Hörhilfen Hörgeräte-Miniaturisierung sorgt für Revolution im Ohr

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Entwicklung der Hörgeräte: Quelle: dpa/dpaweb

Bei Rock- und Popkonzerten erreichen Musiker aber leicht über 100 Dezibel, was als Schmerzgrenze fürs Ohr gilt. Sowohl für MP3-Player wie auch für Diskotheken wurde vor einem knappen Jahr von der Europäischen Union eine Obergrenze von 99 Dezibel festgelegt. Europaweit gilt seither auch: 85 Dezibel sind für Orchestermusiker genug. Seither spielen auf Konzerten vermehrt Musiker mit Stöpseln im Ohr.

Tatsächlich gibt es bereits zahllose Musiker mit gravierenden Hörschäden. Betroffen ist beispielsweise Pete Townshend, der Gitarristen der legendären britischen Rockgruppe „The Who“. Der 63-jährige warnt Jugendliche heute vor allzu lautem Musikgenuss und bekennt reuig: „Ich habe unfreiwillig dazu beigetragen, einen Musiktyp zu entwickeln, der das Gehör schädigen kann.“

Macht laute Musik taub? Wie groß der Schaden in einer von Motoren- und Maschinenlärm erfüllten Welt ist, lässt sich epidemiologisch nur sehr schwer fassen. Den Einfluss des Musikkonsums konnte Eckhard Hoffmann, Professor für Hörakustik an der Hochschule Aalen, bisher in seinen Untersuchungen jedenfalls nicht nachweisen. Er leitet die groß angelegte Studie „Wie hört Deutschland?“, die bis zum Ende des Jahres Messdaten von gut 10.000 Menschen verschiedener Altersgruppen zusammen tragen soll. Denn Hoffmann sagt: „Es fehlt einfach an verlässlichen Zahlen.“

Vorerst geht er davon aus, dass Knalltraumen des Innenohrs durch Silvesterböller und direkt ans Ohr gehaltene Spielzeugpistolen größere Schäden anrichten als der von älteren Generationen meist als nervtötend empfundene Musikgenuss der Jugendlichen. So könnte auch bei Altrocker Townshend die eigentliche Ursache seiner Schwerhörigkeit eine Explosion gewesen sein: Als die Gruppe 1967 bei einem Auftritt in der amerikanischen Fernseh-Show „The Smothers Brothers“ wie üblich unter lautem Getöse am Ende die Instrumente zertrümmerte, soll Schlagzeuger Keith Moon seine Basstrommel mit dem dreifachen der sonst üblichen Menge Sprengstoff in die Luft gejagt haben. Just als sie explodierte, beugte sich der davor stehende Townshend zu Boden, um seine Gitarre zu zerlegen. So eine Explosion „kann das Gehör in Sekundenbruchteilen um 50 Jahre altern lassen“, weiß Hörakustiker Hoffmann.

Der Schutz der Ohren vor Dauerbeschallung und lautem Geballer garantiert allerdings noch lange nicht den Erhalt der Hörkraft. Denn gegen die biologische Alterung ist auch das menschliche Ohr nicht gefeit. Ab dem 40. Lebensjahr quittieren die feinen Haarsinneszellen im Innenohr allmählich ihren Dienst: So wie die Haare auf dem Kopf lichter werden, so dünnen auch die Haarsinneszellen im Ohr aus. Denn unser Körper wurde in Jahrmillionen der Evolution nur auf eine Lebensspanne von 30 bis 40 Jahren hin entwickelt. Dass wir heute mithilfe von Arzneimitteln, guter Ernährung, Prothesen oder Herzschrittmachern gut doppelt bis dreimal so alt werden, war von der Natur nicht vorgesehen. So hat das britische Royal National Institute for Deaf People ermittelt, dass 90 Prozent der Briten über 79 Jahre schwerhörig sind.

Nur ein Fünftel der Hörgeschädigten trägt ein Hörgerät

Der offensichtlichste Grund für die Zunahme an Schwerhörigen ist somit das immer höhere Lebensalter, das Menschen erreichen. Allerdings trägt bisher nur ein Fünftel aller Hörgeschädigten ein Hörgerät. Während bei hochgradig Betroffenen gut 70 Prozent Hörhilfen benutzen, werden leichte bis mittelschwere Schäden kaum behandelt. Doch diese Gruppe macht etwa drei Viertel der Schwerhörigen aus.

Dass gerade leichtere Schäden meist unbehandelt bleiben, ist tragisch. Denn in der Zeit des leichten bis mittleren Hörverlusts lassen sich die Schäden noch am besten korrigieren. Zudem gewöhnen sich die Menschen umso besser an Hörhilfen, je geringer der zu korrigierende Schaden ist. Auch den Umgang mit den High-Tech-Geräten erlernt man leichter, je jünger man ist.

Zudem bremsen Hörgeräte das Fortschreiten der Taubheit. Sie können zwar das Absterben der Haarsinneszellen im Innenohr nicht verhindern. So sorgen aber dafür, dass die Bereiche im Gehirn aktiv bleiben, in denen das Gehörte verarbeitet wird – dank der Hörhilfe kommen dort weiterhin akustische Signale an.

Wird eine Hörschwäche dagegen nicht korrigiert, fehlt das Angebot an Hörreizen und damit das Training. Die Arreale im Gehirn, die diese Informationen einmal gespeichert hatten oder für ihre Verarbeitung zuständig waren, werden abgebaut oder übernehmen andere Funktionen.

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