Das kleine Wunder der Elbe Von der Giftbrühe zum Badefluss

Baden im Fluss: Vor 25 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, das in der Elbe zu versuchen. Die Wasserqualität hat sich inzwischen massiv gebessert – doch der Fluss hat neuen Stress.

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Bei auflaufendem Wasser gehen Besucher am Strand von Cuxhaven-Döse scheinbar vor einem Frachtschiff auf der Elbe entlang. Quelle: dpa

Giftbrühe, toter Fluss, chemische Reinigung: Die Beinamen der Elbe waren vor dem Mauerfall alles andere als schmeichelhaft. Wie die Emscher im Ruhrgebiet oder der Rhein stand sie lange für Umweltsünden der Industrie und galt als einer der schmutzigsten Flüsse Europas. Baden? Unmöglich. Fischfang? Vermarktung verboten.

Wie sehr sich dieses Bild gewandelt hat, zeigt sich ab diesem Samstag: eine mehr als 500 Kilometer lange Schwimmstaffel lenkt den Blick zur Elbe. In 19 Etappen führt sie im Wissenschaftsjahr vom sächsischen Bad Schandau bis zur Staustufe in Geesthacht in Schleswig-Holstein. Es geht vorbei an einer einzigartigen Kultur- und Naturlandschaft, die vom Reformationsjubiläum bis zum Biber viel zu bieten hat. Doch es gibt nicht nur Erfolge. Trotz ihrer guten Wasserqualität hat die Elbe Probleme - und ein Gedächtnis.

Vor fast 30 Jahren machte der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) Schlagzeilen, als er in einem Neoprenanzug den Rhein durchschwamm. Was 1988 einer Wahlkampf-Wette geschuldet war, die nichts mit Umwelt zu tun hatte, kam in den Medien anders an. Der Sandoz-Skandal, bei dem hochgiftiges Löschwasser nach einem Brand im Chemiekonzern einen roten Rhein und Tonnen toter Fische verursachte, war erst zwei Jahre her. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 hatte das deutsche Umweltbewusstsein verändert.

„Die Reaktionen auf meine „Rheindurchquerung“ waren politisch außerordentlich negativ“, erinnert sich Töpfer heute. „Für mich war es keineswegs eine Utopie, zu erwarten, dass große deutsche Flüsse wie die Elbe oder der Rhein so sauber werden, dass man sie auch für Schwimmstaffeln nutzen kann“, ergänzt er.

Elbe hat sich schnell erholt

Damit war Töpfer, später Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms, Ende der Achtzigerjahre eine Ausnahme. Zwei Tage nach dem Mauerfall zitierte der „Spiegel“ aus einer geheimen Studie des DDR-Umweltministeriums. Danach lag die Belastung der Elbe mit Schwermetallen um ein Vielfaches über den Höchstwerten der europäischen Trinkwasserrichtlinie. Es ging um Quecksilber, Cadmium, Chlorkohlenwasserstoffe und anderen Chemiemüll aus Fabriken entlang der Elbe und ihren Nebenflüssen - eine wahre Giftbrühe, die vom deutsch-deutschen Grenzfluss in die Nordsee gespült wurde.

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Heute gleicht das Flusssystem Elbe in langen Abschnitten einem Naturparadies - samt Unesco-Siegel. „Ökologische Systeme haben ein hohes Regenerationsvermögen. Dass sich die Elbe aber so schnell erholt und auch viele Tiere wie der Elbebiber zurückkommen, das hat kaum jemand erwartet“, sagt Markus Weitere, Gewässerökologe am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg. „Es gibt heute in der Elbe deutlich weniger Schadstoffe wie Schwermetalle. Da hat sich durch die politische Wende, das Runterfahren der Industrie und verbesserte Kläranlagen erheblich etwas zum Positiven entwickelt.“

Doch es bleibt ein großes Aber. Die Elbe sei durch Eutrophierung, also den Eintrag von Nährstoffen und dem daraus folgenden Algenwachstum, immer noch ein problematischer Fluss, berichtet Weitere mit Blick auf Nitrat und Phosphat aus der Landwirtschaft. Dazu komme die vom Menschen veränderte Form des Flusses mit Strömungen und Ufern. „Wenn wir den gesamten ökologischen Zustand des Systems Elbe anschauen, wird er immer noch nicht als gut bewertet, sondern in weiten Teilen als mäßig und unbefriedigend“, sagt Weitere.

Fische kehren in den Fluss zurück

Das sieht Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei ganz genauso. „In den letzten Jahrzehnten hat man sich vor allem auf die chemische Wasserqualität gestürzt und hatte da auch große Erfolge“, sagt er. Seltene Flussfischarten wie Barbe, Hasel oder Aland kehrten zum Beispiel zurück. Auch der Lachs wird wieder angesiedelt.

Seit Ende der Neunzigerjahre aber seien Verbesserungen relativ marginal geblieben, ergänzt Wolter. Deshalb sei es Zeit für einen Paradigmenwechsel, ganz im Sinne der neuen Wasserrahmenrichtlinie: Nicht nur die chemische Wasserqualität zählt. Die ökologische Qualität ist gleichwertig.

An diesem Punkt liegt auch für Wolter einiges im Argen. „Anders als bei der Industrie sind die Auflagen für die Landwirtschaft überhaupt nicht verschärft worden“, kritisiert er. Nach der Wende hätten sich durch Prämien für Flächenstilllegungen an ostdeutschen Flüssen ökologisch wertvolle Uferrandstreifen gebildet. Doch der Maisanbau für Biogas, der sich für Landwirte finanziell mehr lohnt, habe diesen Effekt nun wieder torpediert. Die intensive Landwirtschaft bringe wieder vermehrt Nitrat und Nitrit ins Wasser - und befördert damit die große Gefahr eines verstärkten Algenwachstum. Es nimmt Licht und kann zu instabilen Sauerstoffbedingungen im Fluss führen.

Sorge macht Wolter auch die Schifffahrt. „Es geht vor allem um die Belastung durch Wellenschlag am Ufer, in erster Linie durch Passagierschiffe und Sportboote“, sagt er. Durch ihre Bauform und Gleitfahrten komme deren Oberflächenwelle fast ungebrochen ans Ufer. Dort lebten Jungfische und Pflanzen in der flachen Uferzone. „Die Rückströmung zieht das Wasser vom Ufer weg“, berichtet Wolter. Bei Torgau mache das zum Beispiel einen Meter Unterschied aus. Dazu komme die breite und tiefe Fahrrinne für Güterschiffe, um möglichst ganzjährig zu laden. „Das hat oft sehr steile und mit Steinschüttung befestigte Ufer zu Folge“, sagt er. Für Fische und Pflanzen blieben durch all das weniger lebenswichtige Flachwasserbereiche übrig.

Altlasten werden aufgewirbelt

Susanne Heise, Ökotoxikologin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, hat vor allem die Ablagerungen der Elbe im Blick - ihre Sedimente. Sie sind wie das Gedächtnis eines Flusses. „Schwebstoffe und Schadstoffe in den Sedimenten sind heute die großen Probleme für die Elbe“, urteilt sie. Dazu zählen auch die Altlasten wie Schwermetalle, die immer noch etwa aus alten Tagebauten eingeschwemmt oder bei Hochwasser wieder aufgewirbelt werden.

Zwar gebe es ein Sedimentmanagementkonzept mit Schwellenwerten für Konzentrationen, berichtet Heise. Es sei aber nicht verpflichtend und habe mit Blick auf Schadstoffquellen noch viele weiße Flecken. Wichtig wäre ihr deshalb eine Prioritätenliste: Wo ist es ökologisch sinnvoll, Altlasten vom Grund zu baggern? Solche Verfahren sind teuer. „Mit Verbesserungen bei den Sedimenten könnte die Elbe aber noch einmal einen Sprung nach vorn machen“, sagt die Forscherin.

Doch immer noch passieren Fehler. In Tschechien gelangten durch die Sanierung einer Brücke zum Beispiel große Mengen an giftigen organischen Chlorverbindungen (PCB) in die Elbe, berichtet Heise. Sie steckten wahrscheinlich als Weichmacher in alten Farbe und Lacken. Doch bei der Brückensanierung fehlten Planen, die beim Abstrahlen ein Rieseln der Farbreste in die Elbe verhindert hätten. Die Umweltsünde fiel erst auf, als Messstationen flussabwärts ungewöhnlich hohe PCB-Konzentrationen registrierten.

Antibiotika-Rückstände und Mikroplastik machen Flüssen zu schaffen

Zu den dauerhaften Einträgen aus der Landwirtschaft wie Dünger und Pflanzenschutzmittel kommen noch andere Substanzen. „Dazu gehören Mikroschadstoffe und Antibiotika-Rückstände aus Krankenhäusern.

Die lassen sich nicht so einfach aus dem Abwasser filtern und werden auch von Kläranlagen nicht vollständig zurückgehalten“, sagt Gewässerökologe Weitere. „Dazu kommt Mikroplastik, zum Beispiel aus dem Abrieb von Plastikflaschen oder Tüten. Das ist per se nicht giftig, aber es ist ein sehr widerstandsfähiges Material, das in die Nahrungskette gelangt.“

Zudem sind Flusssysteme heute keine ökologisch isolierten Gebiete mehr. Sie werden durch Kanäle verbunden. Schiffe transportieren Exoten, die Konkurrenten zu einheimischen Arten sein können. In der Elbe sind es bisher eingewanderte Flohkrebse und Muscheln.

Und es geht auch um den Klimawandel, der im Verdacht steht, Extremwetterlagen mit Hoch- und Niedrigwasser zu begünstigen. „Hauptproblem ist also ein ganzes Set an Stressoren, die für sich allein wenig ausmachen, aber in ihrer Summe wirken“, resümiert Weitere. „Das ist nicht wie in den Achtzigerjahren, als wir praktisch tote Flüsse hatten und es sehr eindeutige Effekte durch die Industrie und häusliche Abwässer gab“.

Pestizide in der Elbe vermeiden

Für ihn ist es heute ein subtiler Prozess, den es zu beobachten gilt. „Wir haben Signale, dass sich die Lebensgemeinschaft im und am Wasser an die chronische Belastung durch Chemikalien anpasst. Und empfindliche Arten verschwinden aus diesem System.“

In vielen Bereichen sehen die Wissenschaftler deshalb Luft nach oben, um an der Elbe noch größere Wunder möglich zu machen. Mit Blick auf die Elbe als Bundeswasserstraße gebe es die Möglichkeit, als Kompromiss ökologisch verträgliche Uferbefestigungen zu bauen, sagt Weitere. Forscherin Heise will den Ursachen für Algenwachstum noch genauer nachspüren.

„Es wäre das Beste, überhaupt keine Pestizide in der Landwirtschaft zu verwenden, dann würden sie auch nicht ins Wasser gelangen“, sagt sie. „Aber das geht nicht bei der Form der Landwirtschaft wie wir sie heute haben. Nur mit klaren Argumenten kann man gegen alle Widerstände Maßnahmen durchsetzen.“ Noch lägen solche Daten aber nicht vor.

Gewässerökologe Wolter ist skeptischer, wenn es um Verbesserungen bei der Struktur von Flüssen geht, um ihre Strömungen, Auen und Ufer. „Mit dem Mund ist der Wille europaweit da, aber die Erfolge sprechen eine andere Sprache. Es wird wenig im erforderlichen Maß umgesetzt, auch nicht in Deutschland.“

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