„Hausbau rückwärts“ AKW-Abriss in Mülheim-Kärlich und Biblis

Beflügelt von der nuklearen Euphorie vor 50 Jahren sind in Deutschland zahlreiche Atommeiler gebaut worden. Doch Fukushima hat die Politik erschreckt, die Anlagen sollen wieder verschwinden. Wie sieht ihr Rückbau aus?

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Schon seit 2004 läuft der Rückbau des Meilers Mülheim-Kärlich - und er könnte sich noch zehn Jahre hinziehen. Quelle: dpa

Mit Vollmaske, Sauerstoffversorgung, gelben Helmen, orangefarbenen Overalls, Trennschleifern und unter grellem Licht zerlegen zwei Männer riesige Metallrohre. Im Inneren des abgeschalteten Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich bei Koblenz arbeiten sie in einem Zelt, aus dem die Luft abgesaugt wird, um die Ausbreitung radioaktiven Staubs zu vermeiden.

Wer ein AKW abreißen will, braucht Geduld. Schon seit 2004 läuft der Rückbau des Meilers Mülheim-Kärlich - und er könnte sich noch zehn Jahre hinziehen. Ziel ist die grüne Wiese. Die Bundesregierung hat nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 den Atomausstieg beschlossen - 2022 sollen die letzten deutschen Kernkraftwerke vom Netz gehen. Auch ihr Abriss dürfte laut dem Mülheim-Kärlicher AKW-Chef Thomas Volmar 15 bis 20 Jahre dauern.

Der Essener Energiegigant RWE hat in Mülheim-Kärlich Erfahrungen gesammelt, die ihm zunächst auch beim Abriss seines stillgelegten südhessischen AKW Biblis zugutekommen können. Noch in diesem Monat will Hessens Umweltministerium Priska Hinz (Grüne) dafür die Genehmigung erteilen.

Von außen ist bei einem AKW-Abriss viele Jahre nichts zu sehen: Die Arbeiten laufen vorerst innen, die markanten Kühltürme bleiben zunächst stehen, so auch bis heute der von Mülheim-Kärlich. Nach und nach zerlegen innen Arbeiter in Schutzkleidung einzelne Bestandteile, leeren Räume - und hängen immer wieder Lampen provisorisch neu auf. „Das ist ein Hausbau rückwärts“, erklärt RWE-Sprecher Jan-Peter Cirkel im einzigen rheinland-pfälzischen Kernkraftwerk, dessen Wanduhren um 13.00 Uhr stehengeblieben sind.

162 Meter ragt der weithin sichtbare Kühlturm von Mülheim-Kärlich in den Himmel, höher als der Kölner Dom. „Viele Ideen wie ein Parkhaus oder ein Eventturm wurden dafür an uns herangetragen“, erzählt AKW-Sprecherin Dagmar Butz. „Das Problem ist aber, dass er nur sein Eigengewicht trägt.“ So wie eine Eierschale. AKW-Chef Volmar sagt: „In diesem Frühjahr beginnen wir mit dem Abbau. Der Kühlturm wird spiralförmig von oben abgeknabbert.“ Bis 2018 werde das dauern.

Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden

Der 1300-Megawatt-Reaktor Mülheim-Kärlich war bereits 1988 nach nur 13-monatigem Betrieb für immer vom Netz gegangen - nach einer Verfügung des Bundesverwaltungsgerichts. Bei den Planungen war die Erdbebengefahr nicht ausreichend berücksichtigt worden - ein milliardenschweres Fiasko. Rund 450 Männer und Frauen hat das AKW einst beschäftigt, das laut RWE ein Drittel von Rheinland-Pfalz mit Strom hätte versorgen können. Heute arbeiten hier inklusive Fremdfirmen etwa 100 Leute am Abriss.

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