Nahrung Unser skandalöser Umgang mit Fleisch

Eine Studie zeigt: Weniger als die Hälfte eines geschlachteten Tiers landet auf den Tellern der Verbraucher.

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Dass viele Lebensmittel unnötigerweise im Müll landen, ist weithin bekannt – dass speziell auch unser Fleischkonsum mit einer gigantischen Verschwendung einhergeht, dagegen weniger. Wie groß die Verschwendung ist, das haben die Heinrich-Böll-Stiftung, der BUND und die deutsche Ausgabe von Le Monde Diplomatique jetzt in ihrem aktuellen Fleischatlas zum Thema "Abfall und Verschwendung" untersucht.

Demnach "wirft" jeder Bundesbürger pro Jahr mehr als vier Kilogramm Fleisch weg. Das ist aber keineswegs das Fleisch, das nach dem Einkauf im Müll landet, sondern das Gewicht der Tiere, die vor der Schlachtung verenden. Zu den Kollateralschäden der Fleischindustrie kommen noch die Konsumvorlieben der Verbraucher hinzu. Von den Tieren, die tatsächlich in die Schlachtung gelangen, landet am Ende nur rund die Hälfte des Fleisches in den Supermärkten.

Hähnchen in der DruckertinteIm Einzelnen sehen die Daten so aus: In Deutschland verenden laut Fleischatlas etwa 20 Prozent aller Schweine bereits vor Ankunft auf dem Schlachthof. Das entspricht 4,1 Millionen Tieren pro Jahr. Hinzu kommen 45 Millionen Hühnchen und 230.000 Rinder, die vor der Schlachtung sterben.

Tiere, die durch Seuchen verenden, müssen die Landwirte gesondert entsorgen, um weitere Infektionen zu vermeiden. Tiere, die während der Mast sterben, werden von der Industrie meist für nicht essbare Produkte verwertet.

Außerdem entstanden 2013 bei 11,4 Millionen Tonnen Lebendgewicht der geschlachteten Tiere etwa 4,9 Millionen Tonnen sogenannte „tierische Nebenprodukte“. Darunter fällt alles, was keine Abnehmer in den Supermärkten findet wie zum Beispiel Innereien, Fette, Borsten, Knochen, Magen- und Darminhalte. Einen großen Anteil davon benutzt die Industrie als Basis für Textilien, Seifen, Waschmittel, Kosmetika, Arzneimittel, Gummi, Farben, Kunststoffe, Druckertinte und organischen Dünger. Diesen Produkten sind ihre tierischen Inhaltsstoffe kaum anzusehen.

So ist nicht nur die Sterberate vor der Schlachtung, sondern auch der Anspruch der Verbraucher für den verschwenderischen Umgang mit Fleisch verantwortlich. Je nach Tierart verspeisen wir nur noch ein Drittel des Tieres direkt. Waren Blutwurst, Kuttelsuppe, Hirn, Zunge, Leber, Niere, Eisbein und Ochsenschwanz in den 1960ern und 1970ern noch gern gesehen auf dem Sonntagstisch, sind diese Speisen heute meist nur noch für Traditionalisten oder Gourmets interessant.

1984 verspeiste jeder Westdeutsche durchschnittlich 1,5 Kilogramm Innereien, 2002 waren es noch 650 Gramm im gesamtdeutschen Durchschnitt, im vergangenen Jahr waren es nur noch 150 Gramm.

Dass Fleisch angesichts der anwachsenden Vegetarierbewegung zur „Zigarette der Zukunft“ wird, ist dennoch nicht wahrscheinlich. Zwar nimmt der Fleischkonsum leicht ab, doch die Nachfrage nach den edlen Teilen, den Filetstücken, steigt. Vor allem gesundheitsbewusste Menschen überall in Europa ziehen die zarte und fettarme Geflügelbrust dem Rest des Tieres vor. Hühnerrücken und Hühnerhälse hingegen werden häufig nicht mal mehr in einer Suppe verarbeitet.

15.000 Liter Wasser für ein Kilo RindfleischDass ein beträchtlicher Teil der Tiere am Ende gar nicht für den menschlichen Verzehr stirbt, ist nicht nur aus ethischer Sicht problematisch. Es bedeutet auch eine unnötige, gigantische Ressourcenverschwendung.

Denn in unserem Fleisch stecken nicht nur Proteine und Fett, sondern auch eine gute Portion Wasser und Land. 15.000 Liter Wasser sind nötig, um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren. Davon trinkt das Tier in seinem Leben aber nur einen kleinen Teil. Der Großteil wird für den Anbau des Futters und ein wenig für die Stallreinigung verbraucht.

Außerdem wird Fläche verbraucht, um zum Beispiel ein Rind zu halten. Um ein Kilo Rindfleisch auf unsere Teller zu bringen, sind laut einem WWF-Report außerhalb der EU bis zu 49 Quadratmeter nötig. In Deutschland sind es hingegen nur 27 Quadratmeter, allerdings ernährt sich hier das Vieh weniger auf Weideflächen. Für die wird in Schwellenländern aber häufig auch Regenwald gerodet, für den Futtermittelanbau sowieso. Umso ärgerlicher ist es, wenn das mit viel Aufwand und Ressourcen produzierte Fleisch nicht einmal in unseren Einkaufskörben landet.

Die Zahlen für Fleisch mögen drastisch klingen, doch die Verlustquote bei anderen Lebensmitteln übertrifft diese sogar noch. Die Welternährungsorganisation (FAO) geht davon aus, dass fast ein Drittel aller Lebensmittel entweder verdirbt oder unverdorben weggeworfen wird. Das bedeutet nach Informationen des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung, dass ein Bundesbürger in etwa sein Eigengewicht (82 Kilogramm) pro Jahr in Form von in Lebensmitteln indirekt oder direkt entsorgt.

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