Wasserlinsen in der Ernährung "Entengrütze wäre ein idealer Eiweiß-Lieferant"

Wie lässt sich die wachsende Weltbevölkerung ernähren? Forscher der Uni Jena haben das Potenzial der Wasserlinsen, besser bekannt als Entengrütze, erkannt. Doch EU-Regularien bremsen die Power Pflanze aus.

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Gerhard Jahreis und Klaus Appenroth begutachten eine Probe von Wasserlinsen. Quelle: Presse

WiWo Online: Herr Appenroth, Sie und Ihr Team haben untersucht, wie wertvoll Wasserlinsen für die menschliche Ernährung wären. Bei Ihrer Versuchsreihe stießen Sie auf Erstaunliches: Diese unscheinbare, winzige Wasserpflanze hat viel zu bieten.
Klaus Appenroth: Dass der Proteingehalt sehr hoch ist, wussten wir. Wirklich überrascht waren wir, als wir uns die Aminosäurenzusammensetzung angesehen haben. Denn die ist ideal und genau so, wie die Weltgesundheitsorganisation es für die menschliche Ernährung empfiehlt. Auch bei der Analyse des Fettgehalts zeigte sich, dass die Zusammensetzung quasi durch nichts mehr zu toppen ist: Wir fanden einen sehr hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und vor allem den lebenswichtigen Omega-3-Fettsäuren. Gerade daran mangelt es in der Ernährung in westlichen Industrieländern häufig. Auch, wenn der Fettanteil in Wasserlinsen mit durchschnittlich fünf Prozent gering ist - von der Zusammensetzung her kann man sich kaum etwas besseres vorstellen. Wir waren deshalb so schnell erfolgreich, weil wir bei unseren Kollegen im Institut für Ernährungswissenschaften sofort auf offene Ohren gestoßen sind. Ohne die Kompetenz und die Kooperationsbeziehungen von Prof. Gerhard Jahreis wäre die Arbeit nie oder erst nach vielen Jahren erschienen.

Zur Person


Das klingt vielversprechend - gerade was den Kampf gegen Mangelernährung angeht.
Was mir unter den Nägeln brennt, ist die Situation in Indien: Insbesondere in der armen Bevölkerung ist die Ernährung stark kohlenhydratlastig. Reis ist das wichtigste Grundnahrungsmittel. Ein Mangel an Eiweiß und Spurenelementen ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Das könnte man sehr gut durch eine Zugabe von Wasserlinsen in allerlei Nahrungsmittel überwinden. In Indien wird die Pflanze traditionell nicht verzehrt, obwohl die klimatischen Bedingungen eigentlich ideal wären. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Wasserlinse dort als Nahrungsmittel einzusetzen und zu verbreiten.

Wie kamen Sie denn ausgerechnet auf Entengrütze?
Die Idee kam uns vor fünf Jahren. Eine indische Kollegin, Dr. Sowjanya Sree von der Zentraluniversität in Kerala, und ich unterhielten uns über die verbreitete Mangelernährung in Indien, zum Beispiel bei Zink, und wie man die Menschen besser versorgen könnte. Dabei fiel uns ein, dass die Wasserlinse die Nährstoffe, die man ihrer Nährlösung zusetzt, extrem gut aufnimmt. Könnte sie also nicht als Vehikel in der Ernährung dienen? Zusammen mit Kollegen aus der Ernährungswissenschaft beschlossen wir, zunächst näher zu untersuchen, welche ernährungsphysiologischen Eigenschaften Wasserlinsen noch haben, bevor wir sie mit Spurenelementen beladen. Schließlich bringt es ja nichts, wenn sie sonst keine günstigen Eigenschaften haben.


Kann ich nun die Entengrütze von meinem Gartenteich ernten und essen, oder ist es eine bestimmte Art, die diese guten Eigenschaften hat?
Wir haben uns in unserer Studie erst einmal einen Überblick über die verschiedenen Gattungen von Wasserlinsen und deren Inhaltsstoffe verschafft. Von allen fünf Gattungen haben wir jeweils eine Art untersucht. Dabei bemerkten wir, dass vor allem der Vertreter der Gattung Wolffia viele gute Eigenschaften in sich vereint. Außerdem wissen wir, dass es Länder in Asien gibt - etwa Kambodscha, Laos, Myanmar und natürlich Thailand - in denen seit Generationen Wasserlinsen gegessen werden. Was dort auf den Tisch kommt, sind auch Vertreter der Gattung Wolffia.

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Entengrütze klingt nicht so appetitlich - wie schmeckt sie denn? Haben Sie auch mal probiert?
Ich habe schon Mahlzeiten mit Wasserlinsen gegessen: Zum Beispiel ein Omelette, eine Suppe oder auch einen Salat. Die Entengrütze fügt sich da wunderbar ein: Wolffia hat keine Wurzeln, Sie können sich das wie kleine, grüne Kügelchen in dem Omelette vorstellen. Das sieht sehr hübsch aus. Den Geschmack würde ich mit „grün“ umschreiben. Die Wasserlinse ist sehr mild und hat relativ wenig Eigengeschmack. Am ehesten kann man es vielleicht mit einer milden Erbse oder grünem Salat vergleichen. Dadurch hat sie natürlich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten in allen möglichen Gerichten, ob süß oder herzhaft. In Thailand, wo der Verzehr der Pflanze seit Jahrhunderten Tradition hat, gibt es eine Fülle von Rezepten - man kann sie sogar in Gebäck verwenden.

Was Wasserlinsen in Europa ausbremst


Wie steht es um kommerzielle Nutzungsmöglichkeiten?
Es gibt schon Versuchsanlagen, etwa in Israel und den Niederlanden, in denen Wasserlinsen angebaut werden - hier geht es vor allem um Biomasse-Produktion, weil Wasserlinsen so wahnsinnig schnell wachsen. Es sind die am schnellsten wachsende Blütenpflanze überhaupt. Wie wirtschaftlich es ist, Wasserlinsen in großem Stil zu züchten, müssen allerdings andere beurteilen. Der wichtigste Aspekt ist Wasser, sowohl Qualität als auch Menge. Vor allem in warmen Ländern muss die Verdunstung möglichst gering gehalten werden - aber das ist eine Aufgabe für Ingenieure. Wir betreiben die Grundlagenforschung im Labor.
In Sachen Ernährung gibt es zum Beispiel eine israelische Firma, Green Onyx, die ein etwa kaffeemaschinengroßes Gerät vertreibt. Darin können Sie Ihre eigenen Wasserlinsen für den Hausgebrauch ziehen.

Das klingt, als könnte das für Vegetarier und Veganer hierzulande das neue große Ding sein.
Auf jeden Fall. Selbstgezogene Wasserlinsen sind so grün, bio und vegan, dass es schlimmer nicht geht. (lacht)

Alternative Ernährungsformen


Könnte es also bald Entengrütze-Smoothies im Supermarkt geben?
Nein, zumindest nicht in naher Zukunft. Für europäische Länder, in denen man Wasserlinsen ja nicht traditionell verzehrt, gibt es eine große Hürde: Die Novel Food Verordnung aus Brüssel.

Welche bürokratischen Hürden tun sich da auf?
Wasserlinsen werden als "neuartiges Lebensmittel" klassifiziert. Das bedeutet, dass die gleichen Untersuchungen durchgeführt werden müssen, die auch für gentechnisch veränderte Pflanzen vorgeschrieben sind. Das sind aufwändige, teure Untersuchungen. Das kann kein kleines Start-up leisten. In Wageningen in den Niederlanden gibt es eine Forschungsgruppe, die versucht, die geforderten Analysen anzufertigen. Sie wollen herausfinden, ob es irgendetwas gibt, was die Verwendung als menschliches Nahrungsmittel stören könnte. Mit den Kollegen stehen wir im engen Austausch. Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen: Seit Hunderten von Jahren wird die Pflanze in anderen Ländern gegessen; wenn da irgendetwas wäre, hätte man das gemerkt - auch ohne teure Analysen. Aber gut, da müssen wir jetzt durch.


Wie geht es weiter mit Ihrer Forschung?
Jetzt konzentrieren wir uns auf die Gattung Wolffia und all ihre Arten in der menschlichen Ernährung. Alle beteiligten Kollegen haben schon ihre Zustimmung gegeben und wollen weiter forschen. Man muss sich klar machen: Bisher haben wir nur Pflanzen gesammelt. Es hat ja noch gar keine Züchtung stattgefunden, wie wir es etwa seit Jahrtausenden bei Getreide haben. Das steht uns alles in wesentlich kürzerer Zeit bevor und kann die Eigenschaften der Pflanze massiv verändern. Nehmen Sie zum Beispiel Zuckerrüben: Noch vor 50 Jahren war da nicht mal die Hälfte des heutigen Zuckergehalts drin. Wir können also noch eine Menge erwarten.

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