Schweizer Deponie Der Giftmüll verschwindet aus dem Aargau

Auf der Sondermülldeponie Kölliken fand sich alles, was giftig ist. Auch nach der Räumung ist sie noch nicht giftfrei.

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Kölliken im Kanton Aargau kennen die Eidgenossen als „das Dorf mit der Deponie“. Die meisten von ihnen sind vermutlich schon einmal daran vorbei gefahren. Die Autobahn 1 von Bern nach Zürich streift die 4000 Einwohner zählende Gemeinde. Mitten im Ort, in einer ehemaligen Tongrube, moderte jahrzehntelang die größte Sondermüllhalde des Landes vor sich hin.

Laugen, Lösemittel, Farbreste, Batterien, Schlacken aus Müllverbrennungsanlagen, Abfälle aus Aluminiumwerken und Sprengstofffabriken – 484.000 Tonnen Giftmüll wurden hier zwischen 1978 und 1985 angehäuft. Der Abfall kam aus der Schweiz, aus Italien, aus Bulgarien, aus halb Europa. Auch aus der Bundesrepublik.

Der deutsche Müllhändler Walter Reinger etwa ließ hier Druckfarben, Ölschlamm, Abwasserschlamm, Fettabfälle, Lacke, Teer und Talkumschlamm verscharren. Ohne Genehmigung, wie aus einem Briefwechsel zwischen dem Gewässerschutzamt Aargau und seiner Firma hervorgeht. Jahre später geriet Reinger als „Giftmüllkönig von Süddeutschland“ in die Schlagzeilen.

Zum üblen Müll kam eines Tages ein unerträglicher Geruch. Durch die Kanalisation kroch er in die Häuser, wie Bewohner Köllikens erzählen. Im Dorfbach starben die Fische. Untersuchungen zeigten, dass kontaminiertes Wasser aus dem Deponiekörper entwich. Schadstoffe bewegten sich auf die Kölliker Rinne zu, den Grundwasserstrom, der rund 200.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt. Eine Katastrophe bahnte sich an. Da wurde die Deponie geschlossen und saniert.

Die Betreiber, der Kanton Aargau, Stadt und Kanton Zürich sowie die Baseler Chemieindustrie, kämpften dafür, die Anlage wieder öffnen zu dürfen. Doch der Widerstand in Kölliken war zu groß. 2005 gaben sie schließlich auf und willigten ein, die Deponie zurückzubauen – ein in dieser gewaltigen Dimension weltweit einzigartiges und besonders kostspieliges Vorhaben.

Kosten: knapp eine Milliarde FrankenZehn Jahre später, konkret seit Mitte Juni, ist die Grube leer. Rund 900 Millionen Schweizer Franken mussten die Betreiber in die Hand nehmen, um den giftigen Dreck loszuwerden. Fass für Fass, Sack für Sack und Haufen für Haufen schafften die Eidgenossen die Umweltsünde aus dem Dorf.

Neben dem Müll von einst auch 105.000 Tonnen Abdeckmaterial und 11.000 Tonnen Fels aus dem Untergrund der Halde. Rund zwei Drittel des stark belasteten Abfalls transportierten sie zu Entsorgungsfirmen in den Niederlanden und nach Deutschland. Ein Teil der Altlast aus Kölliken wurde zum Beispiel in der Verbrennungsanlage Herten in Nordrhein-Westfalen verheizt.

Was dort als Schlacke wieder aus dem Ofen kam, wurde auf die Deponie Emscherbruch in Gelsenkirchen gebracht. Die mit Schwermetallen belasteten Filterstäube, die beim Verbrennen entstehen, wanderten in die hessische Untertage-Deponie für Sonderabfälle in Herfa-Neurode. Das Gift von Kölliken lässt sich zwar aus dem Dorf, aber nicht vollends aus der Welt schaffen.

Ganz verschwunden ist auch die Deponie noch nicht. Die Halle, die extra errichtet wurde, um den Rückbau hermetisch abzuriegeln, muss noch entgiftet werden. Bagger und Kipper, die wegen ständiger Brand- und Explosionsgefahr mit Panzerglas ausgestattet wurden, benötigen eine gründliche Reinigung. Auch der Fels des Deponieuntergrunds muss weiter von Schadstoffen befreit werden.

Erst wenn diese Arbeiten abgeschlossen sind, soll die Grube rekultiviert und die Halle anschließend abgebaut werden. Das kann noch ein paar Jahre dauern und noch ein paar Millionen kosten. Erst danach ist Kölliken wieder ein ganz normales Schweizer Dorf.

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