Ernährung Ist Entengrütze die Proteinquelle der Zukunft?

"Entengrütze": Die kleinen, grünen Linsen im Teich kennt jeder - gegessen haben sie bislang wohl die Wenigsten. Forscher zeigen, dass sie eine wertvolle Nahrungsquelle für Menschen sein könnten.

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Wasserlinsen könnten künftig eine Rolle auch in der menschlichen Ernährung spielen.

Die kleinen, grünen Kügelchen schwimmen in einer Nährlösung. An Mittagessen denkt man dabei erstmal nicht. Eher an den Ententümpel aus dem Park. Doch Wasserlinsen, auch bekannt als Entengrütze oder Entenflott, haben offenbar die Chance, groß in der menschlichen Ernährung rauszukommen. Ein Team aus deutschen und indischen Forschern untersucht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena das Potenzial der winzigen Wasserpflanzen. Die Forschergruppe nahm besonders die Art Wolffia globosa unter die Lupe, sie erwies sich als am vielversprechendsten. Die Analyse der Inhaltsstoffe ließ die Wissenschaftler staunen.

Die Wasserlinsen sind vor allem als pflanzliche Eiweißquelle interessant - nicht nur für Vegetarier und Veganer. „Die Wasserlinsen könnten durchaus als Proteinquelle für die menschliche Ernährung dienen“, sagt Prof. Dr. Gerhard Jahreis von der Universität Jena. Der Gehalt an Eiweiß sei mit durchschnittlich 30 Prozent in der Trockenmasse vergleichbar mit dem von Erbsen, Raps oder Lupine. "Da sich Ernährungswissenschaftler bisher nicht mit Wasserlinsen beschäftigt haben, wollten wir die Wasserlinsen zunächst einmal möglichst umfassend hinsichtlich ihrer ernährungsphysiologen Bedeutung charakterisieren", so Jahreis.

Dabei zeigte sich: Die Zusammensetzung der Aminosäuren (die Bausteine, aus denen Eiweiße bestehen) ist nahezu ideal. Keine der untersuchten Wasserlinsen-Proben habe die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterschritten. Die Aminosäurezusammensetzung sei durchaus vergleichbar mit der von Kichererbsen- oder Lupinenmehlen, die vor allem in der vegetarischen und veganen Ernährung zum Einsatz kommen, um tierische Proteine zu ersetzen.

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Die "Eier des Wassers"

Bislang wird die unscheinbare, schnell wachsende Pflanze in Deutschland unterschätzt. In anderen Ländern kennt und schätzt man Wasserlinsen hingegen schon lange in der Ernährung. In Thailand, Kambodscha und Laos steht Entengrütze in Form von Suppen oder als Gemüsebeilage vor allem in ärmeren Bevölkerungsschichten seit Jahrtausenden auf dem Speiseplan. Bereits in den Siebzigerjahren hatten thailändische Forscher die Pflanze als eine potenzielle, kostengünstige Proteinquelle angepriesen. In Thailand heißt die Pflanze in Anspielung auf den hohen Eiweißgehalt "Khai-nam", was soviel bedeutet wie "Eier des Wassers".

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Ein weiterer positiver Wert: Entengrütze enthält wertvolle Omega-3-Fettsäuren. Etwa die essentielle alpha-Linolensäure, die eine wichtige Rolle bei Entzündungsprozessen im Körper spielt. Zwar enthält die Wasserlinse insgesamt wenig Fett: 3 bis 7 Prozent der Trockenmasse waren es in den Untersuchungen. Jedoch gilt hier ähnlich wie bei den Eiweiß-Bausteinen: Die Zusammensetzung macht's.

Die durchschnittliche westliche Ernährungsweise enthält nämlich deutlich mehr ungesunde Omega-6- als gesundheitsfördernde Omega-3-Fettsäuren. Hier könnte die Wasserlinse einen positiven Einfluss nehmen und durch ihren hohen Gehalt an alpha-Linolensäure dieses ungünstige Verhältnis aufbessern.

Gibt es bald Entengrütze-Smoothies für das gesunde Extra?

Für die Nutzung in der menschlichen Ernährung spricht auch, dass Wasserlinsen problemlos Spurenelemente aufnehmen können, die im Wasser gelöst sind. So ließen sich ernährungsbedingte Mangelerscheinungen mit geringem Aufwand ausgleichen, erklären die Wissenschaftler. Die Entengrütze kann durch die Zusammensetzung des Nährmediums, auf dem sie kultiviert wird, quasi jedes gewünschte Spurenelement aufnehmen. Leidet die Bevölkerung etwa an Zink-Mangel, könnte durch die Gabe von Zink ins Wasser der Entengrütze die Versorgung verbessert werden, erklärt Dr. Klaus Appenroth von der Universität Jena. Die Wasserlinse könnte dann zum Beispiel in den hierzulande beliebten Smoothies oder als Mehl in Gebäck eingesetzt werden und so als Vehikel für wichtige Nährstoffe dienen.

Appenroth leitet das internationale Komitee zur Wasserlinsen-Forschung bereits in der zweiten Amtszeit und forscht seit vielen Jahren schwerpunktmäßig zu der Schwimmpflanze. Er hebt weitere Vorzüge der Mini-Pflanzen hervor: „Die Wasserlinsen vermehren sich sehr rasch, benötigen aber keine zusätzlichen Anbauflächen. Es ist die am schnellsten wachsende Blütenpflanze der Welt." Damit hat die Entengrütze einen entscheidenden Vorteil, etwa gegenüber der umstrittenen Sojapflanze, die gern als Beispiel genommen wird für alles, was falsch läuft in der Landwirtschaft: abgeholzte Regenwälder, ungezügelte Gentechnik und gigantische Monokulturen.

In den Niederlanden und in Israel gibt es bereits erste Anlagen, in denen Wasserlinsen in industriellem Maßstab gezüchtet und geerntet werden. "Außer der traditionellen Nutzung in der Ernährung in einigen südostasiatischen Ländern sind sie bisher für die Biomasseproduktion von Interesse", erläutert Jahreis. Die Versuchsanlagen sind auf Energiegewinnung ausgelegt, etwa für die Herstellung von Treibstoff in Form von Bio-Ethanol.

Für einen kommerziellen Einsatz in der Ernährung in Ländern, in denen die Wasserlinse nicht traditionell auf dem Speiseplan steht, müssten noch bürokratische Hürden genommen werden: In der EU fällt das Produkt unter die Novel Food Verordnung und müsste erst zugelassen werden. Dazu wäre eine Risiko-Analyse nötig, "wie sie etwa auch genetisch veränderte Lebensmittel unterlaufen müssen", sagt Appenroth - doch das ist teuer. Jahreis erklärt: "Dazu sind Human-Studien erforderlich, die wir noch nicht leisten konnten. Die Kosten einer solchen Studie liegen in der Größenordnung von 100.000 Euro." Derzeit sehe er keine Chance, eine solche finanzielle Unterstützung zu bekommen, ergänzt er.

Anhand der bisherigen Erkenntnisse erwarten die Wissenschaftler keine negativen Wirkungen auf den Menschen. Das größte Problem bei der Produktion ist die Wasserqualität. Die Pflanze nimmt aus dem Wasser nicht nur sehr gut essenzielle Mineralstoffe und Spurenelemente auf, sondern eben auch toxische Mineralstoffe und andere im Wasser gelöste ungünstige Substanzen. "Deshalb kann man nicht von jedem Gewässer Wasserlinsen gewinnen. Für den professionellen Anbau sind kontrollierte Zuchtbecken erforderlich", so Jahreis. "Aber natürlich kann jeder, dem sauberes Leitungswasser zur Verfügung steht, in seiner persönlichen Aquakultur Wasserlinsen anbauen."

Die Forscher veröffentlichen ihre Ergebnisse in der renommierten Zeitschrift „Food Chemistry" unter dem Titel „Nutritional value of duckweeds (Lemnaceae) as human food".

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