Fukushima-Jahrestag Trotz Atomunfall, Kohle bleibt tödlichste Energiequelle

Drei Jahre nach Fukushima: Nicht die Atomkraft ist die tödlichste Energiequelle, sondern die Kohlekraft.

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Anfang März sagte Chinas Ministerpräsident Li Keqiang der Luftverschmutzung den Kampf an. Man werde tausende kohlebefeuerte Industrieöfen stilllegen und unzählige Kohlekraftwerke sanieren, versprach er.

Ähnlich entschlossen zeigte sich die deutsche Bundesregierung nach dem Reaktorunglück in Fukushima im März 2011. Der damalige Entschluss: Spätestens 2022 solle Deutschland auf Atomstrom verzichten. Die Kohleenergie dagegen läuft in Deutschland weiter auf Hochtouren. In China sind dafür derzeit 28 neue Kernreaktoren im Bau.

China und Deutschland - das sind zwei sehr unterschiedliche Modelle was den Umgang mit Kohleenergie und Atomkraft angeht. Ein guter Anlass zu fragen, welche Energiequelle tatsächlich schädlicher und gefährlicher für den Menschen ist? Sicherlich: Die Todesopfer der Energieformen gegeneinander aufzurechnen, ist durchaus zynisch. Dennoch können die Zahlen helfen, das Gefahrenpotenzial einzelner Energiequellen besser zu bewerten. 

An einer ersten Antwort zum Gefahrenpotenzial der einzelnen Energiequellen hat sich der US-Analyst Brian Wang versucht, der unter anderem für den populären Wissenschaftsblog Next Big Future arbeitet. Zuletzt aktualisierte er seine Schätzungen im Jahr 2012. Grundlage für seine Hochrechnungen sind sowohl direkte Todesfälle durch Katastrophen und Unfälle als auch Schätzungen zu Gesundheitsgefahren für die Gesamtbevölkerung.

Die genauen Quellen für seine Zahlen legt Wang allerdings nicht offen, er bezieht sich aber unter anderem auf Daten der Weltgesundheitsorganisation.

Chinesische Sterberate weit über dem DurchschnittLaut Wang ist die zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzte Kohle die gefährlichste Energiequelle. Sie soll 2012 für weltweit durchschnittlich 100 Tote pro produzierter Terawattstunde Strom verantwortlich gewesen sein (Deutschland verbraucht rund 630 Terawattstunden pro Jahr). Kohlekraft deckt rund ein Viertel des globalen Energieverbrauchs.

Grund für die hohe Sterblichkeit sei neben Unfällen im Bergbau und beim Transport des Rohstoffs vor allem die Luftverschmutzung. Diese berge, beispielsweise in China, ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Die folgende Grafik der World Health Organization ist zwar von 2004, macht den Anteil von Luftverschmutzung an Lungenkrebserkrankungen aber deutlich:

Für China kam eine Studie im Auftrag der Umweltschützer von Greenpeace zu dem Ergebnis, dass die Abgase aus Kohlekraftwerken allein im Jahr 2011 für eine Viertelmillionen vorzeitiger Todesfälle verantwortlich war. Hunderttausende Chinesen erlitten gleichzeitig Gesundheitsschäden. Für Europa liegt der Wert laut einer weiteren Studie von Greenpeace bei rund 22.000 vorzeitigen Todesfällen durch Kohleverschmutzung pro Jahr.

Verglichen mit den verheerenden Auswirkungen der Kohle ist Atomkraft dagegen mit 0,09 Toten pro Terawattstunde in Wangs Auswertung eher harmlos. Sie trägt – wie die drei erneuerbaren Energien Solar-, Wind- und Wasserkraft – 17 Prozent zur weltweiten Stromerzeugung bei. Dass Atomkraft sogar noch ungefährlicher als die erneuerbaren Energien mit rund zwei Toten pro Terawattstunde ist, begründet Brian Wang mit mehreren katastrophalen Dammbrüchen bei Wasserkraftwerken, die relativ viele Menschen das Leben kosteten.

Wang macht sich mit seiner Analyse durchaus angreifbar, und ist seit Jahren als Verfechter der Kernenergie bekannt. So sind die Reaktorkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima laut seinen Angaben zwar in die Analyse mit eingeflossen, er geht jedoch von extrem niedrigen Todesraten aus.

Spanne bei Krebsfällen enorm großAllerdings: Die Folgen von Atomunfällen genau zu bestimmen ist äußerst komplex. So arbeiten unterschiedliche Studien zu dem Thema mit unterschiedlichen Grenzwerten für Strahlenbelastungen, auch sind diese Belastungen sehr ungleich über die betroffenen Flächen verteilt.

Auch über die Gesundheitsfolgen des Reaktorunglücks in Fukushima gibt es unterschiedliche Angaben und Schätzungen, die sich teilweise widersprechen. Eine erste Modellstudie (hier als PDF), die die Anzahl der potenziellen Krebsopfer hochrechnete, wurde von Forschern der kalifornischen Stanford University durchgeführt. Sie kamen zu dem Ergebnis: Sterben an der Verstrahlung könnten zwischen 15 und 1300 Menschen, an Krebs erkranken könnten zwischen 24 und 2500. Hinzu kämen rund 600 Menschen, die bereits im Rahmen der Evakuierung und der Notfallmaßnahmen in der Gegend um das Atomkraftwerk gestorben seien.

Die österreichischen Umweltaktivisten von Global 2000 kritisierten die Studie scharf. Sie zitierten Untersuchungen, die bis zu 120.000 Kinder aufgrund der Katastrophe einem hohen Krebsrisiko ausgesetzt sahen.

Die World Health Organization (WHO) hingegen, kam vergangenes Jahr im Rahmen einer Langzeitstudie zu dem vorläufigen Ergebnis, dass die Strahlenmengen für den überwiegenden Teil der Japaner gänzlich unbedenklich seien. Eine Ausnahme machen die 23.000 Arbeiter, die direkt in Fukushima tätig waren und sind. Für sie besteht ein erhöhtes Krebsrisiko. Anders als bei der Modellstudie der Stanford-Forscher lagen der WHO reale Daten vor, doch auch diese Ergebnisse sind umstritten.

Trotz der schwierigen Berechnung von Todesfällen durch Atomkraft bleibt Kohle mit mehr als 100.000 Opfern pro Jahr die tödlichste Energiequelle. Das macht die Zahl absoluter Todesfälle in China deutlich. So kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Unfällen. Für 2010 vermeldete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua etwa 2.433 Tote allein durch Zwischenfälle im Bergbau, das sind jährlich fast doppelt so viele Opfer, wie die Wissenschaftler aus Stanford für Fukushima prognostizieren.

Und dennoch: Die potenzielle Gefahr durch Reaktorunglücke in dicht besiedelten Ländern wie Deutschland bleibt extrem hoch. Dieses Restrisiko macht aus der vermeintlich sicheren Energieform, für die Wang die Atomkraft hält, eine ernsthafte Bedrohung. Deshalb hinkt der Vergleich der Kernenergie mit anderen Energieformen wie den Erneuerbaren auch.

Die restlichen Energieformen im ÜberblickAuch zu den anderen Energieformen lieferte Wang Zahlen. Erdöl liegt mit etwa 36 Toten pro Terawattstunde weit hinter Kohle auf Platz zwei der gefährlichsten Energiequellen. Hier sind vor allem Unfälle bei der Förderung die Ursache. Tatsächlich ist der Ausstoß von Feinstaub und Schwermetallen bei Öl geringer als bei Kohle, gleichzeitig ist der Energiegehalt höher. Der Effekt auf die Luftverschmutzung fällt daher etwas geringer aus. Der Anteil am weltweiten Energiemix betrug 2012 etwa 36 Prozent.

Für Energie aus Biomasse errechnete der Analyst 24 Tote pro erzeugter Terawattstunde. Auch hier sei die Energiegewinnung eine Belastung für die menschliche Lunge, die Spätfolgen nach sich ziehe und Biomasse den dritten Platz in der unrühmlichen Liste der tödlichsten Energieformen beschert. Biomasse trug 2012 etwa 21 Prozent zur weltweiten Energieerzeugung bei.

Erdgas hat trotz eines Stromanteils von 20 Prozent nur eine Sterblichkeitsrate von vier Toten pro Terawattstunde, das liegt vor allem daran, dass es fast rückstandslos verbrennt. Die Nutzung der natürlichen Gase ist also weniger schädlich als Öl und vor allem weniger schädlich als Kohle.

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