Guerilla-Photovoltaik Deshalb lassen Solaranlagen für die Steckdose auf sich warten

Solaranlagen, die man direkt in die Steckdose stecken kann, sind genial - aber umstritten. Nun wird eine neue Norm diskutiert, die den Durchbruch bringen soll.

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So schön könnte es aussehen: Solaranlagen zum Einstöpseln. (Foto: Solarheld)

Eine kleine Solaranlage für daheim, die man einfach in die Steckdose steckt - und schon fließt weniger Strom aus dem großen Netz, dafür aber sauberer Solarstrom vom Balkon. Ja, so etwas gibt es.

Vor einigen Jahren machten diese Kleinanlagen von sich reden, sie sollten die Energiewende endlich in die großen Städte, in die Zwei-Zimmer-Wohnungen und Mietshäuser bringen, wo die eigene Energieerzeugung bislang ein Wunschtraum war. Guerilla-Photovoltaik nennt sich das Konzept, weil es zunächst keine gesetzliche Regelung für solch kleine Anlagen gab. Da entsteht ein Bild von Widerstandskämpfern gegen die großen Stromversorger.

Doch die Elektro-Revolution verlief im Sande. Denn ganz so einfach ist es nicht. Auch wenn es in Deutschland schon 10.000, vielleicht 20.000 solcher Anlagen gibt, blieb die große Revolution wegen Sicherheits- und rechtlicher Bedenken aus. Diese wollte das Kölner Unternehmen infinitum Energie nun ausräumen, wollte mit einer bunten Kampagne und Crowdfunding die Energiewende auf dem Balkon doch noch vorantreiben – und ist damit gescheitert.

Das größte Problem: eine Norm des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik, kurz VDE. Dieser ist nicht nur ein Netzwerk für Elektrotechniker, sondern kümmert sich auch um Normung und Produktprüfung. Normen sorgen für Regeln, Versicherungen richten sich oft nach ihrer Einhaltung. Und hier liegt das Problem: Der VDE hält Plug-in-Solaranlagen nicht für sicher.

Dabei will der VDE gar nicht den Solar-Spielverderber geben: "Uns hat noch kein Hersteller nachgewiesen, dass die Einspeisung über die Haushaltssteckdose sicher ist", erklärt Normungsmanager Dominik Nied. Aber: "Wir befürworten diese Art der Energieerzeugung – wenn sie sicher ist."

Angst vor Kabelschäden bei Überlastung

Der VDE warnt vor möglichen Kabelschäden durch Überlastung. Dem halten die Hersteller allerdings entgegen, dass bei kleineren Anlagen im Bereich von 250 Wp (Watt peak, also maximale Leistung) zu wenig Strom für ernsthafte Schäden fließe: "Ein zusätzliches Ampere auf der Leitung bei einem der Norm entsprechenden Schutzschalter können die Leitungen durchaus vertragen", sagt Alexander Knebel von infinitum Energie.

Sollten Anlagen im Kilowattbereich installiert sein, kann die Stromstärke des erzeugten und verbrauchten Stroms im Haushalt allerdings zu groß sein, ohne dass die Überlastsicherung es mitbekommt. Die Kabel erhitzen sich, im schlimmsten Fall brennt es. (Eine interessante Diskussion dazu gibt es im Blog von "Sonnenflüsterer" Erhard Renz.) Deshalb gibt es in Ländern, in denen Plug-in-Anlagen erlaubt sind, auch Limits, die etwa bei 600 Watt Leistung liegen.

Kann diese Photovoltaikanlage im Ausnahmefall gefährlich werden? Daran scheiden sich die Geister. (Foto: Solarheld)

Normalerweise würde bei einer Überlastung der Leitungsschutzschalter greifen, den viele Betreiber kleiner Anlagen deshalb auch ausgetauscht haben. In der Schweiz oder den Niederlanden seien niedrigere Absicherungen ohnehin häufig schon vorhanden und können daher den zusätzlichen Strom einer Plug-in-PV-Anlage tragen. In Deutschland sind niedrigere Absicherungen meistens nicht vorhanden, erklärt Nied.

Vereinfacht gesagt: Wer viele Geräte an der Mehrfachsteckdose hat, schickt schon genug Strom durch die Leitung. Die Einspeisung durch eine Plug-in-Anlage wäre dann zu viel - aber genau dieses zu viel bekommt der Schalter nicht mit. Nur deshalb kann er überhitzen. Allerdings gibt es gerade für Module im Niedrigbereich eben noch Spielraum.

Mit der Erfindung einer österreichischen Firma kann ein Vier-Personen-Haushalt seinen kompletten Strombedarf decken.
von Dirk Kunde

Nicht nur der Leitungsschutzschalter, auch der RCD-Schalter sei darüber hinaus wichtig, sagt Nied. Dieser ist für die Sicherheit des Menschen zuständig sind, wenn der Strom falsche Wege geht. Etwa beim Stromschlag, den man beim Anfassen einer durchgescheuerten Leitung bekommen kann. Die Funktion der RCD-Schalter müsse auch beim Einsatz von Plug-in-PV-Anlagen sichergestellt sein - auch diesen Nachweis wünscht sich Nied noch.

Eigene Kabel für Plug-in-Anlagen umstritten

Der Solarenergie-Föderverein Deutschland schlägt etwa vor, Steckdosen im Haus künftig getrennt zu verbauen – also entweder als Einspeisedosen oder als Verbrauchssteckdosen. Das würde die oben schilderte Überlastung unmöglich machen. Eine Idee, die der VDE ausdrücklich begrüße, so Nied.

Derzeit werden deshalb auch spezielle Einspeise-Kabel diskutiert, die zudem einen zufälligen Stromschlag bei ungeschickter Behandlung verhindern sollen. Nur: Das freut zwar den Steckerhersteller, kostet aber wieder Geld, was die Rentabilität einer solchen Anlage um Jahre herauszögern dürfte. Und die Notwendigkeit ist umstritten.

Liefern die Anlagen dann aber mehr Strom als die Wohnung bzw. das Haus abnimmt, könnte sogar der Stromzähler rückwärts laufen. Kein Problem im eigentlichen Sinne, aber natürlich wollen die Netzbetreiber deshalb Bescheid wissen, wenn eine Plug-in-Anlage angeschlossen ist - um im Zweifel einen digitalen Zähler zu installieren.

Dann empfiehlt der VDE noch, einen Blitzschutzexperten mit ins Boot zu holen. "Es gibt aber auch keine Vorschrift, bei PV-Anlagen einen Blitzschutz zu installieren", erklärt Knebel von infinitum. Manche Hersteller empfehlen auch, die Anlage bei Gewitter auszustecken - meist scheint die Sonne dann ja ohnehin nicht. Wie praktikabel das ist, müssen Anlagenbetreiber wohl selbst entscheiden - dass eine Versicherung Schäden durch Blitzeinschlag zahlen würde, gilt derzeit aber als unwahrscheinlich.

Auf der nächsten Seite: Das bedeutet die neue Norm für die Plug-in-Anlagen.

Entweder einfach - oder teuer

All diese Probleme zu lösen macht die Anlage am Ende aber leider deutlich unrentabler. Ein Beispiel: Eine Anlage mit 250 Wp (Watt peak, also Maximalleistung) erzeugt an einem sonnigen Ort in Deutschland über das Jahr gesehen fast 200 Kilowattstunden, die bei den aktuellen Preisen etwa 50 Euro wert sein dürften. Bei 600 Euro Kosten hat sich die Anlage also nach 12 Jahren amortisiert.

Kommen nun also für Blitzschutz, Sicherungsaustausch oder sogar Spezialsteckdoseneinbau beispielsweise Techniker- und Materialkosten von 150 Euro hinzu, verzögert sich die Amortisierung um drei Jahre – die Kosten steigen um 25 Prozent.

Viele der oben genannten Risiken seien verschwindend gering, wenn man nur eine oder zwei Anlagen betreibe, so Körner – und mehr seien ja auch nicht vorgesehen. Denn wer viel mehr Platz hat, fährt mit einer klassischen Solaranlage besser.

Warum der Solarheld beim Crowdfunding nicht überzeugen konnte, hatte ohnehin einen anderen Grund: "Was neben den VDE-Bedenken das größte Problem war, ist der fehlende Versicherungsschutz", sagt Körner. Den gibt es nämlich nur für Anlagen, die von einem Elektriker installiert worden sind. Die Versicherungen verweisen aber auf die VDE-Norm.

Neue Norm enttäuscht PV-Freunde

Soll die Energiewende auf dem Balkon funktionieren, braucht es am Ende wohl doch die regelnde Hand des Gesetzgebers - ein hilfreicher Anstoß könnte die neue Norm werden. Seit Kurzem ist der Entwurf dazu öffentlich. Wer sich diesen anschauen und Einsprüche anmelden möchte, kann das derzeit in der Normenbibliothek des VDE machen. Die fertige neue Norm kommt wohl im nächsten Jahr.

Darin könnten nun die Regeln stehen, die den Durchbruch bedeuten. Der VDE weiß: "Die Anwendung von Normen ist freiwillig. Jedoch wird auch vom Gesetzgeber auf die Einhaltung von Normen verwiesen", sagt Nied. Deshalb hatten Photovoltaik-Freunde gehofft, dass vielleicht doch eine Toleranzgrenze für 600-Watt-Anlagen diskutiert würde, statt einen eigenen Einspeisestromkreis vorzuschreiben. Das ist allerdings nicht passiert.

Marcus Vietzke von der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie kritisierte im PV-Magazine deshalb die fehlende Möglichkeit, Geräte kostengünstig und einfach selbst in Betrieb zu nehmen. Der geforderte separate Einspeisestromkreis führe zu Mehrkosten. Seine Angst: "Wenn der Entwurf so in die Norm einfließt, werden auch die fortschrittlichen Netzbetreiber, die bisher die Installation mit SchuKo-Stecker geduldet haben, einen Einspeisestromkreis fordern."

Damit bliebe es bei "Guerilla-Photovoltaik" - also dem Betrieb in einer rechtlichen Grauzone. Aber bis Weihnachten bleibt noch Zeit, Einwände gegen die Norm vorzubringen. Ein gutes Argument haben die Fans der Kleinanlagen auf ihrer Seite: Bislang ist noch kein gefährlicher Zwischenfall bekannt. In Deutschland nicht, wo Plug-in-Anlagen bislang zugegebenermaßen auch nur von technisch Interessierten gekauft werden. Aber auch aus den Ländern mit Marginalgrenzen von 500 (Österreich) oder 600 (Schweiz) Watt nicht.

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