Fracking-Experte Werner Zittel "Regierung sollte den letzten Schritt auf dem fossilen Weg auslassen"

Werner Zittel ist einer der wichtigsten deutschen Fracking-Experten. Im Interview erklärt er unter anderem, warum US-amerikanische Energiefirmen europäische Studien beeinflussen können.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Wasserpumpe einer Fracking-Anlage im US-Bundesstaat Colorado. Quelle: AP

Kaum ein Umwelt-Thema war in den letzten Jahren so umstritten wie die Frage, ob im deutschen Untergrund unter Einsatz von Chemikalien Gas "gefrackt" werden soll. Ist Fracking nun "Energiewunder oder Umweltsünde", fragt der Energiewissenschaftler Werner Zittel in seinem neuen Buch, mit dem er interessierten Laien mehr Klarheit in der Debatte verschaffen möchte.

Werner Zittel (55), ist Vorstand der Ludwig-Bölkow-Stiftung für Nachhaltigkeitsfragen und Mitglied der Energy Watch Group, einem internationalen Netzwerk von Energiewissenschaftlern.

Im Interview mit WiWo Green spricht Zittel über die Einflussnahme US-amerikanischer Energiefirmen auf Studienergebnisse, das Fracking-Potential in Deutschland und seinen Rat an die hiesige Politik.

Herr Zittel, in ihrem Buch werfen sie zunächst einen Blick auf Fracking in den USA, bevor sie auf den deutschen Kontext schauen. Warum ist das wichtig?

Die USA sind bis heute das einzige Land, in dem Fracking seit mehr als zehn Jahren in industriell relevantem Umfang betrieben wird. Wenn wir also etwas lernen wollen über den Einfluss des intensiven Fracking von Kohlenwasserstoffvorkommen, dann kommen wir nicht umhin, zu verstehen, warum es in den USA so zentral ist und welche Rolle auch Politik und Finanzindustrie für diese Entwicklung spielen.

Fracking ermöglicht es den USA, ein Stück weit unabhängig zu sein von den OPEC-Ländern. Wie bewerten Sie dieses Argument?

Wenn man über die Erfolge des Fracking in den USA spricht, dann muss man auch über den Preis sprechen, der dafür bezahlt wird. Und über dessen Nachhaltigkeit.

Die zentralen Fragen sind: Haben sich die USA damit eine längerfristige Unabhängigkeit erkauft oder wird das Ende der Kohlenwasserstoffära damit nur um wenige Jahre hinausgeschoben und dann umso heftiger die Wirtschaft erschüttern? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass in den USA damit notwendige Anpassungsprozesse zur unvermeidbaren Abkehr von der Erdöl- und Erdgasabhängigkeit eher verzögert wurden.

In den letzten Jahren haben sich US-amerikanische Schiefergas- und Mineralölfirmen zunehmend auch in Europa engagiert.

Ja, und dabei erfuhren sie starke Unterstützung durch das US-amerikanische Außenministerium. Das Förderpotenzial in Polen hat das US-Energieministerium beispielsweise mit 5400 Milliarden Kubikmeter beziffert, spätere Analysen anderer Institutionen haben dieses Potenzial dann um den Faktor 100 nach unten korrigiert. Da aber die realen Bohrungen enttäuschende Ergebnisse gezeigt haben, haben fast alle ausländischen Firmen ihre Aktivitäten dort eingestellt.

Neben der Unterstützung der eigenen Wirtschaft bei Investitionen im Ausland – die ja durchaus legitim ist – mögen geopolitische Aspekte eine Rolle spielen. Gerade in der spannungsgeladenen Atmosphäre zwischen Europa und Russland in den letzten Jahren wäre Russland ein Druckmittel los, wenn Fracking die europäischen Staaten von dieser Abhängigkeit befreite. Doch das sind Wunschträume. Wenn man realitätsnäher die Statistiken – eben auf Basis der in den USA gemachten Erfahrungen – analysiert, dann lernt man schnell, dass dies keine Lösung bietet.  

Viel Platz widmen Sie den – mitunter sehr negativen - Umweltauswirkungen von Fracking. Was hat Sie besonders erschreckt?

Zum einen ist es die im Jahr 2005 unter der Bush-Administration durchgesetzte Befreiung der Fracking-Maßnahmen vom Trinkwasserschutz. Dadurch wurde die Geschwindigkeit des Abteufens - also die Herstellung senkrechter Hohlräume - dramatisch erhöht, ein wichtiger Aspekt des Fördererfolges. Statistiken über Störfälle zeigen, dass diese mit der Anzahl der Bohrungen deutlich zugenommen haben. Der Umgang mit Bohrabfällen und Rückständen erfolgt teilweise auf wilden Deponien; viele Beeinträchtigungen privater Wasserbrunnen sind heute dokumentiert.

Weitgehend wird versucht, negative Nachrichten zu unterdrücken: Geschädigte Personen erhalten Entschädigungen unter der Auflage, öffentlich nicht darüber zu sprechen, selbst die Analysen der Umweltbehörde wurden intensiv von der Industrie beeinflusst. Die jüngst veröffentlichte Untersuchung sollte eine umfassende Analyse des Grundwassers im Umfeld von Bohrungen beinhalten. Geblieben ist die Analyse von fünf Bohrungen, bei deren Auswahl die Industrie wohl maßgeblich beteiligt war. Diese intensive Verflechtung industrieller und öffentlicher Interessen und die Einflussnahme der Industrie auf die Studienergebnisse sind schon erschreckend.

Im Vergleich zu anderen Ländern scheint das Fracking-Potential in Deutschland überschaubar. Über welche Regionen und Zahlen sprechen wir genau?

In Deutschland sprechen wir vor allem über Fracking im Schiefergestein und diese werden vor allem in Niedersachsen und in Teilen von Nordrhein-Westfalen gesehen. Hier hat die zuständige Bundesbehörde - die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe - ihre erste eigene Abschätzung nach genauerer Analyse bereits um ca. 40 Prozent nach unten korrigiert und mit im Mittel ca. 1300 Mrd. Kubikmeter angegeben. Das entspricht dem Erdgasverbrauch von ca. 15 Jahren. Diese sogenannten Ressourcen sind jedoch sehr unsicher und sollten nicht mit Fördermöglichkeiten verwechselt werden. Hierzu bedarf es der Berücksichtigung vieler einschränkender Randbedingungen, wie Nutzungskonkurrenz der Flächen durch andere Aktivitäten oder die Frage, ob ausgebildetes Personal zur Verfügung steht.

Man würde zur Nutzung des errechneten Potenzials mehrere 1000 Jahre benötigen, wenn man als Basis die Aktivitäten der Industrie über die letzten Jahre nimmt. Ich halte es für wahrscheinlich, dass - selbst wenn man Fracking uneingeschränkt zuließe - der Anteil von Schiefergas um oder unter einem Prozent an dem in Deutschland jährlich verfügbaren Erdgas liegen würde.

Wie sieht die aktuelle Gesetzeslage aus?

Das bestehende Bergrecht macht keinen Unterschied zwischen konventionell gefördertem oder gefracktem Erdgas. Tatsächlich wird in Deutschland, wenn auch noch nicht im Tonschiefergestein, seit Jahrzehnten gefrackt, dennoch ist die Gasförderung seit 2004 jährlich um fast 10 Prozent zurückgegangen. Seit dem Jahr 2011 besteht ein freiwilliger Verzicht der Firmen auf Fracking, der solange in Aussicht gestellt wurde, bis eine neue gesetzliche Regelung beschlossen wurde.

Der Widerstand gegen Fracking ist in Deutschland enorm. Denken Sie, die Politik berücksichtigt dies ausreichend?

Gäbe es diesen Widerstand nicht, dann sähe die Politik keine Notwendigkeit an einer Änderung des Bergrechts. Noch im Jahr 2010 antwortete die Regierung auf eine kleine Anfrage, dass es keinen Unterschied zwischen gefracktem und konventionellem Erdgas gebe. Dass die dritte Lesung des „Regelungspakets Fracking“ noch nicht im Bundestag verabschiedet wurde, zeigt, dass die Regierungskoalition noch über die inhaltliche Gestaltung uneins ist. Das ist ein Indiz dafür, dass der Widerstand auch innerhalb der Regierungsparteien vorhanden ist. In welchem Umfang dieser dann berücksichtigt wird, das wird man sehen.

Den Titel Ihres Buches nun an Sie gerichtet: Ist Fracking nun Energiewunder oder Umweltsünde?

Der Wunsch der Öl- und Gasfirmen zu Fracken ist zunächst das Eingeständnis, dass die leichter erschließbaren konventionellen Vorräte zu Ende gehen. Denn wären diese noch ausreichend verfügbar, gäbe es keinen Grund, sich mit den kostenintensiveren unkonventionellen Vorkommen zu befassen.

Die schnelle Förderausweitung in den USA mit ungeheurem Aufwand gleicht tatsächlich einem Energiewunder, das niemand in diesem Ausmaß vorhergesehen hatte. Der Preis dafür war allerdings ein enormes finanzielles Defizit der Förderfirmen, die fast alle hoch verschuldet sind, soweit sie noch existieren, und ein durch den Kosten- und Zeitdruck enorm reduziertes Umweltbewusstsein. Dieses muss man nicht nur als Umweltsünde bezeichnen, sondern auch als Missachtung gesellschaftlicher Interessen. Fracking hat in den USA nicht nur das Gestein, sondern auch viele Gemeinden gespalten.

Was ist Ihr Ratschlag an die deutsche Politik?

Diesen letzten Schritt auf dem fossilen Weg auszulassen. Tatsächlich brauchen wir angesichts der realen Gefahr des Klimawandels und des politischen Bekenntnisses zum Klimaschutz keine neue fossile Technologie, die jetzt erst eingephast werden soll und frühestens in 5 bis 10 Jahren einen mit CO2-Emissionen behafteten Beitrag liefern wird. In den kommenden 30 Jahren müssen wir die klimarelevanten Emissionen auf nahezu Null reduzieren. Da ist die politische Unterstützung von Fracking ein falsches Signal.

Auch täte die Politik damit den Firmen keinen Gefallen. Diese müssen angesichts der aktuell niedrigen Öl- und Gaspreise, angesichts des rückläufigen Verbrauchs (in Deutschland), angesichts des De-Investment von Investoren und angesichts der zunehmenden Konkurrenz durch erneuerbare Energietechnologien ohnehin ihre Geschäftsmodelle überdenken, wenn sie längerfristig überleben wollen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%