Hörhilfen Hörgeräte-Miniaturisierung sorgt für Revolution im Ohr

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Schulkind mit Hörgerät

Dank der Rechenleistung können Steuerprogramme unangenehme Rückkoppelungen eliminieren und eingehende akustische Signale blitzschnell analysieren: Handelt es sich um eine Gesprächssituation, filtert und verstärkt der Chip gezielt die Frequenzbereiche, in denen Menschen sich unterhalten. Oder hört der Träger Musik? Dann werden entsprechend andere Bereiche verstärkt. Moderne volldigitale Hörgeräte wechseln automatisch zwischen mehreren Hör-Programmen. Kein Wunder, dass 92 Prozent der neu verkauften Geräte dieser Spitzenklasse zuzurechnen ist.

Dabei ist die Konzeption einer solchen Steuerautomatik alles andere als trivial: Schaltet sie zu oft hin und her, ist das für den Hörgeräte-Träger unerträglich. Kommt auf der Autobahn ein Notarztwagen mit Martinshorn angefahren, muss das Programm jedoch blitzschnell reagieren.

Sogar das räumliche Hören ist seit Kurzem mit der sogenannten Binaural-Technik möglich. Der Trick: Die Geräte in linkem und rechtem Ohr funken sich laufend gegenseitig an und informieren sich darüber, welche akustischen Signale sie gerade empfangen. Aus den Laufzeitunterschieden zwischen den Signalen errechnen sie einen Raumklang. Die Rekonstruktion des menschlichen Richtungshören stellte eine besonders knifflige Aufgabe dar: Bei einer durchschnittlichen Kopfbreite von 25 Zentimetern beträgt der Zeitunterschied zwischen dem Eintreffen des Schallsignals an beiden Ohren höchstens 0,75 Millisekunden. Unser Gehör kann aber noch feinste Differenzen von 0,03 Millisekunden unterscheiden.

Die Minirechner rund ums Ohr entwickeln sich so schnell weiter, dass Mittel- und Innenohrimplantate, die mit einer Operation fest im Schädelknochen verankert werden und sich dann nur noch schlecht nachrüsten lassen, immer seltener zum Einsatz kommen. Diese eignen sich vor allem für Menschen mit sehr schweren Hörschäden, aber noch intaktem Hörnerv. Sie werden deshalb auch bei Kindern eingesetzt, die gehörlos oder schwerhörig sind. Nur so haben sie überhaupt eine Chance, das Sprechen zu erlernen.

Wer nichts hört, kann auch nichts lernen

Selbst leichtere Hörprobleme werfen bei Kindern viel gravierendere Probleme auf als bei Erwachsenen: Wer nichts hört, kann auch nichts lernen. Selbst mit Hörgerät haben Kinder es in der Schule schwer: Raschelt ein Banknachbar mit seinen Heften oder tuscheln die Nebensitzer, bekommt das Kind nicht mit, was Lehrer oder Lehrerin gerade sagen. Auch dafür gibt es inzwischen eine technische Lösung: Der Lehrer bekommt ein Mikrofon, das seine Worte per Funk direkt aufs Hörgerät des Kindes überträgt.

Die Kombinationslösungen aus externen Geräten und Hörhilfen sind aber nicht nur für Schüler gedacht. Die neueste Generation von Hörgeräten lässt sich mit einem Zusatzmodul, das um den Hals gehängt wird, auch so erweitern, das drahtlos über den Nahbereichsfunk Bluetooth alle erdenklichen Kommunikationsgeräte mit dem Hörgerät gekoppelt werden können: Vom Handy übers Festnetztelefon bis hin zum MP3-Player, der heimischen Stereo-Anlage oder dem Fernsehen.

Forscher im belgischen Lüttich arbeiten derweil an neuen Ansätzen, um Hörschäden zu heilen: Sie züchten aus Vorläufer- oder Stammzellen neue Sinneshaare oder lassen diese direkt im Ohr mithilfe von Wachstumsfaktoren wieder sprießen. Wenn dieser Ansatz funktioniert, dann ließe sich ein Hörschaden vielleicht in Zukunft ganz einfach mit einer Spritze oder ein paar Pillen beheben.

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