Kopfhörer Knopf im Ohr

Die Ohrstöpsel von iPod & Co. mögen cool aussehen, Top-Sound liefern sie selten. Musikfans schwören auf In-Ear-Kopfhörer, die Mikroboxen für den Gehörgang.

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Plauschige Hörer: Profis Quelle: AP

Leuchtrosa, neongrün oder kreischend gelb strahlen die Poster von den Plakatwänden. Sie zeigen kaum mehr als die Schattenrisse tanzender Menschen und einen feinen weißen Streifen, der sich durchs Bild zum Ohr des Tänzers schlängelt. Dennoch ist die Botschaft klar: Wer Musik mobil genießen will, kommt an Apples iPod-Musikspielern und deren weißen Kopfhörern nicht vorbei. So unumstritten Kultstatus und Klangqualität der handlichen Musikboxen aus dem kalifornischen Cupertino auch sind – die mitgelieferten Ohrstöpsel sind für viele Musikfans eine große Enttäuschung. Zu schlecht ist der Tragekomfort, zu farblos das Klangbild, das die knapp 30 Euro teuren Billiglauscher produzieren. „Apples größte Leistung ist, dass sich die iPods trotz der mitgelieferten Kopfhörer so gut verkaufen“, ätzt der Hi-Fi-Purist und TV-Moderator Cherno Jobatey.

Apple steht keineswegs alleine in der Kritik: „Auch andere Hersteller legen selbst teuren MP3-Spielern Kopfhöre bei, die das Klangpotenzial der Abspielgeräte bei Weitem nicht wiedergeben“, kritisiert Ulrich Wienforth, Soundspezialist beim Fachmagazin „Stereo“. Genervt von flauen Bässen oder verwaschenen Höhen gönnen sich daher immer mehr Musikfans nach dem MP3-Spieler noch einen Satz ebenso hochwertiger wie kompakter Nachrüst-Kopfhörer. Zu Preisen zwischen 50 und 500 Euro. Und oft zum Mehrfachen dessen, was die Mini-Musikboxen selbst kosten.

Die neuen Stars im Gehörgang sind hochwertige Kopfhörer, die nicht mehr auf dem Ohr getragen werden, sondern im Gehörgang stecken. Mit diesen In-Ohr-Kopfhörern traten ursprünglich vor allem Rockstars und Profimusiker auf die Bühne. Über den kleinen Knopf im Ohr konnten sie trotz Beats und Bässen aus den Tausende Watt starken Boxentürmen, die das Publikum während des Konzerts beschallen, den Gesang und die Instrumente hören.

Die Profitechnik macht sich nun auch bei gewöhnlichen Musikfreunden breit. „Trotz der geringen Baugröße liefern gut gemachte In-Ohr-Hörer einen Klang, der sich hinter dem sehr guter Boxen für die heimische Hi-Fi-Anlage nicht verstecken braucht“, loben Experten wie Knut Isberner, Hi-Fi-Experte beim Fachmagazin „HomeVision“. Satte Bässe, transparente Mitten und unverzerrte Höhen – dank der besonderen Bauform und der Position direkt im Ohr kann die erste Garde der Musikstöpsel Klanggenüsse produzieren, für die Soundpuristen im heimischen Wohnzimmer voluminöse Hi-Fi-Boxen installieren.

Kein Wunder, dass der Absatz brummt. Während der Verkauf von MP3-Spielern in den vergangenen drei Jahren um mehr als ein Drittel auf zuletzt 5,9 Millionen Stück gesunken ist, legt die Nachfrage nach Kopfhörern weiter zu. Vor allem die kompakten Mikro-Lautsprecher gewinnen weiter Marktanteil: Von den rund 7,8 Millionen 2008 voraussichtlich verkauften Kopfhörern werden zwei Drittel In-Ear-Modelle sein, sagen Marktforscher voraus.

Dabei „wächst das Segment der höherpreisigen Kopfhörer über 50 Euro derzeit am schnellsten“, freut sich Nils Prösser, Marketingmanager beim Audio-Spezialisten Shure. Bereits ein Zehntel des Kopfhörerumsatzes, bestätigt Tilman Münster, Branchenexperte beim Nürnberger Marktforscher GfK, „entfällt auf hochwertige Modelle für 50 Euro und mehr“.

So rasant wie die Nachfrage wächst das Angebot. Ende März hatte die Branche auf der Fachmesse Prolight+Sound in Frankfurt am Main die jüngste Generation ihrer hochkomplexen Knopfhörer für den Massenmarkt präsentiert. In diesen Tagen kommen die neuen Modelle der Branchengrößen in den Handel – von Beyerdynamic über Bose und Sennheiser bis zu Sony, Shure und UltimateEars. Den Aufwand, den sie bei der Konstruktion ihrer K(n)opfhörer treiben, ist zum Teil immens. So umfasst die Palette der audiophilen Finessen unter anderem nur wenige Millimeter große dynamische Lautsprecherchen, im Slang der Fachleute „Wandler“ oder „Driver“ genannt. Deren Membranen werden von Spulen bewegt, die aus Mikro-Drähten bestehen, feiner als ein menschliches Haar.

Andere Hersteller setzen statt auf extrem geschrumpfte Wandler klassischer Bauart auf sogenannte „Balanced Arma-ture Driver“, ultrakompakte Tonerzeuger, die – in ähnlicher Bauform – auch in Hörgeräten stecken. Diese Komponenten, kaum größer als zwei oder drei Streichholzköpfe, schaltet mancher Hersteller in höherwertigen Ohrhörern sogar zu komplexen Mehrwege-Systemen zusammen.

„Die Hersteller feilen an allen Komponenten“, weiß Axel Grell, der beim niedersächsischen Kopfhörer- und Mikrofonexperten Sennheiser seit 17 Jahren die Kopfhörerentwicklung verantwortet. „Von der Position des Wandlers im Ohrhörer, der Luft vor oder hinter den Lautsprechern, über die Schallführung im Hörer oder dem Einbau spezieller Reflexionskanäle bis hin zu Außenmembranen am Gehäuse; der Klang lässt sich an allen möglichen Stellschrauben optimieren“, so Grell.

Ziel der Ton-Tüftler ist ein im Idealfall linearer Frequenzgang, bei dem alle Töne – von den Bässen im zweistelligen Hertzbereich bis zu den Höhen nahe der menschlichen Hörgrenze bei bis zu 20.000 Hertz – gleich laut klingen.

Vor allem Billigkopfhörer, aber eben auch viele der mit den MP3-Spielern ausgelieferten Modelle haben da eklatante Schwächen. In vielen Fällen habe „die Werksware bestenfalls Alibicharakter“, bringt „HomeVision“-Experte Isberner die Kritik der Sound-Puristen auf den Punkt. „Die Bässe sind dumpf, die Mitten flau und die Höhen fehlen ganz.“ Qualitativ minderwertige Systeme klingen sehr früh verzerrt und unausgewogen.

iPod Werbung: Leuchtrosa, Quelle: AP

Die Dellen im Frequenzgang und der verwaschene Sound verleiten viele Nutzer dazu, ihren MP3-Spieler lauter zu stellen als dem Ohr gut tut – es drohen dadurch dauerhafte Hörschäden. Schließlich „bewirken die Einsteckhörer direkt am Trommelfell verglichen mit Außenohr-Kopfhörern eine Verdoppelung der wahrgenommenen Lautstärke“, mahnen Mediziner wie Hasso von Wendel, Leiter der Abteilung Audiologie an der Uniklinik in Köln.

Hier allerdings können hochwertige In-Ohr-Hörer ihre Stärken ausspielen. „Top-Modelle haben einen so sauberen und ausgewogenen Klang, dass der Zuhörer auch bei geringer Lautstärke schon ein optimales Klangerlebnis hat“, sagt „Stereo“-Tester Wienforth. Mit gezieltem Ton-Tuning versuchen die Hersteller inzwischen sogar, den Klang dem Hörempfinden unterschiedlicher Zielgruppen anzupassen, erläutert Gunter Weidemann, Chef der Kopfhö-rersparte beim Heilbronner Audio-Spezialisten Beyerdynamic: „Fans von Rockmusik etwa greifen lieber zu Modellen mit einer leichten Akzentuierung der Bässe, Liebhaber von Klassik eher zu Kopfhörern mit möglichst linearem Frequenzgang.“

Großer Sound aus winzigen Hörern? Das klingt angesichts der Maße erstklassiger Wohnzimmer-Lautsprecher kaum vorstellbar. Schließlich lassen sich deren voluminöse Bass-Membranen, aber auch die Mittel- und Hochtöner beim besten Willen nicht auf Gehörgang-Größe schrumpfen.

„Brauchen wir auch nicht“, klärt Jürgen Schwörer auf, Produkt-Spezialist beim Kopfhörerhersteller Shure. „Um mit In-Ohr-Kopfhörern direkt am Trommelfell tollen Sound zu erzeugen, benötigt es viel weniger Energie, als wenn wir den gleichen Klang durch normale Boxen in einem freien Raum übertragen wollen.“ Das Geheimnis liegt auch in der Bauform der Klangstöpsel. Weil sie fest im Ohr sitzen und den Gehörgang nach außen hin abdichten, entstehe, so Shure-Spezialist Schwörer, „ein geschlossener Schallraum, in dem bereits geringste Schwingungen der Lautsprechermembranen die für tollen Sound nötigen Luftdruckschwankungen erzeugen – ohne Subwoofer oder Kalotten-Hochtöner in der High-End-Box“.

Voraussetzung für solche Klangerlebnisse ist allerdings, dass der Stöpsel das Ohr tatsächlich komplett von der Außenwelt abschließt. Das hält Beats oder Streicher im Ohr, dagegen lästige Nebengeräusche wie den Handy-Gockel auf dem Nebensitz im Zug oder das Düsenrauschen im Jet draußen. Viele Hersteller legen ihren Mini-Boxen daher ein mehr oder minder umfangreiches Sortiment an Kunststoffpfropfen verschiedener Größe bei, die auf die Plastik-Hörkapseln gesteckt werden. Die Form der Dichtungsstücke reicht von pilzförmigen Gummiläppchen bis zu zylindrischen Gebilden aus Weichschaumstoff, die sich der individuellen Ohrform anpassen.

„Die Auswahl der passenden Aufsätze ist für die Klangqualität entscheidend“, sagt Beyerdynamic-Experte Weidemann. „Fürs optimale Klangerlebnis sollte der Schall von In-Ohr-Hörern möglichst direkt aufs Trommelfell treffen. Sitzt der Hörer nicht richtig, gehen selbst bei hochwertigen Modellen plötzlich der Bass verloren oder die Höhen klingen dumpf.“

Nicht minder entscheidend ist die richtige Wahl des Stopfens für den Tragekomfort. Sound-Puristen schwören hier auf individuell angepasste Kopfhörer, ähnlich den Profimodellen, die Sänger und Musiker bei Konzerten tragen. Solche Einzelanfertigungen bieten Produzenten wie der lange vorwiegend im Profigeschäft aktive US-Hersteller UltimateEars oder der bisher vor allem im Hörgerätebau engagierte Hersteller ReSound mit seiner Realsound-Serie an. Auch Beyerdynamic wird im Mai mit der Hörgeräte-Akustik-Kette Kind eine 180 Euro teure, ohrangepasste Variante seines In-Ear-Hörers DTX 50 auf den Markt bringen.

Bei diesen Teilen wird – vergleichbar der Anpassung eines Hörgerätes – zunächst ein Kunststoffab-druck beider Gehörgänge genommen. Damit wird dann ein individueller Kopfhöreraufsatz gefertigt. 180 Euro zahlt der Musikfan für die exklusiven Einzelstücke von Beyerdynamic, knapp 200 Euro verlangt ReSound für seine Modelle mit einem integrierten Lautsprecher.

Auf der Preisskala gibt es viel Spielraum nach oben. Die individuell angepasste Realsound-Premium-Variante mit integriertem Zwei-Wege-Sound kostet knapp 500 Euro. Diese Preisklasse erreicht sonst nur Shures Spitzenmodell SE530. In die Hörer haben die Entwickler sogar drei Wandler und eine Frequenzweiche integriert. Klar jenseits der Grenze zum Profi-Equipment liegt der gut 1200 Euro teure UE 11 Pro, das handgefertigte Drei-Wege-Top-Modell von Ultimate Ears für eine perfekte Wiedergabe über den kompletten Frequenzbereich zwischen 10 und 16.500 Hertz.

Immerhin – das mag Musikliebhaber mit weniger dicker Geldbörse trösten – ordentlichen Klang gibt’s auch schon für deutlich weniger Geld: Bei Vergleichstests in Fachmagazinen schlugen sich die Standardversion des DTX 50 von Beyerdynamik für 60 Euro, der TriPort I-E von Bose (rund 100 Euro) oder der IE7 von Sennheiser (rund 200 Euro) durchaus wacker. Wegen der unterschiedlichen Auslegung der Modelle „führt an intensivem Probehören ohnehin kein Weg vorbei“, rät „Home-Vision“-Tester Isberner. „Nur so lässt sich die fürs individuelle Hörempfinden optimale Klangcharakteristik finden.“

Vorausgesetzt, der MP3-Player liefert hochwertige Signale. Beyerdynamik-Experte Weidemann rät dringend dazu, vor dem Umwandeln der Musik von der CD in MP3-Dateien in einschlägigen Musikprogrammen wie dem Microsoft Mediaplayer oder dem Realplayer am PC eine Audioqualität von 160, besser noch von 192 Kilobit pro Sekunde einzustellen, um die Dynamik der Aufnahmen nicht zu stark zu beschneiden. Auch das Programm iTunes, das Apple für den iPod entwickelt hat und zusammen mit diesem ausliefert, bietet diese Möglichkeit. Weidemann: „Wo ein mieses Signal reingeht, kommt auch beim besten Kopfhörer nur ein mieser Sound raus.“

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