Helikopter Wettrennen um den Hubschrauber der Zukunft

Bisher begrenzte die Aerodynamik die Höchstgeschwindigkeit von Hubschrauern. Sikorsky und Eurocopter überlisten nun die Physik und kämpfen um den Geschwindigkeitsrekord.

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Ein Helikopter vom Typ S-76 Quelle: dpa/dpaweb

Die Idee vom Hubschrauber ist einfach und bestechend: Er startet und landet senkrecht, er kann in der Luft auf der Stelle stehen – und langsam fliegen. Doch die Militärs, seit Jahrzehnten weltweit die wichtigsten Kunden der Hubschrauberbauer und Treiber der technologischen Entwicklung, wollen den Alleskönner: Der Helikopter soll künftig auch sehr schnell fliegen können.

Dummerweise kommt der Fantasie aber die Aerodynamik in die Quere. Aus physikalischen Gründen liegt die Helikopter-Höchstgeschwindigkeit bei etwa 350 km/h. So galt es lange als ehernes Gesetz. Nun aber haben innerhalb weniger Tage zwei große Hersteller im Hubschraubermarkt gezeigt, wie man die Grenzen der Physik umgehen kann.

Kaum mehr als ein Phantom

Am 15. September stellte Sikorsky aus dem US-Bundesstaat Connecticut mit dem spektakulären Demonstrationsgerät X2 einen Weltrekord auf: 435 km/h. Wenige Tage später wurde eine Mitteilung von Eurocopter verbreitet, einer Tochter des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS: Am 6. September (also neun Tage vor dem Sikorsky-Rekord!) habe man mit den Testflügen eines neuen "Hochgeschwindigkeits-Hybrid-Hubschraubers" begonnen.

Boshafterweise hat Eurocopter seinen schnellen Heli "X3" getauft. Das Fluggerät ist bisher kaum mehr als ein Phantom. Es gibt zwar Fotos und Videoaufnahmen, aber von seiner Flugtüchtigkeit weiß man bislang nur, dass es schon auf der Stelle schweben kann. Dereinst soll der X3 aber "über 400 km/h" schaffen.

Um die Physik zu überlisten, rütteln die Ingenieure an den bekannten Grundprinzipien des Hubschrauberflugs: Der liegende Hauptrotor hebt das Gerät durch schnelle Drehung in die Höhe (Auftrieb). Werden seine Rotorblätter entsprechend schräg gestellt, erhält die Maschine darüber hinaus Vortrieb. Der kleine, vertikal stehende Heckrotor sorgt lediglich dafür, dass das Chassis sich nicht seinerseits unkontrollierbar um die Achse des Hauptrotors dreht.

In diesem Grundprinzip sind auch gleich alle Einschränkungen begründet: Was die Helikopter, verglichen mit "Starrflügelflugzeugen", langsam macht, ist das aeromechanische Geschehen an den Spitzen der Rotorblätter. Ein drehendes Rotorblatt dreht sich auf der einen Seite mit und auf der anderen entgegen der Flugrichtung. Dabei kämpft es auf der einen Seite gegen den Fahrtwind, während es ihn auf der gegenüberliegenden Seite im Rücken hat.

In der Drehung nach vorn saust die Blattspitze mit 600 km/h und mehr durch die Luft, dazu addiert sich der Fahrtwind – es kommt zum bekannten lärmenden Überschallgeknatter der Hubschrauber. Dabei steigt der Luftwiderstand derart dramatisch an, dass an weitere Beschleunigung nicht mehr zu denken ist. Unangenehme Effekte hat auch das Zurückdrehen des Rotorblatts Richtung Heck: Dann droht der stall – der berüchtigte Strömungsabriss. Schlimmstenfalls kann dann das Fluggerät abstürzen, auf jeden Fall wird es aber schwer steuerbar. Die Faustregel unter Helikopterbauern lautet: Nur eine Rotorblattspitzengeschwindigkeit von maximal 63 Prozent der Schallgeschwindigkeit ist aerodynamisch sinnvoll und fürs Material noch erträglich.

Ein Hubschrauber vom Typ X3 Quelle: dapd

Der Hersteller Sikorsky hat nun, um diese Effekte auszugleichen, seinem X2 einen zweiten, gegenläufigen Hauptrotor spendiert. Diese Technik an sich ist nicht neu, sie wurde bereits in russischen Kampfhubschraubern verbaut. Um die Blattspitzen beider Rotoren im Vorwärtsflug aus dem Überschallbereich herauszuhalten, übernimmt ein zusätzlicher, senkrecht montierter Propeller am Heck einen Teil der Vortriebsarbeit.

Eurocopter geht noch einen Schritt weiter und baut eine Art Flugzeug-Hubschrauber-Hybrid: Der X3 hat kleine Tragflächen, die Auftrieb erzeugen und so dem Rotor beim Schleppen des Eigengewichts helfen. An diesen Tragflächen sitzen zwei Propeller für die schnelle Vorwärtsbewegung. Alle diese Maßnahmen dienen einzig dazu, die Rotorblattspitzen-Geschwindigkeit unter den magischen 63 Prozent von Mach 1 zu halten.

Schnelle Helikopter sind bisher immer gescheitert

Ob aus den amerikanischen und europäischen Vorführmaschinen einmal marktfähige Produkte werden, steht in den Sternen. Die Versuche, einen Helikopter schnell zu machen, sind bisher immer gescheitert. Legendär ist der Bo-46 des Ottobrunner Hubschrauberherstellers Bölkow, der in den sechziger Jahren die Rotorblätter einzeln knicken und somit "verkürzen" konnte.

Über ein Demonstrationsgerät kam der Bo-46 aber nicht hinaus. Am erfolgreichsten war noch der V-22 Osprey von Bell Boeing, den das amerikanische Militär einsetzt und der 565 km/h Spitze schafft. Er hat zwei kippbare Rotoren, die den Senkrechtstart ermöglichen. Zum Vorwärtskommen werden sie in die Position eines Propellerantriebs gekippt. Der Osprey ("Fischadler"), der wie ein besonders hässliches Propellerflugzeug aussieht, gilt deshalb nicht als Hubschrauber. Seine Indienststellung bei den U.S. Marines war übrigens von einer Serie schwerer Abstürze gekennzeichnet, die viele Todesopfer forderten.

Über den Erfolg der schnellen X-Helis wird außer der Technik auch der Preis entscheiden. Ungünstig schlagen hier die zusätzlichen Rotoren zu Buche. Diese erhöhen zudem das Gewicht enorm. Die beiden flotten Demonstratoren jedenfalls tragen gerade mal ihre Besatzung – eine ziemlich exklusive Art des Fliegens. Scherzt man doch in Pilotenkreisen schon über normale langsame Helikopter: "Wenn Gott gewollt hätte, dass wir fliegen, hätte er uns Geld gegeben. Wenn er gewollt hätte, dass wir Hubschrauber fliegen, hätte er uns zehnmal so viel gegeben."

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