Power-to-Heat So heizt Münster künftig mit überschüssigem Windstrom

Moderne Anlagen können Strom, den sonst niemand braucht, in Wärme umwandeln - das hat einige Vorteile, etwa stabilere Netze.

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Die Windkraft bringt das deutsche Stromnetz an seine Grenzen. Immer häufiger schalten Netzbetreiber Windturbinen ab, weil der viele Ökostrom die Netzstabilität gefährden würde. Allein im ersten Halbjahr 2015 konnten durch das sogenannte Einspeisemanagement in Deutschland fast 1500 Gigawattstunden aus Erneuerbaren-Anlagen nicht produziert werden. Die Menge hätte ausgereicht, um in diesem Zeitraum den Strombedarf Hamburgs zu decken.

Die Windmüller erhalten für den ungenutzten Strom eine Entschädigung. Allerdings müssen dafür die Stromkunden geradestehen. Im ersten Halbjahr 2015 wurden über die Netzentgelte insgesamt rund 250 Millionen Euro auf die Verbraucher umgelegt. Wenn der Erneuerbaren-Ausbau wie geplant weitergeht, dürfte diese Summe noch deutlich steigen.

Es sei denn, Speicher schaffen Abhilfe, indem sie überschüssigen Ökostrom aufnehmen und so die teuren Abschaltungen vermeiden. Großbatterien und Power-to-Gas-Anlagen, die hierfür bisher ins Auge gefasst werden, sind technisch noch nicht ausgereift. Doch es gibt eine Alternative, die bereits kurzfristig greifen könnte.

Denn auch Power-to-Heat-Anlagen können das strapazierte Stromnetz entlasten. Eine der größten ihrer Art wurde jetzt in Münster in Betrieb genommen. Ihr Elektrodenkessel mit 22 Megawatt Leistung nutzt überschüssigen Windstrom, um Wasser für die Fernwärmeversorgung zu erzeugen. "Er ermöglicht es uns, die vom Wetter abhängige Einspeisung von erneuerbaren Energien intelligent in unser Fernwärmesystem zu integrieren", erklärt Dirk Wernicke, technischer Geschäftsführer der Stadtwerke Münster, die die Anlage betreiben.

Der Kessel funktioniert wie ein überdimensionierter Kochtopf. An seinen Innenwänden sind Elektroden angebracht, zwischen denen der Strom fließt, der das Wasser erhitzt. Dieses wird in einen bereits vorhandenen Wärmespeicher mit acht Millionen Liter Fassungsvermögen geleitet, der an das Gas- und Dampfturbinen-Heizkraftwerk der Stadtwerke angeschlossen ist. „Der Elektrodenkessel wird betrieblich in das Kraftwerk integriert, sodass wir für die Fernwärmeerzeugung immer dann grünen Strom nutzen können, wenn ein Überangebot im Netz besteht“, sagt Markus Bieder, Leiter der Fernwärme- und Stromerzeugung bei den Stadtwerken.

Profitabler Betrieb trotz niedriger PreiseObwohl die Anlage voraussichtlich nur auf 300 Einsatzstunden pro Jahr kommt, gehen die Betreiber davon aus, dass sie die Investitionssumme in Höhe von 1,7 Millionen Euro spätestens nach acht Jahren wieder einspielen. Denn ihre Dienste sind dem verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber Amprion viel wert. Um ein unerwartet hohes Stromaufkommen in seiner westdeutschen Regelzone schnell abfedern zu können, muss er mit sogenannter negativer Sekundärregelleistung reagieren. Hierfür greift Amprion auch auf den Münsteraner Kessel zurück, der die wertvollen Reserven binnen kürzester Zeit liefern kann. Er sei bereits in 30 Sekunden startklar und erreiche nach fünf Minuten seine volle Leistung, heißt es bei den Stadtwerken.

Zwar ist der Leistungspreis für negative Regelenergie zuletzt deutlich gesunken, weil immer mehr Anbieter auf den Markt drängen. Dennoch sei Power-to-Heat wirtschaftlich sinnvoll, da die Regelenergie-Vergütung und die Erlöse aus dem Verkauf der Wärme insgesamt immer noch höher seien als die Kosten der Wärmeerzeugung und die regulatorischen Kosten für den Strombezug.

Wie lange das Geschäftsmodell allerdings noch trägt, ist fraglich. Sinkt der Regelenergiepreis weiter, wird es schwierig. Die Wärmeproduzenten hoffen deshalb, dass die Bundesregierung einen neuen Markt für Überschussstrom anstößt, auf dem sie sich günstig mit Ökostrom eindecken können. Das könnte Investitionen in Power-to-Heat begünstigen und Netzengpässe wirkungsvoll vermeiden.

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