Hochgeschwindigkeitszüge Siemens und Alstom rasen um Platz eins

Weltweit entstehen in raschem Tempo Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge. Mit neuen Spitzenmodellen rangeln Siemens und Alstom um Platz eins. Auch der Transrapid hat noch eine kleine Chance.

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Deutsche Bahn: ICE der dritten Generation, dpa

Der zweite von links, das ist der erste Triebkopf für den künftigen russischen Hochgeschwindigkeitszug Velaro Rus. In der riesigen Montagehalle des Siemens-Bereichs Bahntechnik verliert er sich beinahe zwischen den vielen S-Bahn-Triebwagen und Doppelstock-Waggons, die ebenfalls hier in Krefeld fertiggestellt werden. Der ganze Stolz der Siemens-Ingenieure aber ist der Velaro, der vom nächsten Jahr an St. Petersburg und Moskau mit einer Spitzengeschwindigkeit von 300 Kilometer pro Stunde verbinden wird. Er trägt ein rotes Lätzchen wie alle russischen Lokomotiven. Rot ist auch der noch verklebte Hasenfänger, wie er Siemens-intern heißt, ein massiver Schieber, der Hindernisse von Gleis räumen soll. Der Wagenkasten ist blau. Nur der elegant geschwungene rote Seitenstreifen ist noch nicht auflackiert.

Der Velaro ist weitgehend identisch mit dem deutschen Bahnkunden bestens vertrauten Spitzenmodell ICE 3. Der neue Name soll die internationale Vermarktung erleichtern und hat diesen Zweck schon erfüllt. „Fast alle Fahrzeuge sind für den Export bestimmt“, sagt Martin Steuger, Leiter der Velaro-Entwicklung. Siemens, lange im Ausland meist zweiter Sieger hinter dem französischen Technologiekonzern Alstom, der den TGV baut, hat gegenüber dem Konkurrenten mächtig aufgeholt. Immer öfter gelingt es den Deutschen, Ausschreibungen zu gewinnen. Rund 160 Aufträge für den bis zu 350 Kilometer pro Stunde schnellen Velaro/ICE 3 hat Siemens schon hereingeholt.

An den russischen Steuerwagen wird gerade letzte Hand angelegt. Aus den Innenwänden, vor allem im Führerhaus, quellen unzählige Kabel für Lautsprecher, Steckdosen und das Unterhaltungsangebot in den Abteilen. Andere werden die Steuerbefehle und die Befunde des bordeigenen Diagnosesystems weiterleiten. Mehr als 100 Kilometer Kabel sind in einem einzigen Zug verlegt. „Der kundenspezifische Aufbau ist bei jedem Velaro unterschiedlich“, sagt Velaro-Rus-Projektleiter Ralf Hermann, und verweist auf die ungewöhnlich dicken Seitenwände, die den russischen Passagier vor besonderer Kälte schützen. „Die technische Basis ist jedoch für alle Hochgeschwindigkeitszüge identisch.“

Gut isolierte Wände hat auch der Velaro E, der seit ein paar Wochen Madrid und Barcelona verbindet. Hier dienen die Matten als Schutz gegen Überhitzung. Auch bei über 40 Grad im Schatten sollen die Passagiere kühle Köpfe behalten. Nach Fahrplan braucht der Zug für die 630 Kilometer lange Strecke zwei Stunden 38 Minuten. Wobei er noch Reserven hat. „Bei der Premierenfahrt waren wir acht Minuten schneller“, sagt Projektleiter Jürgen Model. Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero möchte bis zum Jahr 2010 ein Hochgeschwindigkeitsnetz von 2230 Kilometer Länge aufbauen. „Wir wollen Japan und Frankreich entthronen“, sagt er.

Weltweit wird in Hochgeschwindigkeitszüge derzeit so viel investiert wie noch nie zuvor. Den Geschwindigkeitsbereich jenseits von Tempo 300 dominieren Siemens und Alstom. Der speziell auf japanische Verhältnisse ausgelegte Shinkansen erfüllt nicht die Spezifikationen für den Bahnverkehr, die außerhalb des Inselreichs gelten. Lediglich in China ist eine modifizierte Version in Betrieb. Der kanadische Bahntechnik-Marktführer Bombardier hat sich gerade erst entschlossen, einen eigenen Zug für die Tempo-350-Klasse zu entwickeln. Bisher baut Bombardier nur Triebwagen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 250 Kilometer pro Stunde und liefert Teile für die Hochgeschwindigkeitszüge der Konkurrenz zu.

Energisch treibt auch China den Neubau von Sprintstecken voran. Vor Kurzem haben die Arbeiten an der Verbindung Peking–Shanghai begonnen. Fünf Stunden werden die Züge für die 1312 Kilometer lange Strecke brauchen, die 2013 fertig werden und 20 Milliarden Euro kosten soll. Schon zu den Olympischen Spielen wer- » den die ersten drei Velaros zwischen der Hauptstadt Peking und dem 115 Kilometer entfernten Tianjing verkehren, dem Austragungsort von zwölf Fußballspielen des olympischen Turniers. Die Fahrzeit beträgt weniger als 30 Minuten. Die ersten Testfahrten verliefen nahezu reibungslos.

Insgesamt hat China 60 Velaros bestellt. Während die drei ersten komplett in Krefeld gebaut wurden, wird Siemens für die übrigen 57 Züge nur die Schlüsselkomponenten liefern. Montiert werden die Fahrzeuge vom chinesischen Siemens-Partnerunternehmen Tangshan Locomotive & Rolling Stock Works.

Die neueste Generation der Hochgeschwindigkeitszüge ist technisch völlig überarbeitet worden. In den ersten TGVs und ICEs waren die gewaltigen Motoren in den Triebwagen an der Spitze und am Ende der Züge positioniert. Passagiere hatten dort keinen Platz. Jetzt sind die Antriebe auf verschiedene Achsen verteilt. Das schafft Platz. Der achtteilige Velaro Chn etwa, im Reich der Mitte CRH 3 (China Railway High Speed) genannt, bietet 600 Fahrgästen Platz. Die 14-teiligen ICEs der ersten Generation fassen lediglich 85 Passagiere mehr.

Die verteilte Antriebsleistung erhöht zudem die Kraft, mit der der Zug aus dem Stand auf Touren gebracht wird – im Vergleich zum ICE 2 um ein Drittel. Derart ausgelegte Triebwagen können stärkere Steigungen erklimmen. Der ICE 3, auf dem der Velaro aufbaut, schafft vier statt ein Prozent, was den Bau von Neubaustrecken erleichtert. Weniger Brücken, weniger Tunnel, weniger Erdbewegungen sind nötig.

Während Siemens mit Spanien, China und Russland bereits drei ausländische Kunden für seinen Spitzenzug hat, orderte bisher nur das italienische Privatunternehmen NTV 25 Fahrzeuge des aus dem TGV hervorgegangenen AGV (Automotrice à Grande Vitesse) von Alstom, der elfteilig rund 26 Millionen Euro kostet. Die Züge sind für je 500 Passagiere ausgelegt und sollen von 2011 an von Mailand nach Turin und Neapel sowie von Rom nach Venedig und Bari verkehren.

Der AGV: das neue Quelle: REUTERS

Alstom versucht, Käufern mit diversen Weltrekordfahrten zu imponieren. Während Siemens Höchstgeschwindigkeiten mit Serienzügen austestet, präparieren die Franzosen ihre Renner speziell. Als sie am 3. April 2007 den Geschwindigkeitsrekord auf 574,79 Kilometer pro Stunde schraubten, hatten sie die Antriebsleistung des TGV von 9,3 auf fast 20 Megawatt erhöht. Der Siemens-Rekord liegt bei Tempo 404.

„Reisegeschwindigkeiten von 500 Kilometer pro Stunde sind technisch durchaus machbar“, sagt Siemens-Manager Steuger. » Derzeit allerdings nur zulasten der Wirtschaftlichkeit. Denn oberhalb von Tempo 350 steigt der Luftwiderstand exponentiell an und mit ihm der Energieverbrauch. Künftige Entwicklungen konzentrieren sich darauf, die Windschlüpfigkeit zu erhöhen. „Unser Zug soll wie eine Python über die Schienen gleiten“, nennt Steuger als Ziel. „Da darf nichts rausgucken.“

Alstom baut den AGV schon mit windschnittigen Verkleidungen. Wichtig sei vor allem ein glattes Dach, meint Steuger. Zusätzlich müssen Fallwinde entschärft werden, die zwischen die Waggons stürzen und den Widerstand erhöhen. Auch an den Seiten soll der Hochgeschwindigkeitszug der Zukunft wieder so glatt werden wie der ICE der ersten Generation. Dessen Verkleidungen hielten dem Stress jedoch auf Dauer nicht stand. Bisher haben die Siemens-Ingenieure einen Energieverbrauch von umgerechnet einem Liter Benzin pro 100 Kilometer und Sitzplatz erreicht. Der Airbus 380 kommt auf 3,3 Liter.

Die superschnellen und im Vergleich relativ sparsamen Züge sollen auf Entfernungen bis zu 1000 Kilometer dem Flugzeug Konkurrenz machen. Unter Berücksichtigung der Ein- und Auscheckzeiten in den Flughäfen sind Zugreisende über diese Distanzen etwa gleich schnell am Ziel. „Wir wollen die Flieger aus diesem Markt herausdrängen“, gibt sich Wolfgang Merz kämpferisch, Entwicklungs- und Marketingchef von Thalys. Das gemeinsame Unternehmen der Bahnen Frankreichs und Belgiens – mit Deutschland und Holland als Partnern – bedient die Route Paris–Brüssel–Köln/Amsterdam. Angesichts immer stärker beanspruchter Lufträume über den Metropolen lässt sich der Flugverkehr nicht beliebig ausweiten. Kaliforniens umweltbewusster Gouverneur Arnold Schwarzenegger beispielsweise drängt darauf, seine Hauptstadt Sacramento per Hochgeschwindigkeitsbahn mit San Francisco, Los Angeles und San Diego zu verbinden.

Die neusten Plänen der amerikanischen Verkehrsbehörde sehen vor, landesweit sechs voneinander unabhängige Hochgeschwindigkeitsnetze aufzubauen. Wo es wie in Florida um reine Städteverbindungen geht (Tampa–Orlando–Miami), ohne Anschluss in die Fläche, gibt Siemens-Chef Peter Löscher auch dem Transrapid eine Chance. „Es gibt noch Bedarf für ihn, vor allem zwischen Ballungsräumen in weniger dicht besiedelten Regionen.“ Der Magnetschwebezug kommt mit deutlich weniger Antriebsleistung als schienengebundene Schnellzüge aus, vor allem im Geschwindigkeitsbereich oberhalb von Tempo 350.

China, das als einziges Land über praktische Erfahrungen mit dem Transrapid verfügt, wird beim Ausbau seines Hochgeschwindigkeitsnetzes von derzeit knapp 1000 auf rund 8000 Kilometer dennoch auf diese Technik verzichten. Lediglich die Verlängerung des Flughafen-Transrapids von Shanghai bis Hangzhou ist noch im Gespräch. Besser stehen die Chancen in den reichen Golfstaaten Katar, Abu Dhabi und den Vereinigten Arabischen Emirate, die ihre Hauptstädte mit ultraschnellen Zügen verbinden wollen. Ob Hochhäuser, Flughäfen oder künstliche Inseln: Das Größte und Exklusivste ist dort gerade recht. Und exklusiv ist der Transrapid ohne Zweifel.

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