Hausbau Der Sonne entgegen

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Für die Traumwerte sorgt die ausgeklügelte Konstruktion des Gebäudes: Das Holzhaus ist mit einer 35 Zentimeter dicken Dämmschicht umhüllt, eine automatische Frischluftzufuhr – natürlich mit Wärmerückgewinnung – sorgt für den notwendigen Luftaustausch, eine Solaranlage auf dem Dach produziert Strom. Die Dreischeiben-Wärmeschutzverglasung fängt im Winter die flach stehende Sonne ein: „Selbst wenn draußen die Temperaturen auf den Nullpunkt sinken, sitzen wir im Haus bei Werten jenseits der 20 Grad Celsius, und die Thermostate der Heizung sind runtergedreht“, erzählt Schnürer. Durch die nach innen wirkende Infrarot-Reflexion der Scheiben bleibt die Wärme im Haus, auch wenn die Sonne längst untergegangen ist. Lässt sich die Sonne tagelang nicht blicken, kommt die Wärme für Heizung und Warmwasser umweltfreundlich und CO2-neutral ganz aus der Nähe – vom nur wenige Meter entfernten Holzhackschnitzel-Heizkraftwerk. Im Sommer bietet das heruntergezogene Dach einen weiteren Vorteil: Die hoch stehende Sonne heizt die Räume nicht auf. Sie bleiben auch an heißen Tagen angenehm kühl. Eine gute Dämmung galt bei Niedrigenergiehäusern lange als der Schlüssel zum Erfolg. Die Kehrseite war Schimmelbildung, der die Bewohner mit Dauerlüften durch auf Kipp stehende Fenster zu begegnen suchten. Für die Energiebilanz war das natürlich ein Desaster. In der Solarsiedlung lassen sich die Fenster zwar kippen oder für eine Frischluftzufuhr auch ganz öffnen. Nötig ist dies aber nicht. Im Winter vertrauen die meisten Bewohner der eingebauten Raumlüftung: In jedem Stockwerk sitzt auf der Nordseite ein Ventilator, der im 90-Sekunden-Rhythmus die warme Raumluft nach draußen bläst. Dabei geht die gespeicherte Wärme auf die Metalllamellen des Wärmetauschers über. Im nächsten Arbeitstakt saugt der Ventilator frische Luft an, wobei die Metalllamellen die kühle Außenluft wärmen, bevor sie ins Haus strömt. „Weil in das Bauteil auch noch ein Feinstaubfilter integriert ist, haben wir selbst bei komplett geschlossenen Fenster eine wunderbar frische Luft im Haus“, sagt Köhler. Zu kleinen Kraftwerken machen die Gebäude jedoch die Solarzellen, die das der Sonne zugewandte Dach komplett bedecken. Die Anlage fängt jeden Sonnenstrahl ein und wandelt sie in Strom um, der in das öffentliche Netz eingespeist wird. Ein Vorgang, den der ehemalige Physiklehrer Schnürer immer noch mit beinahe kindlicher Begeisterung verfolgt: Unter dem Dach kann er auf einem Display täglich ablesen, wie viel Strom seine Anlage produziert und wie viel er selbst verbraucht. Die aufwendige Solartechnik funktionierte allerdings nicht von Anfang an reibungslos. Als störanfällig erwiesen sich ausgerechnet die Wechselrichter der Solarstromanlage. Sie sind die Herzstücke der Anlage, die den gewonnenen Gleichstrom vor der Einspeisung ins öffentliche Netz zunächst in Wechselstrom umwandeln müssen. „Von fünf Wechselrichtern hier und in der Nachbarschaft waren im ersten Jahr bereits drei defekt“, weiß Schnürer. Weil die Eigentümer das zunächst nicht bemerkten, produzierten die Solaranlagen einige Zeit nur sehr wenig Strom. Inzwischen soll das Problem behoben sein, der Hersteller der Wechselrichter kontrolliert diese regelmäßig per Fernwartung.

Dass Regenwasser für die Bewässerung des Gartens genutzt wird, Kühlschränke, Herde oder Waschmaschinen mit dem derzeit niedrigsten Stromverbrauch eingebaut sind und Energiesparlampen für Helligkeit sorgen, ist in der Solarsiedlung selbstverständlich. Doch für das besondere Lebensgefühl im Alltag spielen neben der Technik auch noch die verwendeten Baumaterialien eine wichtige Rolle. Viel helles Holz ohne chemischen Holzschutz, Farben und Lacke ohne Lösungsmittel, der Verzicht auf PVC bei Wasser- und Elektroleitungen. „Uns gefällt, dass die Wände und Böden auch im Winter so angenehm warm sind, dass niemand mehr kalte Füße hat“, sagt Köhler. Schnürer ist sogar sicher, dass das Wohnklima in den Häusern dazu führte, dass sein Asthma sich so gebessert hat, dass er mittlerweile kein Cortison mehr benötigt. Trotz der vielen Stärken sind Passiv- oder gar Plusenergiehäuser in Deutschland immer noch Ausnahmeerscheinungen. Von rund 17 Millionen Gebäuden, die in Deutschland stehen, wurden drei Viertel vor dem Jahr 1977 errichtet, bevor die erste Wärmeschutzverordnung in Kraft trat. Diese Oldtimer aus Stein und Beton sind wahre Energieschleudern. Sie verheizen bis zu 50 Liter Heizöl pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche. Die durchschnittliche deutsche Ölheizung konsumiert immerhin rund 16 Liter. Ein Niedrigenergiehaus, seit der Energiesparverordnung 2002 Standard für Neubauten, wendet dafür nur noch sieben Liter auf. Passivhäuser kommen im Jahr mit nur noch 1,5 Litern Heizöl pro Quadratmeter aus. Dennoch gibt es in Deutschland, der Schweiz und Österreich derzeit gerade einmal 6000 klimafreundliche Passivhäuser. Ein Grund sind die Zusatzkosten für die Spartechnik. Schnürer zahlte für sein energetisch noch günstigeres Plusenergiehaus in der Freiburger Solarsiedlung umgerechnet rund 3200 Euro pro Quadratmeter Wohnraum. Ein Haus konventioneller Bauart wäre zwischen 10 und 15 Prozent billiger gewesen. Doch der Mehrpreis rechne sich, hält Architekt Disch entgegen. So stünden den monatlichen Nebenkosten von durchschnittlich 100 Euro Erlöse aus dem Stromverkauf von derzeit 300 Euro gegenüber. Disch: „So werden aus Nebenkosten Nebeneinnahmen.“

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