Impfung Pflaster statt Spritze

Im Geschäft mit Impfungen kündigt sich ein Paradigmenwechsel an: Ein neuartiges Pflaster soll das Impfen nicht nur nahezu schmerzfrei, sondern zudem deutlich wirksamer machen.

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Impfung Quelle: dpa

Sie hassen Spritzen? Sie haben Angst vor dem Moment, in dem die Nadel durch Ihre Haut dringt? Die Vorstellung der spitzen Nadel quält viele Menschen so sehr, dass Sie lieber auf den Impfschutz verzichten, als sich pieksen zu lassen.

Damit könnte bald Schluss sein. Denn das Wiener Impfstoffunternehmen Intercell hat eine Technik entwickelt, die ohne Nadeln auskommt: ein Impfpflaster, das die Wirkstoffe über die natürlichen Poren in die Haut abgibt. Die erste Impfung, die Intercell so verabreichen will, schützt vor den Erregern typischer Reisedurchfälle. Die letzte Testphase des weltweit einzigartigen Impfpflasters hat im Oktober 2009 begonnen. Läuft alles nach Plan, kommt es in zwei bis drei Jahren auf den Markt, sagt Intercell-Chef Gerd Zettlmeissl: „Gerade bei einer Reiseimpfung wäre es praktisch, endlich von der Nadel wegzukommen.“

Dieses erste Impfpflaster ist aber nur der Auftakt zu einem Paradigmenwechsel in der Welt der Schutzimpfungen. Denn die Technik eignet sich grundsätzlich für jeden vorbeugenden Impfschutz – sowohl bei bereits bestehenden Impfungen als auch bei neuen Entwicklungen. So schielen auch die großen Pharmaunternehmen nach der schmerzlosen Zukunftstechnik, die zudem noch mehr Wirksamkeit verspricht. Und das 1998 gegründete Unternehmen Intercell, das von Experten als eines der spannendsten unabhängigen Impfstoffunternehmen weltweit bezeichnet wird, hat selbst noch eine Reihe hochinteressanter Impfstoffkandidaten im Programm, die sich verpflastern lassen.

Kooperation mit GlaxoSmithKline

Tatsächlich beschäftigt die Ausgründung der Universität Wien am „Vienna Biocenter“ heute gut 400 Mitarbeiter aus 30 Ländern und ist auch am Kapitalmarkt sehr erfolgreich: Gerade feierte sie ihr fünfjähriges Jubiläum an der Börse, wobei sich der Unternehmenswert seither von damals 181 Millionen auf heute 1,12 Milliarden Euro mehr als versechsfacht hat.

Um die gesamte Impfstoffwelt allerdings zu einem Abschied von der Nadel zu bewegen, reicht die Marktmacht der Wiener noch lange nicht. „Solch eine grundlegend neue Technik in einem Massenmarkt zu etablieren geht nur mit einem starken Partner“, sagt Intercell-Lenker Zettlmeissl.

Kurz vor Weihnachten wurde Intercell mit GlaxoSmith-Kline (GSK) – einem der weltgrößten Impfkonzerne – handelseinig: GSK sicherte sich mit einem 117,6 Millionen Euro schweren Kooperationsabkommen den Zugriff auf das Impfen ohne Nadel. Und Intercell hat einen potenten Partner gefunden, um den weltweit 22 Milliarden US-Dollar großen Impfstoffmarkt auf eine neue Verabreichungstechnik umzustellen. Denn GSK ist mit seinen 25 verschiedenen Vakzinen – vom Sechsfachimpfstoff für Säuglinge und Kinder bis zum Grippeschutz für alte Menschen – in allen Ländern und allen Altersgruppen vertreten.

Schmerzfrei Impfen

Die Manager des Großkonzerns hoffen, dass sich sehr viel mehr Menschen impfen lassen, wenn das Pieksen entfällt. Zwar hegen in den Industrienationen immer mehr Menschen auch ganz grundsätzliche Bedenken gegen das Impfen – vor allem die jüngere Generation, die selbst als Kinder gegen gefährliche Erreger geimpft wurde. Denn wer nicht miterlebt hat, dass Schulkameraden an Masern erblinden, mit Kinderlähmung im Rollstuhl sitzen oder an Wundstarrkrampf sterben, verliert leicht den Blick für die Gefahr, die von vermeintlich harmlosen Kinderkrankheiten ausgeht. Zumal das markerschütternde Geschrei, das viele Kleinkinder beim Impfen veranstalten, viele Eltern beim Abwägen für oder gegen das Impfen beeinflusst. Und auch bei Erwachsenen gibt es neben den krankhaft unter Spritzen-Phobie Leidenden noch all jene, die den Nadelstich zumindest als unangenehm empfinden.

Die neue Pflastertechnik ist dagegen völlig schmerzfrei. Der Arzt raut lediglich die oberste Hornhautschicht auf, damit die Wirkstoffe optimal eindringen können. Dann klebt er das matt durchsichtige Kunststoffpflaster darauf, das etwas größer ist als eine Zwei-Euro-Münze. In seiner Mitte ist der Impfstoff aufgetragen, der nach dem Trocknen mit einem PET-Polyesterfilm beschichtet wurde. Durch diesen Film hindurch wandert die Impfsubstanz in gut sechs Stunden in die Haut – und zwar in deren oberste Schichten.

Eine Patientin beim Arzt. Für viele Versicherte letzte Chance zum Wechsel in den Basistarif Quelle: dpa

Das hat gegenüber der klassischen Spritze einen weiteren Vorteil: Es macht sie wirksamer. Während die Nadel den Impfstoff bis in die Unterhaut oder das Muskelgewebe transportiert, gibt das Pflaster die Substanz in die nur drei Millimeter dicke Haut ab, die Dermis. Wie Forscher seit einigen Jahren erkannt haben, „lässt sich hier ein besonders effektiver Impfschutz erreichen“, sagt Stephan Grabbe, Direktor der Universitäts-Hautklinik Mainz.

Der Grund: In dieser obersten Hautschicht kommen Immunzellen in sehr hoher Konzentration vor. Sie reagieren auf den Impfstoff und produzieren so eine Immunantwort. Zudem ist die Dermis extrem dicht gespickt mit einem Typ von Abwehrzellen, der besonders wichtig ist, um einen effektiven Immunschutz vor einer Ansteckung herzustellen – den dendritischen Zellen. Das ist auch bei älteren Menschen so, deren Immunsystem sonst im Alter eher schwächer wird.

„Die Oberhaut ist unser Schutzmantel gegen die Umwelt, hier ist die Barriere gegen Eindringlinge wie Viren und Bakterien besonders stark“, sagt Grabbe. Er entwickelt zusammen mit Sanofi Aventis MSD, dem zweiten großen Mitspieler auf dem weltweiten Impfstoffmarkt, ebenfalls eine Impfung, die nur in die Oberhaut gelangt, allerdings nicht mit einem Pflaster, sondern mit extrem kurzen Nadeln (siehe WirtschaftsWoche 27/2009).

Absatz und Umsatz steigern

Die Suche nach neuen und effektiven Wegen der Verabreichung von Impfstoffen treibt die gesamte Branche an. Das neue Pflaster könnte mehrere Dinge auf einmal bewirken: Weil der erreichte Impfschutz sehr effektiv ist, ließen sich damit in Zukunft die oft teuer herzustellenden oder in Notfällen knappen Impfstoffe extrem sparsam dosieren. Und weil das Aufkleben des Pflasters kinderleicht ist, könnte sich auf lange Sicht auch der Aufwand beim Impfen erheblich verringern.

Für die erste Generation des Produktes soll der Arzt beide Pflasterimpfungen aufkleben, so Intercell-Chef Zettlmeissl. Doch er hofft: „In der zweiten Generation könnte möglicherweise die erste Impfung vom Arzt und die zweite Impfung vom Impfling selbst vorgenommen werden.“

Gerade bei Reiseimpfungen, die wegen der Nachimpfung meist viele Wochen vor dem eigentlichen Reisetermin begonnen werden müssen, wäre das praktisch: Der Reisende könnte Pflaster Nummer zwei einfach mit ins Reisegepäck stecken und vor Ort aufkleben. Für Impfstoffhersteller wie GSK wäre eine so unkomplizierte Methode mithilfe des Schmerzlos-Pflasters per se hilfreich. Sie soll, so die Hoffnung der Manager, Absatz und Umsatz steigern.

Portfolio an neuen Impfstoffen

Ob das Pflaster auch im breiten Einsatz so reibungslos und gut funktioniert, wie Intercell es jetzt darstellt, bezweifeln manche Forscher allerdings. Tatsächlich gab es schon viele Versuche, Impfstoffe schmerzfrei – etwa mit kurzzeitig sehr hohem Luftdruck – in die Haut zu pusten. Bisher hat sich kein Verfahren bewährt.

Doch selbst wenn das Pflastern nur bei bestimmten Impfungen funktionieren sollte, GSK hat mit dem Intercell-Deal ein weiteres Problem gelöst. Der Konzern hat sein Portfolio an neuen Impfstoffen und Wirkverstärkern gegen Infektionskrankheiten erweitert, die in aller Welt Probleme bereiten: Denn dafür ist Intercell als eine der führenden Ideenschmieden bekannt – und als Kooperationspartner bereits mit Weltkonzernen wie Merck & Co., Novartis, Sanofi und Wyeth verbandelt.

Vielzahl neuer Impfungen im Test

Mit einem vom Mitgründer Alexander von Gabain mitentwickelten Identifikationsprogramm gelingt es den Wienern mit großem Erfolg, Schwachstellen an Viren und Bakterien zu finden. „Hier können neue Impfstoffe ansetzen“, erklärt Eszter Nagy, Chefin der vorklinischen Forschung. Die Impfpflaster-Technik kaufte das Management dagegen erst mit der Übernahme der US-Gründung Iomai im Sommer 2008 dazu.

Einzigartig ist das Portfolio an neuen Impfungen, die Intercell bereits am Menschen testet, etwa gegen Grippe und Tuberkulose. Allein TB fordert pro Jahr 1,6 Millionen Menschenleben weltweit.

Krankenhauskeime bekämpfen

Aber auch gegen die gefürchteten Krankenhauskeime Staphylokokkus aureus und Pseudomonas aeruginosa hat Intercell Impfstoffe in der fortgeschrittenen Entwicklung. Mit diesen Erregern infizieren sich jährlich in Europa und USA etwa vier Millionen Menschen. Das verursacht nicht nur immense Kosten von geschätzten 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Es schreckt Forscher und Ärzte auf der ganzen Welt, denn einige Erreger zeigen sich zunehmend unbeeindruckt von sämtlichen verfügbaren Antibiotika, weil sie sogenannte Resistenzen entwickeln.

Antibiotika oder Impfungen

Während die meisten Unternehmen fieberhaft nach neuen Antibiotika suchen, um die tödlichen Keime in den Griff zu bekommen, baut Intercell auf Impfungen – und ist damit fast konkurrenzlos. „Wenn das funktioniert, wäre es nicht nur ein unternehmerischer Erfolg“, sagt Nagy: „Es wäre die Erfüllung eines Traums für uns Forscher.“

Falls sich die Impfung mit dem Pflaster kombinieren ließe, bekäme sie wohl schon bald jeder Patient bei der Krankenhauseinlieferung auf den Arm geklebt.

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