Stromverbrauch halbieren Ein Selbstversuch

Experten sagen, jeder Haushalt könne mit 30 bis 50 Prozent weniger Strom auskommen. Unser Kollege hat es ausprobiert.

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Ich sitze am Esstisch und fühle mich wie der Finanzminister. Vor mir ausgebreitet sind: ein Stapel Rechnungen, ein Taschenrechner, ein Rotstift. Der Werkzeugkasten aller Pfennigfuchser.

Daneben: eine Steckdose mit Display - mein neues Energieverbrauchsmessgerät. Denn es geht heute nicht um Geld, es geht um Strom. Tausend Kilowattstunden muss ich einsparen, koste es, was es wolle. Die Regierung in Berlin glaubt, dass Haushalte ihren Verbrauch massiv senken können - und damit die Energiewende erleichtern.

Das soll ich ausprobieren. Mein Chef will es so. "Und schreib das dann ganz persönlich auf", hat er gesagt. Warum schickt er mich nicht mal ganz persönlich in ein Fünf-Sterne-Resort, zum Probeurlaub?

Ich bin falsch für diesen Job. Ich geize nicht gern. Ein Bekannter von mir fährt per Straßenbahn zum Discounter am Stadtrand, weil es da billiger ist als im Supermarkt um die Ecke. So will ich nicht sein.

Und überhaupt: Viel Strom verbrauchen wir nicht. Wir haben Energiesparlampen. Mit Zeitschaltuhren. Was gibt es da noch einzusparen?

"Kochen einstellen, nur noch essen gehen", schlägt meine Freundin vor. "Die Katze ins Hamsterrad und Dynamo dran", empfiehlt der Studienfreund. "Den Computer ausschalten", rät Oma.

Ich brauche dringend einen Experten. Einen Mann wie Tobias Schleicher vom Öko-Institut in Freiburg. Strom sparen ist sein Beruf. "Wie viel verbrauchen Sie denn im Jahr?", fragt er. Ich zupfe ein Blatt aus dem Ordner, die Abrechnung von Greenpeace Energy, unserem Ökostromanbieter.

Es kann nie schaden, sich diese Art von Post genauer anzuschauen. Eine Freundin, die allein auf 23 Quadratmetern wohnte, zahlte sechs Jahre lang die Heizrechnung der Dreizimmerwohnung ihrer Nachbarn. Der Elektriker hatte beim Anschließen die Gaszähler vertauscht.

2291 Kilowattstunden Strom konsumieren wir im Jahr. "Nicht schlecht", lobt Schleicher. "Aber Sie schaffen 1200." Das ist beinahe die Hälfte. Es ist sogar fast nur ein Drittel der 3440 Kilowattstunden, die ein Zwei-Personen-Haushalt im Schnitt verbraucht - Warmwasser nicht einbezogen. Mit noch effektiveren Energiesparlampen, überschlage ich, wird es nicht getan sein.

Mein Kopfkino spult das Drama eines Lebens in Dunkelheit ab: Punkt halb neun klemme ich meiner Freundin den Fernseher vom Netz - jede Folge ihrer Serie brennt sich ja auf unserer Stromrechnung ein. Sie springt auf, reißt mein iPad von der Steckdose. Dann Gebrüll, Tränen, Trennung. Schöne Energiewende. Danke, Chef!

Andererseits: Stand nicht in der Zeitung, dass der Strom bis 2020 laut RWE und Vattenfall um 30 Prozent teurer wird? Ich rechne: 1091 gesparte Kilowattstunden, das wären 270 Euro - und künftig noch mehr. "So viel Strom", sagt Energieexperte Schleicher, "kann jeder Haushalt binnen Kurzem einsparen, und zwar ohne Komfortverluste."

VERSTECKTE ENERGIESÜNDER.Das macht mich neugierig. Ich starte eine Inventur. Als Erstes zähle ich die elektrischen Geräte in unserer Wohnung. Es sind viele. Genau gesagt: 56. Batteriebetriebene Uhren, Fernbedienungen und die Küchenwaage nicht einmal mitgezählt. Wenn Schleicher recht hat, verbergen sich darunter wahre Energiefresser - auf meine Kosten. Ich spüre, wie mein Jagdinstinkt erwacht, und zücke den Verbrauchsmesser: Ich mache die Watt-Diät!

Schleicher rät mir, beim Stand-by-Verbrauch zu beginnen. Der Klassiker, denke ich. Fernseher, Radio, Computer - sie alle saugen Strom, auch wenn sie anscheinend ausgeschaltet sind. Ich messe - und staune. Allein die beiden externen Festplatten, die ich an meinem Computer angeschlossen habe, obwohl ich sie nur alle paar Tage brauche, um etwa Fotos anzuschauen, schlucken 94 Kilowattstunden im Jahr. Umgerechnet kosten sie mich 23 Euro. Der Drucker - meistens ebenfalls in Bereitschaft - braucht 44 Kilowattstunden, der Internet-Router 50, der Computer im Ruhezustand elf, die Mikrowelle 15, der Festplattenrekorder 18, der Fernseher vier.

Hinter dem Sofa entdecke ich noch eine verschollene, angeschlossene Funksteckdose, die uns sinnlos zwei Euro im Jahr kostet. Sie wird uns beim Stromsparen helfen, beschließe ich: Mit ihr schalte ich Internet-Router und WLAN-Funkstation vor dem Zubettgehen vom Netz. Macht 30 Kilowattstunden weniger - 7,50 Euro.

Für den Fernseher gibt Schleicher mir einen Tipp: Eine so genannte Master-Slave-Steckdosenleiste, für 13 Euro im Internet zu haben, nimmt alle angeschlossenen Geräte, etwa DVD-Player oder Soundanlage, automatisch vom Stromnetz, wenn wir den Fernseher abschalten.

Neue Festplattenrekorder haben einen Akku, damit die Sender- und Aufnahmeinstellungen erhalten bleiben. Unserer leider nicht, er muss auf Stand-by bleiben.

Alle anderen Geräte aber schalten wir künftig aus oder ziehen notfalls den Stecker. Das spart uns, wie meine Berechnungen ergeben, 278 Kilowattstunden Strom - 72 Euro im Jahr. Geld, das bisher nutzlos die Stromleitung hinausgeflossen ist.

Die Jagd auf versteckte Energiesünder macht mir Laune, ich will weitersuchen. Aber wo? Beim Licht, rät Spar-Coach Schleicher. Die Glühbirne ist seit Anfang September in der EU verboten; bei uns brennt lange keine mehr. Allerdings haben wir Halogenstrahler, im Flur, im Bad, in der Dunstabzugshaube. Und die, erklärt mir Schleicher, solle ich gegen LED-Lampen tauschen, die seien längst genauso hell.

Ich recherchiere im Internet. Ein LED-Modell kostet schnell zehn Euro, oft auch deutlich mehr. Allein der Austausch der zehn Halogenlampen würde uns 72 Euro kosten. Langsam wird das Sparen teuer.

Vielleicht muss ich wie ein Betriebswirt denken, muss das Ganze als Investition betrachten. 28 Euro sparen uns die LEDs pro Jahr; damit rentieren sie sich nach weniger als drei Jahren, die wachsenden Strompreise noch nicht mitgerechnet. Bis sie kaputt gehen, bringen sie noch rund 20 Jahre lang Geld. Ersetzen wir auch noch alle zwölf Energiesparlampen mit LED-Birnen, lohnt sich das zwar erst nach knapp sieben Jahren. Dafür aber hätten wir mit dem neuen Licht 203 Kilowattstunden vermieden, ohne nur eine Minute im Dunkeln zu sitzen.

Mein Sparziel ist jetzt schon fast zur Hälfte erreicht. "Wie alt ist denn Ihr Kühlschrank?", will Schleicher wissen. Schon bin ich überfragt. "Verbrauch messen", drängt der Energieexperte. Der Mann triezt mich. Aber er hat es auch nicht leicht. Seit Jahren werden die Heimgeräte effizienter. Trotzdem bleibt der Stromverbrauch der Deutschen gleich. Denn Kühlschränke würden immer größer, sagt Schleicher, und der Trend gehe zum Zweitfernseher.

Eine Nacht lang misst der Zähler. Dann weiß ich: 540 Kilowattstunden verbraucht unsere Kühl-Gefrier-Kombi in zwölf Monaten. Ungläubig starre ich das weiße Monstrum in der Küche an. Was ist da los? Bleibt das kleine Licht vielleicht doch an, wenn die Kühlschranktür geschlossen ist?

Wie auch immer: Unser Stromfresser ist gefunden. Schließlich kommen die neuen, effizientesten Geräte, wie sie das Internet-Portal Ecotopten auflistet, mit fast einem Viertel des Stroms aus, den unser Kühlschrank schluckt. Der Kauf eines Siemens KG36EAL40 für 699 Euro etwa machte sich nach sieben Jahren voll bezahlt.

Langsam habe ich das Gefühl, dass Schleicher nicht so falsch liegt mit seiner Effizienzrechnung. Nur 319 Kilowattstunden muss ich jetzt noch tilgen.

Dazu nehme ich mir die richtig heißen Geräte vor: den Wasserkocher, die Kaffeemaschine. Kaum zu fassen, was sie auf dem Verbrauchsmesser zur Schau stellen: Bis zu 2800 Watt Leistung - mit so viel Strom könnte ich die ganze Straße beleuchten.

Wie oft bringe ich den mehr als halb vollen Wasserkocher zum Brodeln, obwohl ich nur eine Tasse Tee will? 24 Kilowattstunden dürfte ich so pro Jahr verschwenden. Erwärmten wir Nudelwasser nicht auf dem Herd, sondern im Wasserkocher, wären weitere 60 Kilowattstunden annulliert. Denn der Kocher ist dreimal effizienter.

Schalte ich wiederum die Kaffeepadmaschine sofort nach Gebrauch aus, macht das sogar 85 Kilowattstunden weniger. Alles in allem habe ich in der Küche 42 Euro gespart, ohne einen Cent auszugeben.

MEHR STREAMEN, KALT WASCHEN.Das beeindruckt mich. Ich habe Stromspartipps offenbar nie richtig ernst genommen. Man kennt ja die üblichen Ratschläge - interessant werden sie aber erst, wenn Schleicher sie mit Zahlen illustriert: Die Waschmaschine voll beladen und nur noch ein Viertel der Waschgänge mit 60 Grad waschen, bringe rund 14 Euro im Jahr. Wer die Umwälzpumpe der Heizung optimal einstelle, gebe 63 Euro weniger aus. Ein sparsamer Duschkopf senkt die Stromrechnung sogar um 121 Euro.

Ich addiere meine Sparerfolge - und bin überrascht: 1041 Kilowattstunden habe ich vermieden - und 921 Euro ausgegeben. Das Geld hole ich nach dreieinhalb Jahren über die Stromrechnung wieder rein.

Hier könnte ich meine Watt-Diät beenden. Noch aber fehlen mir 50 Kilowattstunden bis zu meinem Ziel. Die schaffe ich auch noch! Etwa, in dem ich Tiefkühlkost im Kühlschrank auftaue, nicht mehr auf dem Tisch, das bringt bestimmt ein paar Kilowattstunden. Wir könnten nur noch HD-Fernsehen schauen, das verbraucht bei uns ein Viertel weniger Strom als analoge Bilder. Und Filme aus dem Internet zu streamen, saugt nur ein Zehntel der Energie, die unser DVD-Player braucht.

Eine andere Option gefällt mir noch besser: neue Geräte. Unser Fernseher, vier Jahre alt, 42 Zoll, verbraucht 119 Kilowattstunden im Jahr - der Neueste von LG nur 44. Mein Computer schluckt 72 Kilowattstunden, das MacBook Air von Apple acht.

Gut, der Laptop kostet 1249 Euro. Sein Kauf amortisiert sich erst nach 78 Jahren. Die letzten Kilowattstunden, die man spart, sind eben immer die teuersten.

Aber auch die schönsten.

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