Kernenergie Atommülllager Asse wird zum strahlenden Grab

Beton und Salzwasser sollen das Atommülllager im Salzstock Asse abdichten. Denn Asse droht bald einzustürzen. Den Ingenieuren läuft die Zeit davon.

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Ein Mitarbeiter der Quelle: dpa

Rumpelnd geht es mit dem Förderkorb 700 Meter in die Tiefe. Der Informationskreis Kernenergie, ein Lobbyverband der deutschen Kerntechnik, präsentiert sein Prunkstück: das Versuchsendlager im Salzstock Asse bei Wolfenbüttel. Hier sollen Risiken und Techniken fürs Einlagern von Atommüll erforscht werden. Im Bus geht es durch gewaltige Salzdome. Dann stehen die Besucher vor einem gewaltigen Berg von 200-Liter-Fässern. Voll mit schwach radioaktivem Abfall, teils von Salz bedeckt. „Hier“, sagt Klaus Kühn, Leiter des Instituts für Tieflagerung an der Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) in München als Betreiber der Asse, „liegen sie sicher.“

Ein gutes Vierteljahrhundert ist die Exkursion in die Unterwelt jetzt her. Das Asse-Experiment basierte auf einem damals geradezu revolutionären Gedanken. Während die USA, Frankreich und Großbritannien, von der Sowjetunion ganz zu schweigen, radioaktive Abfälle unbekümmert ins Meer kippten, dachten die Deutschen schon an die Zukunft. Sie wollten den strahlenden Müll, aus Industrie, Krankenhäusern und kerntechnischen Forschungszentren sowie Kernkraftwerken so entsorgen, dass er Abertausende von Jahren von der Umwelt abgeschnitten ist. In einem Salzstock eben.

Doch der, den die Bundesregierung und ihre Berater 1965 aussuchten und für 700 000 Mark vom Rohstoffkonzern Wintershall kauften, war alles andere als der erhoffte sichere Hort. In den Achtzigerjahren, die Einlagerung des radioaktiven Mülls war längst abgeschlossen, entdeckten die Mitarbeiter erstmals radioaktiv verseuchtes Salzwasser. Trotzdem verschwieg die heute zum Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt mutierte GSF die brisante Entdeckung: Die 126 000 Fässer und Container mit schwach sowie weitere rund 1300 Behälter mit mittel radioaktivem Abfall drohten zur Gefahr zu werden. Auch das Bundesministerium für Forschung und Technologie als Eigner der Asse, geführt vom CDU-Politiker Heinz Riesenhuber, setzte angesichts von Stilllegungskosten von einigen 100 Millionen Mark damals auf Abwarten.

Streit um die Kosten

Dieser ebenso teure wie gefährliche Fehler rächt sich jetzt. Vor zwei Jahren berichtete die „Braunschweiger Zeitung“ erstmals, dass sich in der Asse kontinuierlich größere Mengen strahlenden Salzwassers sammeln. Geologen stellten zudem fest, dass sich der Salzstock verformt und die gewaltigen Salzpfeiler, die die Hallen stützen, beginnen aufzublättern.

Heute ist klar: Das Bergwerk ist einsturzgefährdet. Schon Anfang 2014 könne die Stabilität der Anlage so geschwächt sein, dass es zu Verschiebungen in den geologischen Schichten darüber kommt, warnen Wissenschaftler des Leipziger Instituts für Gebirgsmechanik, die den Asse-Untergrund seit 1996 überwachen. Letztlich führe das zum Einsturz.

In einem immer drängenderen Kampf gegen die Zeit suchen Experten des Bundesamtes für Strahlenschutz in Salzgitter (BfS) – seit 2009 für das Skandallager zuständig – nun nach einer sicheren und umweltverträglichen Lösung für den strahlenden Müll.

Drei Optionen präzisierte BfS-Präsident Wolfram König vor wenigen Tagen in Salzgitter: die Verlagerung des Mülls in tiefere Schichten des Salzstocks, die Stilllegung und Verfüllung des Bergwerks oder die Bergung des Atommülls. Letzteres sei, so König, die „eindeutig bessere Variante“. Nun sollen Experten prüfen, welche Lösung sich noch realisieren lässt. Wer für die Kosten der Sicherung aufkommen soll, ist zwischen Bund, Ländern und Müllproduzenten noch umstritten.

Umbettung der Fässer würde lange dauern

Schon jetzt aber ist klar, dass die Umbettung innerhalb der Asse kaum Chancen hat, weil sie wohl am längsten dauert. Doch auch die von König präferierte Lösung, Umverpackung und Abtransport der radioaktiven Last aus dem Salzstock in andere – tunlichst sicherere – Lagerstätten, scheint nicht mehr realisierbar. Immerhin geht es um rund 47 000 Kubikmeter radioaktiven Müll, die bewegt werden müssen.

Die Behälter müssten ans Tageslicht gebracht und in den oberirdischen Sammelstationen zwischengelagert werden. Dort warten bereits 140 000 Kubikmeter Atommüll auf den Weitertransport. Diese Abfälle werden schon seit 1978 in doppelwandigen Fässern und Containern deponiert, deren betonierte Wände keine Strahlung durchdringen lassen.

Mit etwas gutem Willen, so die Hoffnung der BfS-Experten, wäre in den Sammelstellen noch Platz für die radioaktiven Reste aus der Asse. Bis 2013, wenn das offizielle Atommüll-Endlager für schwach und mittel radioaktive Abfälle im Schacht Konrad fertig ist. Das ehemalige Erzbergwerk in Salzgitter wird für eine Kapazität von 300 000 Tonnen ausgebaut.

Asse Grafik

Allerdings zeichnet sich bereits ab, dass nicht der Platz das entscheidende Problem ist. Königs Strahlenschützern läuft schlicht die Zeit davon. Selbst wenn noch zehn Jahre bis zum Einsturz blieben, die Bergung sofort beginnen und die Fachleute rund um die Uhr an sieben Tagen pro Woche arbeiten würden: Pro Fass blieben den Experten trotzdem gerade einmal unrealistische 40 Minuten, um vor dem Einsturz fertig zu werden.

In dieser Zeit müsste jeder Behälter von einem ferngesteuerten Fahrzeug mit Greifarm gepackt und zu einer sogenannten Konditionierungsanlage gefahren werden, die zunächst in 700 Meter Tiefe errichtet werden müsste. Dort würde der Behälter zerkleinert und samt Inhalt mit gewaltigem Druck zu einem kompakten Paket gepresst.

Endstation sind doppelwandige strahlensichere Behälter, wie sie jetzt schon in den oberirdischen Zwischenlagern stehen. Ist der Container voll, werden die Zwischenräume mit Beton ausgegossen. Schließlich bekommt das Paket einen luftdicht abschließenden Deckel. Erst wenn eine abschließende Messung ergibt, dass der Behälter keine Strahlung abgibt, ist er bereit für den Transport zum Förderkorb.

Zweifel an der Belastbarkeit

Der aber kann wegen seiner geringen Tragfähigkeit allenfalls zwei Fässer gleichzeitig ans Tageslicht befördern. Zudem ist zweifelhaft, ob die Anlage noch Zehntausende Seilfahrten übersteht. Sie ist mehr als 30 Jahre alt. Und schließlich sausen nicht nur Förderkorb und Gegengewicht durch den Schacht: Er transportiert auch Luft in die Tiefen des Bergwerks und nimmt sämtliche Versorgungsleitungen auf. Sicherheitsexperten wie Klaus-Jürgen Brammer von der Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS) in Essen warnen deshalb: „So eine Ein-Schacht-Anlage wäre heute aus Sicherheitsgründen nicht mehr genehmigungsfähig.“

Angesichts der Zeitnot und der technischen Risiken trauert der Entsorgungsexperte Brammer daher den verpassten Chancen der Vergangenheit nach: „Man hätte die Anlage schon in den Achtzigerjahren stilllegen und verfüllen sollen.“ Genau das – Option drei in den BfS-Konzepten – hält der Essener Experte angesichts der aktuellen Probleme für den einzig sinnvollen Ansatz zur Sanierung der Asse und zur Sicherung des dort lagernden Strahlenmülls: Die Abfälle sollen bleiben, wo sie sind – und dort sicher eingeschlossen werden, dass sie für Tausende von Jahren von der Umwelt abgeschottet bleiben. Ob das allerdings überhaupt möglich ist, will inzwischen nicht einmal mehr die Atomlobby versprechen.

Bisher ist das Verfüllen der Asse nur Inhalt eines Notfallplans des BfS, der kurzfristig realisiert werden soll, falls es größere Wassereinbrüche gibt und akute Einsturzgefahr droht. Dann sollen – bei der sogenannten „geordneten Verfüllung“ – die Müllberge mit Sorel-Beton, der keine radioaktiven Strahlen durchlässt, vollständig bedeckt werden. Ein Teil der verbleibenden Hohlräume könnte mit Salz verfüllt werden. Schon jetzt hat das BfS mehr als zwei Millionen Tonnen von einer Halde bei Hannover in die oberhalb der Atommülllagerstätten entstandenen Hohlräume pressen lassen.

Paradoxer Plan

Um die verbleibenden Löcher zu stopfen haben die Wissenschaftler den vermeintlich paradoxen Plan entwickelt, die Anlage ausgerechnet mit Wasser zu fluten. Darin allerdings sollen Natrium-, Kalium- und Magnesiumchlorid bis zur Sättigungsgrenze gelöst sein, jene Salzarten, die in der Asse von Natur aus vorkommen. Sinn der Sache: Derart angereichert kann die Lake kein zusätzliches Salz lösen. Das strahlende Grab wäre abgeschottet – und zwar dichter und dauerhafter, als das mit Beton allein möglich wäre. Der nämlich verliert mit der Zeit an Festigkeit.

Das aber wäre fatal. Immerhin enthält ein Teil von ihnen extrem langlebiges strahlendes Material. Besonders heikel sind bis zu 28 Kilogramm Plutonium sowie Uran. Beides stammt vor allem aus der inzwischen weitgehend abgebauten Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK), in der aus verbrauchten Reaktorbrennelementen die Wertstoffe Uran und Plutonium zurückgewonnen wurden.

Und die lagern – trotz des von ihnen ausgehenden Risikos – geradezu sträflich ungeschützt. So sicher waren sich die -wissenschaftlichen und politischen Väter der Asse, dass das Salz den Müll dauerhaft von der Oberfläche abschotten würde,dass sie mit Plutonium und Uran kontaminierten Müll, vor allem Filtermaterial, ohne Abschirmung in einfachen Behältern einlagerten. Die Filter sorgten dafür, dass die WAK keine radioaktiven Partikel an die Umwelt abgab.

Dass das Bergwerk irgendwann „absaufen“ würde, wie es im Fachjargon heißt, war den Verantwortlichen wohl schon vor gut 30 Jahren klar. Nur hofften sie, dass dabei kein radioaktiver Abfall aus gut 700 Meter Tiefe an die Oberfläche gespült werde und das Salz als Abschirmung schon reiche.

Heute ist man da schlauer. Was die Experten allerdings in 30 Jahren von der Lagerung in Beton und Salzwasser halten werden, ist noch völlig offen.

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