Mobilität Neun Gründe, die Sie vom Radfahren abhalten ...

... und warum sie Unsinn sind.

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Von Sophia Becker. Die Wissenschaftlerin arbeitet am Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart. In diesem Beitrag beschreibt sie am Beispiel Radfahren, wie umweltpsychologisches Coaching funktioniert - also wie wir den inneren Schweinehund überwinden und mehr Gutes für uns und die Umwelt tun können.

Ein Frühlingsklassiker der guten Vorsätze ist das Radfahren. Man könnte ja mal mit dem Rad zu Freunden, zum Einkaufen, ja vielleicht sogar regelmäßig zur Arbeit fahren. Und dann? Der Geist ist willig, aber es kommt was dazwischen. Nachhaltiges Handeln scheitert häufig nicht an der Motivation, sondern an der praktischen Umsetzung im Alltag. Aber es gibt ein paar einfache Regeln, wie sich die Umsetzung doch machen lässt.

Selbstmotivation stärkenEin Ziel kann ich nur erreichen, wenn ich es klar formuliert habe. Die Frage gilt also dem Ziel: Ist es, jeden Tag mit dem Rad zur Arbeit zu fahren? Oder ein Mal in der Woche mit dem Rad einzukaufen, mit dem Rad Freunde zu besuchen oder eine kleine Tour am Wochenende zu machen?

Wenn Sie Ihr Ziel formuliert haben, fragen Sie sich: Was hätte sich geändert? Und: Was ist das Beste daran? Eine Antwort könnte zum Beispiel sein: „Ich wäre zufriedener mit mir selbst, weil ich aktiv die Umwelt schone“ oder „Ich wäre fitter durch die frische Luft und leichte Bewegung“ oder „Ich spare Geld, weil ich nicht mit dem Auto fahre“ oder „Ich erspare mir die nervige Parkplatzsuche in der Innenstadt“ oder ….?

„Ja, ich will! Gleich morgen!“Mit dieser einfachen Übung lässt sich die Motivation stärken. Nun kommt die Umsetzung. Wichtig ist, innerhalb der nächsten drei Tage den ersten Schritt zu tun, sonst verpufft die Motivation. Auf Dauer ist es frustrierend, sich häufig Pläne zu machen, die man dann doch nicht in die Tat umsetzt, denn jedes Mal sinkt dabei die sogenannte Selbstwirksamkeit. Dabei handelt es sich um die innere Überzeugung, das was man tun möchte, auch erreichen zu können.

Auch kleine Teilziele zu erreichen, stärkt unsere Selbstwirksamkeit, weil wir spüren, dass wir etwas tatsächlich schaffen können. Für das Radfahren bedeutet das: Legen Sie einen konkreten Zeitpunkt fest, an dem Sie den ersten Schritt machen. Welcher ist das bei Ihnen? Gleich morgen früh mit dem Rad zur Arbeit oder in die Uni? Am Samstag mit dem Rad zum Markt?

Verständliche Hindernisse: mächtig und unterschätztDer Plan wird nun immer konkreter. Steht ihm nichts mehr im Weg? Wenn es nicht das ein oder andere kleine Hindernis im Alltag gäbe, hätten wir es vermutlich schon längst getan. Zur Sicherheit sammeln wir im nächsten Schritt alles, was unserem Plan vielleicht doch noch im Wege stehen könnte, um dann mögliche Lösungen zu entwickeln.

1. Reparaturstau: Ich gehe runter in den Keller und stelle fest: Das Rad ist gerade platt! Es hat kein Licht, die Bremsen sind defekt oder sonst etwas ist kaputt – und ich habe keine Lust, Zeit und Geld, es zu reparieren.

2. Fashion: Mir fehlt die richtige Kleidung und Ausrüstung.

3. Risiko: Es gibt auf meinen Strecken keine Radwege und das ist mir zu gefährlich.

4. Schwitzangst: Ich würde gern mit dem Rad zur Arbeit fahren, aber dann komme ich dort verschwitzt an und es gibt keine Duschen.

5. Höhenprofil: Die Umgebung ist so hügelig oder die Strecke ist zu weit und anstrengend.

6. Gefährt: Ich habe kein (passendes) Fahrrad!

7. Parkplatz: Ich habe keinen Stellplatz und deshalb Angst, dass das Rad geklaut wird.

8. Image: Was sagen andere, wenn ich demnächst mit dem Rad zur Arbeit komme?!

9. Sonstiges: die Restekategorie für alle weiteren Hürden: 

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Schaut man sich all die Hindernisse an, fragt man sich, wie man es überhaupt schon mal geschafft hat das Rad zu besteigen … egal, Augen auf und durch!

Lösungen und RessourcenSehen Sie eines der oben genannten Hindernisse aufkommen? Wenn nein, dann kann es sofort losgehen! Wenn ja, was können Sie mit möglichst wenig Aufwand tun, um dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen? Wer könnte Sie dabei noch unterstützen?

Letztlich geht es nicht darum, welche Lösung man findet, sondern nur darum, dass man sie umsetzt – und dass sie individuell für die eigene Lebenssituation passt. Hier nur einige Impulse, die ich zusammen mit einem radbegeisterten Freund gesammelt habe:

Für 1.: Reparaturstau

· Ab in den nächsten Fahrradladen und das Rad hinbringen, zwei Tage später wieder abholen, bezahlen und fertig!

· für Bastler: in den meisten größeren Städten findet man eine Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt. Für ca. drei Euro plus Material zum Selbstkostenpreis bekommt man dafür professionelle Unterstützung beim Reparieren von Bremsen, Kette, Reifen, Licht.

Für 2.: Fashion

Mit funktioneller Kleidung macht das Radfahren natürlich noch mehr Spaß. Aber: ja, die ist manchmal teuer. Also: Was ist das Kleidungsstück, das ich wirklich brauche? Die atmungsaktive Funktionsjacke? Eine bequeme Hose?

Für 3.: Risiko

Das Problem der Unsicherheit lässt sich „psychologisch“ nicht lösen. Hier spürt man den starken Einfluss von einmal gebauten Verkehrsinfrastrukturen auf unser Alltagshandeln. Aber, was als Option bleibt:

· Helm tragen, um sich sicherer zu fühlen (in der Radlstadt Münster bin ich immer ohne gefahren, in Stuttgart dafür immer mit)

· eine längere, dafür aber weniger Auto-befahrene Strecke wählen. Hier helfen Radroutenplaner.

· sich dafür einsetzen, dass mittelfristig mehr Radwege entstehen, z.B. im ADFC oder im VCD Mitglied werden, die sich beide für fahrradfreundlichere Städte engagieren.

Für 4.: Schwitzangst

· Beim Betriebsrat/Personalrat anregen, dass Duschen für Mitarbeiter eingerichtet werden. Meist gibt es mehrere Kolleginnen, die auch gern mit dem Rad kommen würden.

· Für ganz Motivierte: in einem nahegelegenen Fitnessclub Mitglied werden, um dort zu duschen. Alternativ: Jahreskarte fürs nächste Schwimmbad (im Sommer eh schön)

Für 5.: Höhenprofil

·  Langsam anfangen und es als kostenloses Fitnesstraining ansehen. Schwitzen ist übrigens kein Zeichen von Unfitness! Es zeigt nur, dass die Muskeln arbeiten und der Körper warm wird.

· sich ein E-Bike zulegen oder leihen, mal kostenlos probefahren

·  für die Aufwärts-Strecke das Rad mit in die U/S-Bahn nehmen

·  über Rad-Routenplaner längere Strecke mit milder Steigung wählen

Für 6.: Gefährt

· Wenn ein neues Rad her soll und man sich bei der Kaufentscheidung unsicher ist, hilft meist die Suche nach einem Rad-Experten im Freundeskreis. Diejenige oder denjenigen einfach mitnehmen zum Radkauf oder sich vorher von ihr/ihm beraten lassen.

· Bike-Sharing: für kurze Strecken in der Stadt Leihfahrräder nutzen, z.B. call a bike bzw. lokale Anbieter;

Für 7.: Parkplatz

·  Das Rad versichern. Meist geht das über ein Aufstocken der Hausratsversicherung, und kostet ca. 5 Euro im Monat, je nach Anbieter.

·  In der Tiefgarage parken

Für 8.: Image

·  Radfahren wird gerade Teil einer neuen, nachhaltigeren Lebenskultur. Es gibt Fahrräder in immer neuen Varianten und für jeden (Persönlichkeits-)Typ: Hipster, Deluxe, Retro, sportlich, schlicht oder unkonventionell. Das Rad als Lifestyleprodukt.

Die Liste der möglichen Hindernisse und Lösungen ist natürlich beliebig fortsetzbar. Aus umweltpsychologischer Sicht ist die entscheidende Frage aber: was kann ich selbst tun, um meinen guten Vorsatz umzusetzen - und was nicht?

Menschen werden in ihrem Handeln immer auch von Rahmenbedingungen beeinflusst. Für mich bedeutet Nachhaltigkeit im Alltag, meinen eigenen Handlungsspielraum gegen die vorhandenen Rahmenbedingungen abzuwägen- und ihn zu nutzen, vielleicht sogar zu erweitern. Dann kann nachhaltiges Handeln auch Teil eines freieren und selbstbestimmteren Lebensgefühls sein.

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