Klimaforschung "Wir müssen die Herausforderung durch die Skeptiker annehmen"

Hans von Storch gehört zu den Klimaforschern, die auch mit der eigenen Zunft kritisch ins Gericht gehen. Im Interview spricht der Direktor des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum über den Umgang mit Klimaskeptikern - und darüber, wie sich der Mensch an den Klimawandel anpassen muss.

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Hans von Storch will mehr Vertrauen in die Klimafoschung aufbauen. Quelle: handelsblatt.com

Herr von Storch, Rekordhitze im Juli in Deutschland, zuvor Überschwemmungen in Osteuropa, Kälteeinbruch in Südamerika nach einem extrem heißen Sommer, Überflutungen in China nach gravierender Dürre: Ist das eine zufällige Häufung von Wetterextremen, die von den Medien einfach aufmerksam registriert werden, oder deuten sich schon Folgen der Erderwärmung an?

Die Medien sind sicherlich aufmerksamer, weil sich das Interesse der Öffentlichkeit an Wettermeldungen gesteigert hat. Als Forscher müssen wir aber aufpassen, denn ein Einzelereignis macht noch nicht das Klima aus: Es ist völlig belanglos. Klima ist vielmehr die Statistik des Wetters, erst lange Beobachtungsreihen lassen entsprechende Aussagen über das Klima zu.

Ein einzelner heißer Sommer bedeutet genauso wenig wie ein einzelner kalter Winter, dass die Erderwärmung bereits durchschlägt oder umgekehrt gestoppt ist - auch wenn die Medien dies vielleicht gerne verknüpfen, weil es sich gut liest. Und leider treten auch immer wieder Aktivisten auf, die extreme Hitze oder Stürme mit dem Klimawandel in Zusammenhang bringen. Anschließend wundern sie sich, wenn die Skeptiker den Spieß umdrehen und auf die gleiche Weise kalte Winter als Beleg gegen die Erderwärmung heranziehen. Das ist eine Verrohung des intellektuellen Niveaus.

Wissenschaftlicher Fakt ist jedenfalls der allgemeine Erwärmungstrend, der gegenwärtig stattfindet - und den kann auch ein Kälteeinbruch in Südamerika oder der letzte kalte Winter in Deutschland nicht umkehren.

Sie mahnen des Öfteren, dass sich der Mensch an Wetterchaos und den Klimawandel anpassen müsse - dies sei ebenso zentral wie die Reduzierung von Treibhausgasen. Ist das auch mit Grund dafür, dass Sie nun als Berichterstatter in die Arbeitsgruppe "Folgen des Klimawandels sowie möglichen Anpassungsstrategien" des Weltklimarats IPCC berufen wurden?

Vielleicht hatte man den Hintergedanken, dass es die Akzeptanz des IPCC in der Öffentlichkeit steigert, wenn jemanden berufen wird, der nicht immer dem Mainstream in der Klimaforscherzunft entspricht. Aber einen konkreten Hinweis darauf habe ich nicht, denn ich wurde in allerletzter Minute für die Gruppe ernannt.

Wer beruft eigentlich die Mitarbeiter am Bericht?

Es gibt verschiedene Einrichtungen, die dem IPCC-Büro personelle Vorschläge machen. In Deutschland sorgt dafür die IPCC-Koordinierungsstelle der Bundesministerien für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für Forschung und Wissenschaft in Bonn. Dort kann man sich auch selbst bewerben, was ich gemacht habe: Ich hatte vorgeschlagen, dass ich gerne in der Arbeitsgruppe 2 "Auswirkungen, Anpassungen und Gefährdung" mitmachen würde. Dort passierten beim letzten Mal die Fehler, und ich würde gerne mithelfen, dass dies so nicht noch einmal geschieht.

Die deutsche Behörde hat etwa 80 Namen gesammelt und diese ans IPCC-Sekretariat in Genf weitergegeben, wo schließlich die Auswahl getroffen wurde. Nach welchen Kriterien dies allerdings vonstatten geht, entzieht sich meiner Kenntnis.

Worin besteht Ihre Hauptaufgabe?

Nach meinem Verständnis soll das vorhandene Wissen für das von mir betreute Fachgebiet gesammelt werden. Wir beschreiben den wissenschaftlichen Konsens, gewähren aber auch Platz für kontrovers diskutierte Fragen der Forschergemeinde. Das wird eine schöne Herausforderung. Das erste Treffen findet im Januar 2011 statt, bis dahin müssen wir auch die ersten Ergebnisse zusammen haben.

Wie transparent ist das Verfahren?

Während meiner ersten Mitarbeit am IPCC-Bericht, beim 3. Sachstandsbericht von 2001, lief das Verfahren in der Arbeitsgruppe 1 sehr ordentlich und sehr offen ab.

Das IPCC geriet stark in die Kritik, weil es Entwicklungen dramatisiert hat. Wie können derartige Fehler vermieden werden und wie soll die Qualitätskontrolle aussehen?

Wir werden darauf achten, dass zumindest uns ordentlich auf die Finger geguckt wird. Und wir müssen sehr viel Vorsicht im Umgang mit "grauem" Material walten lassen: In meinen Augen gelten nur wissenschaftlich legitimierte Publikationen, die nach strengen wissenschaftlichen Kriterien erstellt wurden, als zulässiges Material für den Bericht. Sie dürfen keinesfalls von einer Interessensgruppe kommen - etwa Rückversicherern, der Braunkohleindustrie oder Umweltgruppen.

Sie spielen damit auch auf eine Studie an, in der der WWF die Zerstörung Amazoniens durch den Klimawandel ansprach und die in den letzten IPCC-Bericht einfloss?

Dem WWF mache ich da keinerlei Vorwürfe: Er ist eine Interessensgruppe, die ihr Anliegen vertritt. Das ist ebenso legitim wie andersgeartete Publikationen beispielsweise der Braunkohleindustrie.

Man darf aber natürlich nicht behaupten, dass diese Studien neutrale wissenschaftliche Arbeiten seien, die man zur Basis einer ebenfalls neutralen wissenschaftlichen Einschätzung macht. Diesen Fehler hat ausschließlich der IPCC gemacht, nicht der WWF.

Kann es ein Extrakapitel geben, in die Studien von Interessengruppen einfließen?

Ich wäre damit nicht einverstanden. In der Arbeitsgruppe 2 wäre der Einsatz von Material von Verbänden ohnehin nicht erforderlich, da genügend wissenschaftliche Forschungsbeiträge vorliegen.

Was passiert mit kritischen Stimmen aus der wissenschaftlichen Gemeinde? Im Zuge der Affäre um die gehackten Mails aus der Climate Research Unit der University of East Anglia hatten ja einige Forscher moniert, dass ihre Publikationen ausgebremst worden sein sollen.

Wir müssen zwischen zwei Formen des "Gate Keeping" unterscheiden. Im Falle der Climate Research Unit wurde angeblich oder tatsächlich versucht, dass Artikel, die der gängigen Meinung widersprechen, überhaupt publiziert werden. Damit hätte man sicherstellen können, dass manche Ergebnisse nicht in den IPCC-Bericht einfließen.

Im IPCC-Bericht selbst müssen jedenfalls auch Minderheitsmeinungen dargestellt werden. Wir müssen festlegen, worüber Konsens herrscht und wo konträre Ansichten auftreten. Diese gilt es dann ohne Wertung herauszuarbeiten.

Wie können Sie politische Einflussnahme verhindern?

Einflussnahme findet auf der Ebene des Kapitelschreibens eigentlich kaum statt. Während meiner Mitarbeit am dritten Sachstandsbericht wurden wir allerdings direkt vom Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 1 aufgefordert, konkrete Aussagen über die Folgen des Klimawandels für bestimmte Regionen zu treffen. Das haben wir kollektiv abgelehnt, da wir dies damals mangels einer soliden Wissensgrundlage nicht konnten.

Ein Bericht für politische Entscheider muss vielleicht bisweilen zugespitzt formuliert werden: Ist das nicht eine Gratwanderung zwischen dem was eigentlich wissenschaftlich exakt ist und dem, was Politiker eher verstehen?

Eine Zuspitzung durch die Wissenschaftler ist für Politiker meines Erachtens nicht erforderlich. Die Zuspitzung findet wohl erst später statt, wenn die Entscheidungsträger dieses Thema an ihre eigentliche Klientel weitergeben wollen. Die Politiker, mit denen ich bislang zu tun hatte, verstehen sehr gut, um was es bei der Klimaforschung geht - gerade auch, was Fragen zur Anpassung anbelangt. Ich bin eigentlich sehr angetan, von der Kompetenz, die ich hier vorfinde.

Im Herbst, nachdem die Fehler und vermeintlichen Fehler im IPCC-Bericht bekannt geworden sind und zudem viele Mails aus der Climate Research Unit der University of East Anglia veröffentlicht wurden, geriet die Klimaforschung ziemlich in die Defensive und unter scharfen Beschuss. Was muss der Forschungszweig nun tun, um wieder an Ansehen zu gewinnen?

Es gibt zwei Strategien - und ich fürchte, diejenige des Aussitzens überwiegt zurzeit. Es wird einfach gesagt, bösartige Medien oder Produzenten fossiler Energien, die viel Geld in Negativkampagnen pumpen, brächten die Klimaforschung zu unrecht in Misskredit. Diese Haltung ist aber nicht nachhaltig. Es wurde in der Vergangenheit von Seiten der Klimaforschung zu sehr mit Katastrophenmeldungen gearbeitet. Diese Blase ist letzten Herbst geplatzt, und das Vertrauen hat enorm gelitten

Wir müssen folglich selbstkritisch analysieren, was damals passiert ist. Nichts darf unter den Teppich gekehrt werden. Manche der Nachprüfungen - etwa in Großbritannien -, ob und was in unserer Arbeit falsch gelaufen ist, entsprachen aber genau dieser Art und Weise. Dadurch ist eine Chance verspielt worden, Vertrauen wieder herzustellen.

Als Zweites müssen wir Wissenschaftler darüber nachdenken, welche Rolle wir spielen wollen: Sind wir Unterstützer eines politischen Prozesses oder Unterstützer einer bestimmten Politik? Ich bin eindeutig für Ersteres, indem wir Sachfragen beantworten. Wir können nicht sagen, dies ist richtig und jenes falsch. Dafür fehlt uns Klimaforschern die Kompetenz: Wir sind Experten auf dem Gebiet der Klimadynamik, aber keine Fachleute für konkurrierende politische oder ethische Probleme. Es muss also eine grundsätzliche Debatte stattfinden, was wir Klimaforscher wollen und was die Gesellschaft von uns erwartet.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass die Klimawissenschaft gegenüber den Skeptikern ins Hintertreffen gerät, weil diese mit sehr plakativen Aussagen gegen die These vom menschengemachten Klimawandel Stellung nehmen?

Das machen umgekehrt die Alarmisten auch - beide Seiten nehmen sich nicht viel. Wir müssen die Herausforderung durch die Skeptiker annehmen und in die Auseinandersetzung mit ihnen einsteigen, um sie zu gewinnen.

Viele Physiker, Chemiker, Ingenieure oder Geologen haben offene Fragen zum Klimawandel, die sie noch nicht beantwortet sehen. Hier ist ein erhebliches und sehr berechtigtes Fragepotenzial vorhanden, auf das leider zu selten eingegangen wird. Stattdessen werden sie teilweise als Skeptiker beschimpft, was sie verärgert. Dadurch bauen wir kein Vertrauen auf. Wir müssen zu einer anständigen Gesprächskultur zurückkommen.

Haben Sie Hoffnung, dass es mit dem nächsten IPCC-Bericht doch noch zu Fortschritten im Klimaschutz kommt, nachdem der Klimagipfel von Kopenhagen grandios gescheitert ist?

Ich erwarte nicht, dass der nächste IPCC-Bericht die Chancen auf ein umfassendes Klimaschutzprogramm entscheidend verbessert. Der letzte Bericht war bereits so deutlich, dass kaum mehr eine Steigerung möglich ist. Das lineare Konzept, dass die Wissenschaft der Politik sagt, was nötig ist, ist gescheitert. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, eine Vereinbarung von oben für 150 Staaten auszuhandeln, an die sich alle halten. Der Wandel muss von unten kommen - durch die Modernisierung von Industrie und Gesellschaft. In diesen Prozess müssen wir Energieeinsparungen unbedingt integrieren, nur so können wir eine Trendwende erreichen.

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