Energie Wie Finnland zu Europas Ökotankstelle wird

Finnland steigt schneller auf grüne Energien um als der Rest der EU - mit Biogas aus Holz, sauberen Schiffen und Treibstoff aus Tierfetten.

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Als Pasi Torri seinen VW Kombi zu der Tankstelle am Rande der finnischen Stadt Espoo lenkt, huscht ihm ein Lächeln übers Gesicht: Für diese Tankfüllung, weiß er, wird er nur 33 Euro bezahlen, halb so viel wie die meisten Autofahrer. Und obendrein wird er fast kein Kohlendioxid verursachen. Denn Torris VW Kombi fährt mit Biogas.

Der Öko-Treibstoff ist Torris Profession: Der Finne leitet bei Finnlands Gasversorger Gasum die Biogas-Sparte. Seit im Oktober 2011 die erste Biogas-Anlage ans das finnische Gasnetz angeschlossen wurde, hat Torri viel zu tun. Heute schon sind hunderte Autos in Finnland mit Biogas von Gasum unterwegs und das Biogas heizt tausende Haushalte.

Aber bis 2025 hat Gasum größere Pläne: Zehn Prozent seines Gases will der Konzern aus Erneuerbaren Quellen selbst herstellen - aus Klärschlamm und Holzabfällen. Dazu wollen die Finnen in den nächsten Jahren 400 Millionen Euro  in neue Biogas-Anlagen investieren. Das Potential ist sogar noch viel größer: "Finnlands Wälder bieten genug Holzreste", sagt Torri, "um 17 Terawattstunden Gas herzustellen." Das entspricht zwei Dritteln des Gasverbrauchs in Finnland.

Biogas ist eine von vielen Innovationen, mit denen die Nordländer zu Vorreitern eines grünen Umbaus werden. Sie bauen neue Windparks, erforschen Wellenkraftwerke, kühlen Datenzentren mit Meerwasser und erzeugen Biodiesel aus Tierfetten. Die gesamte finnische Energieversorgung - Strom, Wärme, Treibstoffe - soll laut politischem Beschluss bis 2020 zu 38 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen. Das Ziel der EU sind dagegen nur 20 Prozent.

Und von den Techniken, die die Finnen entwickeln, soll auch Europa profitieren: Grüner Sprit aus Finnland treibt heute schon europäische Autos an. Saubere Gasmotoren aus Finnland wiederum sollen bald die Schifffahrt von Rotterdam bis St. Petersburg umweltfreundlicher machen. Kein Wunder, dass der Cleantech-Sektor in Finnland gerade boomt wie in wenigen anderen Ländern: Um 15 Prozent nahmen die grünen Geschäfte im vergangenen Jahr zu, der Umsatz liegt inzwischen bei 24,6 Milliarden Euro.

Schiffe, die keinen Ruß mehr ausstoßenBeim finnischen Maschinenbaukonzern Wärtsilä etwa steht die deutsche Energiewende gerade ganz hoch im Kurs. Denn die Finnen bauen Gaskraftwerke, die sich binnen fünf Minuten auf volle Leistung schalten und in weniger als einer Minute wieder ausschalten lassen. Eine Technik, die sehr gut in ein Energiesystem passt, in dem unstetige Quellen wie Sonne und Wind immer wichtiger werden.

Schon heute setzt Wärtilä mit seinen flinken Kraftwerken 1,5 Milliarden Euro um. "Bis 2016 wollen wir den Umsatz verdoppeln", sagt Marketingchef Kenneth Engblom. Deutschland, dessen Kraftwerkspark in den kommenden Jahren umfangreich modernisiert werden muss, ist für die Finnen besonders interessant. Allerdings kann der Strom aus den Gaskraftwerken nicht mit Kohlestrom konkurrieren - und bisher, sagt Engblom, mangele es an Marktanreizen für die Bereitstellung flexibler Stromreserven.

Eine andere saubere Technik, in der Wärtsilä derzeit mit 90 Prozent Marktanteil weltweit führend ist, sind Gas-Antriebe für Schiffe. Verflüssigtes Erdgas, kurz LNG, spielt Experten zufolge künftig eine Schlüsselrolle in der Schifffahrt, weil es eine gute Lösung ist, um die verschärften Emissionsstandards in Nord- und Ostsee ab dem Jahr 2016 zu erfüllen.

Die Fähre Viking Grace, die Wärtsilä mit einem LNG-Antrieb ausgestattet hat, pendelt bereits seit mehr als einem Jahr zwischen Turku und Stockholm. Im Vergleich zu Schweröl-Antrieben stößt sie fast keinen Feinstaub mehr aus, 90 Prozent weniger Stickoxide und 20 Prozent weniger CO2. Experten erwarten, dass in den kommenden Jahren tausende Schiffe mit der neuen Technik ausgestattet werden.

Sprit aus Tierfett und AlgenAuf grünen Treibstoff setzt auch der finnische Ölkonzern Neste Oil - aber auf eine ganz andere Ressource: Tierfett. Nahe dem finnischen Städtchen Porvoo hat der Konzern die größte Ölraffinerie Nordeuropas aufgebaut. Hier wird vermehrt nicht nur Schweröl veredelt, sondern auch Fette aus der Natur: Tausende Tonnen Reste aus Schlachthöfen und viele Millionen Liter Pflanzenöl.

Daraus stellen die Finnen Kraftstoff von solcher Güte her, dass auch heutige Automotoren damit zu hundert Prozent betrieben werden können. Zwei Millionen Tonnen grünen Diesel produziert Neste Oil inzwischen - im Vergleich zu 15 Millionen Tonnen Kraftstoff aus Öl. Der grüne Kraftstoff spare ungefähr so viel CO2 ein, wie 1,4 Millionen Autos im Jahr verbrauchen, sagt Petri Lehmus, Vizechef der Konzernforschung bei Neste Oil. Sogar ein Jet der Lufthansa war bereits monatelang im Linienbetrieb zwischen Frankfurt und Hamburg mit dem sauberen Treibstoff von Neste Oil unterwegs.

Allerdings steht Palmöl in der Kritik: Für Plantagen in Asien werde Regenwald gerodet, prangern Umweltschützer an. Darum will Neste Oil künftig auf völlig neue Rohstoffquellen setzen - und entwickelt neue Techniken der Ölgewinnung: In den Laboren in Porvoo züchten Forscher Mikroben, die aus Pflanzenresten Biodiesel machen. Außerdem erkunden sie, wie sich Algen in einer Rohstoffquelle verwandeln lassen.

Noch müssen die Wissenschaftler daran arbeiten, die Technik preiswerter zu machen. Aber spätestens Ende 2014 will Nesto Oil darüber entscheiden, ob eine erste kommerzielle Anlage gebaut wird, in der Mikroben Sprit erzeugen. Die Algen-Technik dagegen werde allerdings sehr wahrscheinlich nicht vor Ende des Jahrzehnts kommerzialisiert werden, sagt Lehmus.

Neue Energietechniken zu entwickeln, braucht Zeit - darum setzen die Finnen auch auf Energieeffizienz. Zum Beispiel beim Betrieb von Datenzentren: Im südfinnischen Hamina hat der Suchmaschinenkonzern Google eine alte Papiermühle in ein Datenzentrum verwandelt. Die alten Wasserrohre nutzt Google, um Meerwasser aus der Ostsee herbeizupumpen und damit die Rechnerhallen umweltfreundlich zu kühlen.

Künftig könnten Datenzentren aber auch ganze Wohnblocks beheizen. Denn viele Häuser in Finnland haben heute schon keinen eigenen Heizkessel im Keller, sondern sind an eine Quartiersheizung angeschlossen. Und die wird künftig grüner werden, erwartet Jukka Leskelä, Direktor des Branchenverbands Finnish Energy Industries - mit Hilfe von Biogas oder auch der Abwärme aus der Industrie.

Billige Solarzellen aus dem Land der PolarnächteAn der Aalto-Universität in Helsinki erforschen Wissenschaftler unterdessen, wie sich Wärme wieder in Strom verwanden lässt - um Klimaanlagen in Autos zu betreiben oder Smartphones mit der Energie von Körperwärme  länger laufen zu lassen. Dazu entwickeln sie Materialien, die Strom erzeugen, wenn sie an verschiedenen Enden verschiedenen Temperaturen ausgesetzt sind.

"Solche Thermoelektrischen Generatoren können die Abwärme von Automotoren zur Stromerzeugung nutzen", sagt Maarit Karppinen, Materialforscherin an der Aalto-Universität, "und Autos damit um acht Prozent effizienter machen." Sogar Solarzellen, die aus der Wärme des Sonnenlichts Strom erzeugen, werden in den USA erforscht.

In Finnland dagegen ist Fotovoltaik die einzige erneuerbare Energie, die so gut wie keine Rolle spielt. Aber auch das könnte sich langsam ändern. In Mikkeli, einer Stadt 230 Kilometer  nördlich von Helsinki, baut das finnische Fotovoltaik-Unternehmen Cencorp eine Fabrik, in der jährlich 500.000 Solarmodule gefertigt werden sollen - vollautomatisiert und damit mit sehr geringen Lohnkosten.

Ausgerechnet aus Finnland, wo im Winter große Teile des Landes im Dunkeln liegen, könnten also bald auch preiswerte neue Solarmodule kommen. Die Cleantech-Revolution im Land der Nordlichter steht erst ganz am Anfang.

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