Hirnforschung Wie das Gehirn im Alter besser wird

Das Gehirn ist lebenslang dazu fähig, die Effizienz der Zusammenarbeit zwischen seinen Abermilliarden Nervenzellen zu verbessern und zwischen ihnen möglicherweise auch neue Verbindungen aufzubauen. So wird mit zunehmendem Alter die Fähigkeit zu denken und zu lernen nicht unbedingt schlechter, und in mancherlei Hinsicht sogar besser. Vor allem in puncto Konzentration und Ausdauervermögen schneiden ältere Menschen deutlich besser ab als jüngere. Aber wichtig ist: Beim Neuronentraining muss sich genau wie beim Muskeltraining innerhalb einer Übungsstunde eine zentrale Erschöpfung einstellen. Nur so findet effektives Lernen statt.

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Ernst Pöppel - Je älter desto besser

Das Lernen fällt mir heute deutlich leichter als früher. Allerdings habe ich schon immer viel und gerne gelernt. Und wenn man viel lernt, lernt man zu lernen. Und erst im trainierten Zustand ist das Gehirn auch gut vorbereitet auf alle möglichen Herausforderungen – ganz ähnlich wie ein Muskel. Ich habe allerdings festgestellt, dass ich nicht auf Halde oder auf Vorrat lernen kann, sondern immer nur zielorientiert.

Das Lernen nur um des Lernens willen funktioniert nicht. Man lernt immer nur für einen bestimmten Zweck. Sonst wäre das Lernen überflüssig. Und wenn ich keinen vorgegebenen Zweck habe, denke ich mir einen aus. Denn »wer vom Ziel nichts weiß, kann den Weg nicht finden«, besagt ein bekanntes Sprichwort. Das ist auch ein Prinzip des Gehirns, dass es sich nur anstrengt, wenn es einen Sinn dahinter sieht. Aber es gilt ebenfalls: Wer vom Weg nichts weiß, kann das Ziel nicht finden. Das bedeutet: Man muss wissen, dass es den Weg des Lernens gibt, den man auch dann noch beschreiten kann, wenn man alt oder sogar uralt ist.

Wir brauchen Ziele, sonst lernen wir nicht

Als Wissenschaftler, der sich mit dem Gehirn beschäftigt, habe ich natürlich einen gewissen Vorteil. Denn ich weiß, was in jahrelanger Forschungsarbeit entdeckt wurde, nämlich dass es beim zielgerichteten Lernen, das einen innerlich ganz in Anspruch nimmt, zu einer vermehrten Produktion der chemischen Botenstoffe (Neurotransmitter) Dopamin und BDNF (»Brain-derived neurotrophic factor«) kommt. Dies geschieht vor allem in den Arealen, die etwas mit dem Gefühl der Belohnung und der Befriedigung zu tun haben.

Nun könnte man natürlich sagen, und von vielen wird das sogar propagiert, dass durch die Einnahme bestimmter Medikamente, die auf den Botenstoffwechsel des Gehirns einwirken, die Fähigkeit zu lernen und die Freude am Lernen gesteigert würden. Unter dem Schlagwort »Neuro-Enhancement« wird – natürlich nicht offiziell – entsprechend experimentiert: Verschiedene Medikamente, die vor allem gegen Krankheiten wie Narkolepsie oder Hyperaktivität wirken, sollen die Wachheit des Gehirns vergrößern. Ich sehe das aber sehr skeptisch: Denn es kommt nur dann zu einem Ausstoß von glücklich machenden Botenstoffen des Belohnungssystems, wenn man sich ein Ziel gesetzt hat, das man hoch motiviert zu erreichen versucht und schließlich auch erreicht.

Anders gesagt: Ich selbst bin dafür verantwortlich, ob ich diesen Zustand der Beglückung durch Lernen erfahre. Nur wenn ich ein klares Ziel mit hoher Motivation, manchmal mit Inbrunst, erreichen will und weiß, wozu Wissensanreicherung notwendig ist, kommt es in mir zu diesem Zustand der inneren Zufriedenheit. Ich kann das auch deshalb so gut abschätzen, weil ich häufig daran scheitere. Ich merke, wenn ich in meiner Tätigkeit unbefriedigt bleibe, wenn ich ziellos geschäftig und beschäftigt bin, dass sich ein Zustand der Frustration einstellt. Dies ist für mich immer ein klares Signal, mit neuen Zielen jeweils lernend in das Gefüge meines Gehirns einzugreifen und mein Wissen dementsprechend zu erweitern.

Eine innere Bibliothek schaffen

Um den »Muskel« Gehirn zu trainieren, hat es sich für mich so ergeben, Gedichte zu lernen. Natürlich lerne ich sie nicht einfach nur so, sondern verfolge damit ein Ziel: Gedichte haben mich schon immer angesprochen, weil sie voller Bilder sind und einen besonderen Sprachrhythmus besitzen. Nachdem ich mich intensiver mit Lyrik befasst hatte, merkte ich, dass sich in Gedichten meist typische Lebenssituationen widerspiegeln, also Einsamkeit, Enttäuschung, Verlust eines Menschen, Ungewissheit, innere Verletzung, aber auch schöne Gefühle wie Freude, Liebe oder innerer Friede. Gedichte sprechen mich an, wenn ein Dichter mit einer gewissen Ich-Nähe einen Gedanken ausdrückt, mit dem ich mich identifizieren kann. Ich-Nähe bedeutet, dass man innerlich beteiligt ist. Abstraktes Wissen zum Beispiel ist nicht ich-nah, denn man betrachtet es distanziert, es ist ich-fern.

Man kann davon ausgehen, wenn ein Dichter lange um einen bestimmten Ausdruck, eine Sprachrhythmik oder auch nur um einen Reim ringt, dann betreibt er diesen Aufwand nur für solche Botschaften, die ihm auch wichtig sind und daher Ich-Nähe besitzen. Ein solches Gedicht möchte ich dann auswendig können. Ich möchte es in meine innere Welt aufnehmen, um diese damit zu gestalten. So baue ich mir ein inneres Museum auf oder eine innere Bibliothek von verschiedenen Lebenssituationen. Auf diese kann ich dann zugreifen, wenn ich selbst in eine solche Situation hineingerate.

Der innere Bezug zu einem Gedicht stellt sich allerdings nur dann her, wenn ich es laut spreche. Für das Auswendiglernen ist entscheidend, dass ich es nicht nur sinngemäß, sondern Wort für Wort lerne, um auch die Sprachmelodie aufzunehmen. Wenn mir das Wort-für-Wort-Lernen schwerfällt, dann befindet sich vielleicht in der Sprachmelodie ein Fehler. Man kann dann das Lernen natürlich bleiben lassen. Oder der Zeile seine eigene Sprachmelodie aufoktroyieren. Bei mir erwacht an solchen Schwierigkeiten der Ehrgeiz, es trotzdem zu schaffen. Ich lerne dann gegen den Widerstand trotzdem weiter.

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