Wahlcheck So wollen die Grünen die Energiewende retten

Wer rettet die Energiewende? Und wie viel kostet eine grüne Stromversorgung? Im Wahlcheck: Die Grünen

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Die Energiewende spielt im Wahlkampf bisher nur eine untergeordnete Rolle. Dabei könnte das Thema Energiepolitik laut einer Umfrage wahlentscheidend sein. Bei WiWo Green werden wir in den nächsten Tagen die Positionen der Parteien unter die Lupe nehmen und ihre Ideen für eine erfolgreiche Energiewende vorstellen. Den Anfang macht ein Interview mit Oliver Krischer, Sprecher für Energiewirtschaft der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Krischer, Jürgen Trittin hat einmal gesagt, die Energiewende koste jeden Bürger nicht mehr als eine Kugel Eis. Da hat er sich aber ziemlich verrechnet – 2014 könnte ein Durchschnittshaushalt für die EEG-Umlage schon rund 180 Euro zahlen. Was ist da schief gelaufen?

Oliver Krischer: Die Steigerung der EEG-Umlage geht derzeit zu 83 Prozent auf den stark gesunkenen Börsenpreis und die steigenden Ausnahmen für die Industrie zurück. Der Ausbau von Wind- und Solaranlagen hat kaum noch einen Einfluss. Da liegt das Problem, das wir lösen müssen.

Und zwar wie?

Zum Beispiel muss der gesunkene Börsenpreis an die Kunden weitergegeben werden.

Das plant auch die SPD – und sie hat für den Vorschlag viel Kritik einstecken müssen. Wie soll das funktionieren?

Fakt ist, dass die Kunden in der Grundversorgung zu viel für Strom bezahlen. Und 40 Prozent der Stromkunden sind immer noch - unverständlicherweise - in der Grundversorgung. Vielleicht können sie aus finanziellen Gründen nicht wechseln oder weil sie mit dem Internet nicht vertraut sind, um nach günstigeren Anbietern zu suchen. Um diese Kunden muss man sich kümmern. Hier könnte das Kartellamt helfen. Längerfristig könnte man die Grundversorgung auch ausschreiben, dann würden wir auch günstigere Tarife bekommen.

Reicht das denn? Immerhin sind rund 300.000 Menschen in Deutschland von Energiearmut gefährdet.

Nein, natürlich muss man mehr machen. Wenn wir die Börsenpreise für Strom anheben, sinkt damit auch die EEG-Umlage ...

... aber das auch erst im Jahr 2015 ...

... bis Gesetze geändert sind, dauert das eben. Noch einmal: Wenn wir Strom aus fossilen Quellen wie Kohlekraftwerken durch einen funktionierenden Emissionshandel einen angemessenen Preis geben, dann steigt der Börsenpreis und die EEG-Umlage sinkt. Der Strom wird für die Kunden damit billiger. Aber auch hier muss man noch einen Schritt mehr machen.

Und der wäre?

Wir wollen außerdem die Ausnahmen beim Strom für die Industrie um vier Milliarden Euro senken. Setzt man allein das um, sinkt die EEG-Umlage von 5,3 Cent pro Kilowattstunde auf 3 oder 3,5 Cent. Kombiniert mit den anderen Maßnahmen, die ich gerade genannt habe, addiert sich das zu einer erheblichen Entlastung für die Haushalte.

Die SPD will der Industrie nur Ausnahmen im Wert vom 500 Millionen Euro streichen. Wie kommen Sie denn auf die vier Milliarden?

Wir haben insgesamt beim Strom Ausnahmen für Unternehmen in Höhe von rund 16 Milliarden Euro – da sind auch Netzentgelte und die Konzessionsabgabe dabei und natürlich die Befreiung von der EEG-Umlage. Ausnahmen soll es künftig wirklich nur noch für die Unternehmen geben, die energieintensiv sind und die mit ihren Produkten im internationalen Wettbewerb stehen.

Wenn Sie also an der nächsten Regierung beteiligt sind müssen sich hunderte Unternehmen, die vielleicht nicht so viel Strom verbrauchen wie die Großen, auf höhere Stromkosten gefasst machen?

Die Frage geht am Problem vorbei. Bisher wird bei den Ausnahmen doch gar nicht geprüft, ob ein Unternehmen im internationalen Wettbewerb steht. Wenn das der Fall ist, dann können auch kleinere Unternehmen künftig Vergünstigungen erhalten. Bei der Frage, welche Unternehmen das sind, könnte man sich zum Beispiel an der Carbon-Leakage-Liste der EU orientieren.

Aber geben Unternehmen die höheren Stromkosten nicht einfach an die Kunden weiter? Dann sinkt zwar die EEG-Umlage, aber die Produkte werden teurer.

Wenn umgekehrt gesunkene Börsenpreise von den Stromversorgern an die Kunde weitergegeben werden, dann wäre es ein Nullsummenspiel.

Gut, die EEG-Umlage soll durch all diese Maßnahmen sinken. Aber wer garantiert denn, dass sie nicht wieder steigt, wenn neue Wind- und Solaranlagen gebaut werden?

Bei der Solarenergie waren die Fördersätze in der Vergangenheit teilweise zu hoch, aber generell sind wir bei der EEG-Vergütung mittlerweile bei sehr vernünftigen Sätzen angelangt. So viel teurer als Strom aus fossilen Kraftwerken sind die Erneuerbaren nicht mehr – eine Kostenwelle kommt also bei einem weiteren Ausbau nicht auf uns zu, zudem die Importpreise für Öl und Gas weiter steigen werden.

Muss es denn überhaupt noch sein, dass Solar- und Windanlagen eine gesicherte Vergütung kassieren?

Wir haben jetzt rund 23 Prozent Ökostrom im Netz. Jedes Jahr werden es ein oder zwei Prozent mehr. Das bedeutet: Wenn wir das Ziel von 35 Prozent Grünstrom der Bundesregierung bis 2020 schaffen wollen, müssen wir das Ausbautempo beibehalten. Vorrausetzung dafür sind auch in Zukunft feste Vergütungssätze.

Ein anderer Streitpunkt derzeit ist das Vorfahrtsrecht für Grünstrom im Netz. Sprich, wenn die Sonne scheint oder der Wind stark bläst, werden fossile Kraftwerke abgeregelt. Tagsüber bleibt dann häufig nur schmutzige Braunkohle und Solar in der Leitung übrig. Soll das so weitergehen?

Eine Kohlerenaissance erleben wir doch nur, weil die Kohle zu billig ist. Wenn CO2-Zertifikate 30 Euro kosten würden, wie ursprünglich angedacht, sähe das anders aus. Dann lohnen sich auch saubere Gaskraftwerke wieder. Derzeit haben wir rund 23 Prozent Erneuerbare. Dass die etwas verdrängen würden, ist Unsinn. Wenn wir in Zukunft 75 Prozent haben können wir darüber reden.

Aber wenn der Preis für Kohlestrom durch teure Zertifikate steigt, dann steigt doch automatisch auch der Strompreis für die Kunden, oder nicht?

Derzeit werden in Deutschland hunderte Millionen Euro an Subventionen für die Braunkohle ausgegeben. Zum Beispiel soll in Nordrhein-Westfalen gerade ein Autobahnstück wegen eines Tagebaus verlegt werden. Das sind versteckte Kosten – die werden derzeit gar nicht im Strompreis abgebildet. Es bringt doch nichts, die Preise auf diese Weise künstlich niedrig zu halten.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat sich gerade erst gegen den „ungezügelten Ausbau“ der Erneuerbaren ausgesprochen. Die Grünen wollen 2030 schon 100 Prozent erneuerbaren Strom in Deutschland. Wie soll das in einer Koalition zusammenpassen?

Auch die SPD will 2020 45 Prozent Erneuerbare, wir wollen 2022 50 Prozent. Wenn Herr Gabriel seine Aussage ernst meint, dann muss er das Ziel seiner Partei aufgeben. Aber dann soll er es auch ehrlich sagen.

Die SPD will auch die Stromsteuer um knapp zwei Milliarden Euro senken, um dem Strompreisanstieg Herr zu werden – eine gute Idee?

Ich halte davon nichts. Wir sehen heute schon, dass die gesunkenen Börsenpreise nicht weitergegeben werden. Ich befürchte, wenn die Stromsteuer wegfällt, geben das die Versorger an die Kunden auch nicht weiter. Außerdem: Die Einnahmen aus der Stromsteuer gehen zu 90 Prozent in die Rentenkasse. Wer also eine Senkung der Stromsteuer fordert, muss auch sagen, wie wegfallende Steuereinnahmen ersetzt werden sollen!

Vor allem in der FDP hat ein Quotenmodell für die Energiewende viele Anhänger. Wie viel an Solar- und Windanlagen neu gebaut wird, bestimmt die Quote. Dann würden nicht mehr einzelne Technologien gefördert, sondern nur noch die günstigsten. Würde das den grünen Umbau nicht massiv verbilligen?

Nicht unbedingt. Ich sehe da vor allem zwei Probleme. Erstens müssen sich alle Marktakteure, von den Projektplanern bis zu den Geldgebern, auf das neue System einstellen – das würde die Energiewende um drei Jahre zurückwerfen. Was noch wichtiger ist: England hat mit dem Quotensystem keine guten Erfahrungen gemacht. Der Windstrom war am Ende doppelt so teuer wie hier. Auch in Schweden sind die Kosten teilweise höher und die Ausbaugeschwindigkeit niedriger als in Deutschland. Für mich klingt das nicht sehr attraktiv.

Wenn Sie mit der SPD die nächste Regierung stellen: Liegt die EEG-Umlage und der Strompreis am Ende der Legislatur dann höher als heute oder niedriger?

Wenn wir eine gerechte Kostenverteilung auf alle Schultern haben, bei der auch fossile Energieträger mit ihrem tatsächlich Preis abgebildet sind, dann muss der Strompreis in den kommenden Jahren nicht steigen.

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