestemmt werden könnten, sollten alle Produktströme der Welt von der dezentralen Datenbank erfasst werden.

Ob die Blockchain diese Vision ermöglichen wird oder nicht. Sie liefert bereits ein nettes Marketing-Tool - und das nicht nur für die Verkäufer des Thuna an der Küste von Indonesien. Auch Jonathan Norris, ein Fischer aus Nordengland hat sich auf die Rückverfolgung des bescheidenen Lieferweg seines geräucherten Schellfischs mithilfe der Blockchain eingelassen - und wurde mit der Veröffentlichung von hochauflösenden Fotos und wohlformulierten Texten belohnt.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%