WiWo Online: Herr Appenroth, Sie und Ihr Team haben untersucht, wie wertvoll Wasserlinsen für die menschliche Ernährung wären. Bei Ihrer Versuchsreihe stießen Sie auf Erstaunliches: Diese unscheinbare, winzige Wasserpflanze hat viel zu bieten.
Klaus Appenroth: Dass der Proteingehalt sehr hoch ist, wussten wir. Wirklich überrascht waren wir, als wir uns die Aminosäurenzusammensetzung angesehen haben. Denn die ist ideal und genau so, wie die Weltgesundheitsorganisation es für die menschliche Ernährung empfiehlt. Auch bei der Analyse des Fettgehalts zeigte sich, dass die Zusammensetzung quasi durch nichts mehr zu toppen ist: Wir fanden einen sehr hohen Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren und vor allem den lebenswichtigen Omega-3-Fettsäuren. Gerade daran mangelt es in der Ernährung in westlichen Industrieländern häufig. Auch, wenn der Fettanteil in Wasserlinsen mit durchschnittlich fünf Prozent gering ist - von der Zusammensetzung her kann man sich kaum etwas besseres vorstellen. Wir waren deshalb so schnell erfolgreich, weil wir bei unseren Kollegen im Institut für Ernährungswissenschaften sofort auf offene Ohren gestoßen sind. Ohne die Kompetenz und die Kooperationsbeziehungen von Prof. Gerhard Jahreis wäre die Arbeit nie oder erst nach vielen Jahren erschienen.
Zur Person
Dr. Klaus Appenroth ist Pflanzenphysiologe und Privatdozent an der Friedrich Schiller Universität Jena. Er forscht seit fast 40 Jahren zu Wasserlinsen. Appenroth leitet das internationale Komitee zur Wasserlinsen-Forschung ("International Steering Committee on Duckweed Research and Applications"), das sich weltweit dafür einsetzt, Entengrütze als Alternative zu anderen Nutzpflanzen zu erforschen.
Das klingt vielversprechend - gerade was den Kampf gegen Mangelernährung angeht.
Was mir unter den Nägeln brennt, ist die Situation in Indien: Insbesondere in der armen Bevölkerung ist die Ernährung stark kohlenhydratlastig. Reis ist das wichtigste Grundnahrungsmittel. Ein Mangel an Eiweiß und Spurenelementen ist in der Bevölkerung weit verbreitet. Das könnte man sehr gut durch eine Zugabe von Wasserlinsen in allerlei Nahrungsmittel überwinden. In Indien wird die Pflanze traditionell nicht verzehrt, obwohl die klimatischen Bedingungen eigentlich ideal wären. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Wasserlinse dort als Nahrungsmittel einzusetzen und zu verbreiten.
Wie kamen Sie denn ausgerechnet auf Entengrütze?
Die Idee kam uns vor fünf Jahren. Eine indische Kollegin, Dr. Sowjanya Sree von der Zentraluniversität in Kerala, und ich unterhielten uns über die verbreitete Mangelernährung in Indien, zum Beispiel bei Zink, und wie man die Menschen besser versorgen könnte. Dabei fiel uns ein, dass die Wasserlinse die Nährstoffe, die man ihrer Nährlösung zusetzt, extrem gut aufnimmt. Könnte sie also nicht als Vehikel in der Ernährung dienen? Zusammen mit Kollegen aus der Ernährungswissenschaft beschlossen wir, zunächst näher zu untersuchen, welche ernährungsphysiologischen Eigenschaften Wasserlinsen noch haben, bevor wir sie mit Spurenelementen beladen. Schließlich bringt es ja nichts, wenn sie sonst keine günstigen Eigenschaften haben.
Kann ich nun die Entengrütze von meinem Gartenteich ernten und essen, oder ist es eine bestimmte Art, die diese guten Eigenschaften hat?
Wir haben uns in unserer Studie erst einmal einen Überblick über die verschiedenen Gattungen von Wasserlinsen und deren Inhaltsstoffe verschafft. Von allen fünf Gattungen haben wir jeweils eine Art untersucht. Dabei bemerkten wir, dass vor allem der Vertreter der Gattung Wolffia viele gute Eigenschaften in sich vereint. Außerdem wissen wir, dass es Länder in Asien gibt - etwa Kambodscha, Laos, Myanmar und natürlich Thailand - in denen seit Generationen Wasserlinsen gegessen werden. Was dort auf den Tisch kommt, sind auch Vertreter der Gattung Wolffia.
Wie isst Deutschland? Erkenntnisse aus dem Ernährungsreport
Wer nascht wieviel in der Republik? Was kommt in der Kita auf den Tisch? Und wie wichtig ist den Deutschen ihr Pausenbrot? Einige Erkenntnisse aus dem Ernährungsreport 2017.
Menschen in Westdeutschland greifen häufiger täglich zu Süßigkeiten (23 Prozent) als Ostdeutsche (11 Prozent).
Je älter die Deutschen sind, desto häufiger trinken sie täglich Tee oder Kaffee - bei den über 60-Jährigen etwa 97 Prozent.
Veganes Essen ist für eine breite Mehrheit nicht nur ein vorübergehender Modetrend: 71 Prozent der Befragten halten vegane Lebensmittel langfristig für relevant.
Deutschland bleibt ein Land der Fleischesser: 53 Prozent der Deutschen essen am liebsten Fleischgerichte, gefolgt von Nudeln (38 Prozent). Auf dem abgeschlagenen dritten Platz folgen Gemüsegerichte (20 Prozent.)
57 Prozent der Erwerbstätigen, Schüler oder Studenten bringen sich täglich oder sehr häufig für die Mittagspause Essen von zu Hause mit. Nur jeder Fünfte geht häufig in die Kantine. Knapp ein Fünftel lässt die Mittagspause sogar ganz ausfallen.
Ein Mindesthaltbarkeitsdatum bei Lebensmitteln, die - wie etwa Salz - gar nicht verderben können, finden neun von zehn Befragten (89 Prozent) verzichtbar. Nur jeder Zwanzigste entsorgt abgelaufene Lebensmittel sofort.
Eine Art Tüv für das Kita-Essen: Neun von zehn Deutschen wünschen sich verbindliche Qualitätsstandards für Essen in Kitas und Schulen. 80 Prozent finden, dass Schulessen steuerlich begünstigt werden sollte.
Fast neun von zehn Deutschen finden wichtig oder sehr wichtig, dass Ernährung auch als Schulfach gelehrt wird, wie Mathematik oder Deutsch.
Entengrütze klingt nicht so appetitlich - wie schmeckt sie denn? Haben Sie auch mal probiert?
Ich habe schon Mahlzeiten mit Wasserlinsen gegessen: Zum Beispiel ein Omelette, eine Suppe oder auch einen Salat. Die Entengrütze fügt sich da wunderbar ein: Wolffia hat keine Wurzeln, Sie können sich das wie kleine, grüne Kügelchen in dem Omelette vorstellen. Das sieht sehr hübsch aus. Den Geschmack würde ich mit „grün“ umschreiben. Die Wasserlinse ist sehr mild und hat relativ wenig Eigengeschmack. Am ehesten kann man es vielleicht mit einer milden Erbse oder grünem Salat vergleichen. Dadurch hat sie natürlich zahlreiche Einsatzmöglichkeiten in allen möglichen Gerichten, ob süß oder herzhaft. In Thailand, wo der Verzehr der Pflanze seit Jahrhunderten Tradition hat, gibt es eine Fülle von Rezepten - man kann sie sogar in Gebäck verwenden.
Was Wasserlinsen in Europa ausbremst
Wie steht es um kommerzielle Nutzungsmöglichkeiten?
Es gibt schon Versuchsanlagen, etwa in Israel und den Niederlanden, in denen Wasserlinsen angebaut werden - hier geht es vor allem um Biomasse-Produktion, weil Wasserlinsen so wahnsinnig schnell wachsen. Es sind die am schnellsten wachsende Blütenpflanze überhaupt. Wie wirtschaftlich es ist, Wasserlinsen in großem Stil zu züchten, müssen allerdings andere beurteilen. Der wichtigste Aspekt ist Wasser, sowohl Qualität als auch Menge. Vor allem in warmen Ländern muss die Verdunstung möglichst gering gehalten werden - aber das ist eine Aufgabe für Ingenieure. Wir betreiben die Grundlagenforschung im Labor.
In Sachen Ernährung gibt es zum Beispiel eine israelische Firma, Green Onyx, die ein etwa kaffeemaschinengroßes Gerät vertreibt. Darin können Sie Ihre eigenen Wasserlinsen für den Hausgebrauch ziehen.
Das klingt, als könnte das für Vegetarier und Veganer hierzulande das neue große Ding sein.
Auf jeden Fall. Selbstgezogene Wasserlinsen sind so grün, bio und vegan, dass es schlimmer nicht geht. (lacht)
Alternative Ernährungsformen
Flexitarier sind Menschen, die gesundheitsbewusst leben und sich auch so ernähren. Für sie gibt es nicht unbedingt grundsätzliche Bedenken, Fleisch zu konsumieren. Das kommt bei Flexitariern nämlich durchaus auf den Teller - aber nur selten. Und wenn, dann stammt das Tier meist aus artgerechter Bio-Haltung, wenn möglich aus der näheren Umgebung. Flexitarier sind nämlich oft unter den sogenannten Lohas* zu finden. Neben dem Wissen, dass eine einseitig fleischlastige Ernährung für den modernen Stadtmenschen ungesund ist (und manchmal auch der zelebrierten Vorfreude auf den Sonntagsbraten als etwas Besonderem!) sind sich Flexitarier auch der Umweltschädlichkeit extensiven Fleischkonsums bewusst.
*Menschen, die einen gesundheitsbewussten und nachhaltigen Lebensstil pflegen (Lifestyle of Health and Sustainability)
Freeganer zeichnen sich weniger durch strenge Regeln der Form "Das darf ich essen - das darf ich nicht essen" aus, als durch den Willen, mit dem Ort ihres Nahrungsmittelbezugs ein Zeichen zu setzen. Freeganer gehen nicht in den Supermarkt, sondern dahinter. Sie holen sich ihr Essen aus dem Müll der Supermärkte und Discounter und setzen sich damit gegen die Wegwerfgesellschaft und Lebensmittelverschwendung ein.
Frutarier pflegen eine besonders strenge Form der pflanzenbasierten Ernährung. Die Ernte der von ihnen gewählten Pflanzen(-bestandteilen) darf den Gesamtorganismus der Pflanze weder beschädigen noch seinen Tod zur Folge haben. Manche Frutarier verzehren Äpfel beispielsweise nur als Fallobst. Knollen etwa (wie Kartoffeln) sind nicht erlaubt: Sie sind der Energiespeicher der Kartoffelpflanze und daher für sie auf Dauer lebenswichtig.
Lacto-Vegetarier nehmen keine Eier zu sich. Milchprodukte dürfen neben Lebensmitteln nicht-tierischen Ursprungs aber verzehrt werden.
Ovo-Lacto-Vegetarier praktizieren eine relativ weit verbreitete und im täglichen Leben eher unkomplizierte Form des Vegetarismus. Neben rein pflanzlichen Produkten wie Obst oder Gemüse nehmen Ovo-Lacto-Vegetarier auch Eier und Milchprodukte zu sich, also Lebensmittel, für deren Gewinnung keine Tiere geschlachtet werden müssen.
Keine Milchprodukte, aber Eier (und pflanzliche Speisen) dürfen Ovo-Vegetarier zu sich nehmen. Unter anderem eine Lösung etwa für Vegetarier, die kein moralisches Problem mit dem Verzehr von Eiern haben, aber an einer Lactose-Intoleranz leiden.
Pescetarier sind Menschen, deren Ernährungsplan Fisch (je nach Ausprägung auch Weichtiere, Milch und/oder Eier) und vegetarische Kost kombiniert. Pescetarismus ist oft, wie andere alternative Ernährungsformen auch, mit einem Unbehagen der Massentierhaltung gegenüber verbunden.
Vegane Ernährung bedeutet: Weder Fisch noch Fleisch, noch Eier oder Milchprodukte stehen auf dem Speiseplan. Stattdessen gibt es Obst und Gemüse. Für die Eiweißversorgung nutzen Veganer (wie viele andere Vegetarier übrigens auch) pflanzliche Proteine, enthalten etwa in Tofu (Sojaeiweiß) oder Seitan (Weizeneiweiß - Gluten). Strengen Veganern ist der Veganismus aber mehr als eine Ernährungsform: Sie lehnen die Nutzung von Tieren (und daher auch tierischer Produkte) ab. Das heißt für einen strengen Veganer: Neben den oben aufgezählten Produkten meidet er auch Honig und Wachsprodukte, Kosmetika mit tierischen Inhaltsstoffen sowie Leder. Wer streng vegan orientiert ist, kann im Supermarkt nicht einfach zu Fertig-Produkten greifen - oft verstecken sich in der langen Zutatenliste solcher Gerichte Milchpulver, Butterreinfett oder Hühnerei-Eiweißpulver. Ein strenger Veganer braucht daher ein gewisses Maß an Durchhaltevermögen und Akribie.
Könnte es also bald Entengrütze-Smoothies im Supermarkt geben?
Nein, zumindest nicht in naher Zukunft. Für europäische Länder, in denen man Wasserlinsen ja nicht traditionell verzehrt, gibt es eine große Hürde: Die Novel Food Verordnung aus Brüssel.
Welche bürokratischen Hürden tun sich da auf?
Wasserlinsen werden als "neuartiges Lebensmittel" klassifiziert. Das bedeutet, dass die gleichen Untersuchungen durchgeführt werden müssen, die auch für gentechnisch veränderte Pflanzen vorgeschrieben sind. Das sind aufwändige, teure Untersuchungen. Das kann kein kleines Start-up leisten. In Wageningen in den Niederlanden gibt es eine Forschungsgruppe, die versucht, die geforderten Analysen anzufertigen. Sie wollen herausfinden, ob es irgendetwas gibt, was die Verwendung als menschliches Nahrungsmittel stören könnte. Mit den Kollegen stehen wir im engen Austausch. Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen: Seit Hunderten von Jahren wird die Pflanze in anderen Ländern gegessen; wenn da irgendetwas wäre, hätte man das gemerkt - auch ohne teure Analysen. Aber gut, da müssen wir jetzt durch.
Wie geht es weiter mit Ihrer Forschung?
Jetzt konzentrieren wir uns auf die Gattung Wolffia und all ihre Arten in der menschlichen Ernährung. Alle beteiligten Kollegen haben schon ihre Zustimmung gegeben und wollen weiter forschen. Man muss sich klar machen: Bisher haben wir nur Pflanzen gesammelt. Es hat ja noch gar keine Züchtung stattgefunden, wie wir es etwa seit Jahrtausenden bei Getreide haben. Das steht uns alles in wesentlich kürzerer Zeit bevor und kann die Eigenschaften der Pflanze massiv verändern. Nehmen Sie zum Beispiel Zuckerrüben: Noch vor 50 Jahren war da nicht mal die Hälfte des heutigen Zuckergehalts drin. Wir können also noch eine Menge erwarten.