Wende im Wendland Windkraft und Bio-Landwirtschaft statt Endlager

Eine alte Adelsfamilie will das Wendland wieder attraktiv machen. Ohne Gorleben, dafür mit innovativen Umweltkonzepten.

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Blitzschnell stößt das Huhn den spitzen Schnabel in die Erde – und zieht ihn mit einer Wühlmaus darin wieder raus. Hühner als Schädlingsbekämpfer? „Das ist nur ein angenehmer Nebeneffekt“, sagt Fried Graf von Bernstorff, „eigentlich sollen sie Eier legen.“

Etwa 1,8 Millionen Stück im Jahr sind es. In Demeter Qualität. Ein altes Forsthaus mitten im Gartower Forst ist der Sitz der Waldgarten GmbH, die Fried von Bernstorff Anfang 2014 zusammen mit Britta und Manfred Flegel gegründet hat. Tief im Wendland, keine zehn Autominuten vom Atommülllager Gorleben entfernt.

Von den knapp zwei Millionen Eiern bleiben einige in der Region, 90 Prozent aber fahren im Lieferwagen nach Hamburg und Berlin. 50 bis 60 Cent kostet ein Demeter-Waldgarten-Ei im Laden, ein Umsatz von rund einer Millionen Euro. Das kann sich sehen lassen.

„Das Geschäft läuft super“, freut sich Fried von Bernstorff. „Demeter genießt nach wie vor sehr viel Vertrauen, da zahlen die Leute gerne etwas mehr für ihr Frühstücksei.“ Ausbauen wollen sie den Waldgarten trotzdem nicht. „So passt alles ins Bild, es ist natürlich ein Geschäft, aber auch in gewisser Weise idyllisch. Das wollen wir erhalten.“

Aber nicht nur seine Idylle will Fried von Bernstorff erhalten, sondern auch die von Landflucht und Überalterung betroffene Region aufwerten. Die Hühnerzucht ist ein kleiner Mosaikstein. Zusammen mit seiner Frau Catharena van Zyl hat er den Arbeitskreis Wendepunkt Zukunft gegründet. „Wenn wir nichts unternehmen wird das hier ein Museum, wo nur noch alte Leute leben.“

Es müsse doch gelingen, junge kreative Leute ins Wendland zu bekommen, sagt von Bernstorff: „Aber solche Leute brauchen natürlich Anreize. Kulturell und kulinarisch.“

Letztere liefert er mit Farm to Table, einem Konzept aus den USA, das ihn fasziniert und das er gerne in der Region etablieren möchte. Das Prinzip ist einfach: man kocht für Gäste hochwertiges Essen, alle Zutaten dazu kommen aus dem eigenen Betrieb. Natürlich Bio und in höchster Qualität.

Auch hat er in und ums Schloss fünf luxuriöse Ferienwohnungen ausgebaut, so kann man nicht einfach nur essen, sondern gleich ein paar Urlaubstage verbringen. Künftig will er kuratierte Wochenenden anbieten, mit viel Natur, kulinarischen Highlights und kulturellen Veranstaltungen.

Wer baut bekommt GeldEinen weiteren Anreiz sich hier niederzulassen bieten die schönen, preiswerten Höfe, die es in der Gegend gibt. Günstig kommt auch der davon, der keinen alten Resthof kaufen, sondern neu bauen will. Zwischen 10 und 30 Euro liegen in der Samtgemeinde Gartow die Quadratmeterpreise für erschlossenes Bauland – im rund 70 Kilometer entfernten Lüneburg sind es um die 300 Euro.

In der Gemeinde Gorleben, die durch staatliche und private Fördermittel und Zuschüsse seit jeher finanziell recht gut dasteht, gibt es für Bauherren sogar Geld geschenkt: acht Euro pro Quadratmeter Bauland – vorausgesetzt, die Häuslebauer sind nach 18 Monaten fertig. Bei einem Quadratmeterpreis von 7, 50 Euro (allerdings unerschlossen) ein gutes Geschäft. Aber will man als junge Familie wirklich in der Samtgemeinde Gartow ein Haus bauen, wenn Gorleben als Endlager noch immer nicht vom Tisch ist?

„In der Regel setzen sich Neubürger vor einem Zuzug thematisch mit dieser Frage auseinander“, weiß Samtgemeindebürgermeister Christian Järnecke (CDU). „Einige entschließen sich dann, nicht herzuziehen.“

Es gibt aber auch Interessenten, die gar nicht genau wissen, was Zwischenlager und Erkundungsbergwerk sind. Sie gehen davon aus, dass sich der Atommüll schon unter der Erde befindet. Stimmt aber nicht. Die 113 Castoren mit hochradioaktivem Abfall stehen ausschließlich im oberirdischen Zwischenlager. „Meistens bauen junge Familien hier ihr Eigenheim, wenn Sie beruflich oder familiär gebunden sind“, sagt Christian Järnecke. „Dabei messen sie Beruf und Familie mehr Bedeutung bei, als der Nähe zum Zwischenlager oder zum Erkundungsbergwerk.“

Mehr Alte als JungeUm den demografischen Wandel macht man sich im Gartower Rathaus mehr Gedanken als um den Atommüll. Höchste Zeit, die Überalterung der Gesellschaft ist auch hier deutlich zu spüren. 36,2 Prozent der Einwohner, also mehr als ein Drittel, ist älter als 65 Jahre. Und die Zahl steigt Jahr für Jahr. Analog sinkt die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter 19 Jahren, von 18,4 Prozent 2005 auf heute knapp 13 Prozent.

Für Samtgemeindebürgermeister Järnecke steht der Breitbandausbau im Fokus. „Wenn wir den flächendeckend hinbekommen, wird unsere Region interessant für Städter, die gezielt aufs Land wollen und hier zum Beispiel von zu Hause aus arbeiten können.“

Tatsächlich hat Gartow mit seinen 1142 Einwohnern alles, was man fürs tägliche Leben braucht: Supermarkt, Bioladen, Kindergarten, Grundschule. Auf weiterführende Schulen gehen die Kinder nach Dannenberg oder Lüchow – oder wie Fried von Bernstorff aufs Internat.

Und dann bietet die Samtgemeinde Gartow diese fantastische Natur: Die Elbtalaue, riesige Wälder und den 67 Hektar großen Gartower See – kein Wunder, dass auch Tourismus ein Wirtschaftsfaktor ist. Es gibt darüberhinaus einige Unternehmen, nicht zuletzt die Gesellschaft für Nuklearen Service (GNS) als Betreiber des Zwischenlagers. Mit 8,3 Prozent liegt die Arbeitslosenquote im Landkreis Lüchow-Dannenberg vergleichsweise hoch, im benachbarten Landkreis Lüneburg sind es 6,0 Prozent.

Nun sind Windräder im Wald ein heikles Thema. Wenn überhaupt darf man sie nur dort bauen, wo keine Lebensräume zerstört werden und auch nur, wenn keine Flächen im offenen Land zur Verfügung stehen. Beide Kriterien sieht Fried von Bernstorff erfüllt. „Durch den überdurchschnittlich hohen Anteil an Landschafts- und Naturschutzgebieten im Landkreis Lüchow Dannenberg gibt es keine Standorte für Windanlagen auf dem Land mehr, gleichzeitig müssen wir aber 1,5 Prozent der Landkreisfläche als Windvorranggebiet ausweisen.“ Den Wald neben dem Zwischenlager hält von Bernstorff für sehr gut geeignet, es sei eine Kiefer-Monokultur und einer der am wenigsten artenreichen Landstriche im ganzen Landkreis.

Gegner gibt es natürlich trotzdem. Sie formieren sich in der Bürgerinitiative „Windstärke 14“ um den Schnackenburger Soziologen Dr. Thomas Krauß (www.keine-weiteren-windparks-in-der-natur.de). „Windenergieanlagen gehören nicht in den Wald und auch nicht in die Natur der Offenlandschaft,“ heißt es im Positionspapier der BI. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg sei kein Platz mehr für weitere Windkraftanlagen, egal wo.

Eine schnelle Einigung scheint bei diesen entgegengesetzten Standpunkten nicht möglich. Dabei drängt die Zeit. „Wir müssten im nächsten Jahr eine Aufstellungsgenehmigung haben, sonst lohnt sich das Projekt nicht mehr, weil die EEG-Vergütung sich dann ändert“, so Fried von Bernstorff.

Dabei geht es ihm nicht nur um das eigene Portemonnaie. Eine Anlage wie diese würde auch Geld in die klammen Kassen der Samtgemeinde Gartow spülen. Zwar gäbe es keine Gewerbesteuer, da der Wald gemeindefreies Gebiet ist, von Bernstorff wäre aber bereit, die ortsübliche Gewerbesteuer in eine gemeinnützige Stiftung zu überweisen. „Diese würde dann für die anliegenden Gemeinden sinnvolle Projekte oder auch Schulen und Kindergärten unterstützen.“ Bei 20 Windrädern wären das ungefähr 850.000 Euro im Jahr. Keine Peanuts, zumal die Gemeinde nicht – wie bei Gewerbesteuern – einen Teil an das Land abführen müsste.

Dem Widerstand verbundenPolitische Entscheidungen dauern, in diesem Fall vielleicht zu lange. Graf Bernstorff weiß, dass es nicht gut aussieht für sein Wind-im-Wald-Projekt. Dabei gefällt ihm gerade auch die Symbolträchtigkeit dieser Idee – Windräder direkt am Atommüll-Zwischenlager. Schließlich ist seine Familie kein unbeschriebenes Blatt im atomaren Widerstand.

Sein Vater Andreas Graf von Bernstorff weigerte sich dereinst, seinen Grundbesitz über dem Salzstock zu verkaufen. Bei einem Castortransport in den 90ern soll er eigenhändig eine Kiefer aus seinem Wald gefällt haben, so dass sie auf die Castorstrecke fiel.

Mittlerweile ist es ruhiger geworden in Gorleben, seit 2011 der letzte Castor-Transport ins Zwischenlager rollte. Am Eingang stehen noch zwei Wachleute, ebenso gegenüber am Erkundungsbergwerk. Hier, wo auf von Bernstorffschem Grund das alte Greenpeace Schiff Beluga als Mahnmal aufgebockt ist, treffen sich noch jeden Sonntagmorgen Atomkraftgegner zu Andacht und Waldspaziergang. Schaukästen informieren über die Geschichte des Widerstands – und die Rolle der von Bernstorffs an eben diesem.

Sollte die Windanlage doch noch gebaut werden, könnte der Protest neu aufflammen. Das wäre dann wohl die berühmte Ironie des Schicksals. Aber ein Unternehmen wie die Gräflich Bernstorffschen Betriebe kann sich nur über Generationen erhalten, wenn es immer wieder neue Ideen entwickelt. Warum nicht einen Windpark, im Wald, über einem Atommülllager.

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Die Zeit schrieb übrigens schon 1978 über den "streitbaren Graf von Gartow".

Dieser Text ist Teil der Reihe “Die Zukunft vor der Haustür: Grüne Innovationen aus den Regionen”, die im Rahmen einer Kooperation zwischen WiWo Green und dem Studium Nachhaltigkeit und Journalismus der Leuphana Universität Lüneburg entstanden ist. Eine Übersicht über alle Beiträge finden Sie hier.

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