Lebensmittel So schmeckt die Zukunft

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Saugglocke auf chinesischem Fischtopf

Der Trend zum lokalen Geschmack bereitete den Herstellern von Aromen und Lebensmitteln anfangs große Probleme: Aus Kostengründen versuchten Branchenriesen wie Nestlé Konsumenten in aller Welt einen Einheitsbrei schmackhaft zu machen. Und ihre wichtigsten Zulieferer – die Hersteller von Aromen – machten es genauso: Sie suchten nach dem Universalgeschmack, dem ultimativen sensorischen Kick. Dazu durchforsteten die Geschmacksforscher unter anderem sämtliche Urwälder der Welt und stülpten Glaskolben und Exhauster über alle möglichen tropischen Früchte und Blüten.

Doch die erhofften Erfolge stellten sich nicht ein: Die einheitliche Weltformel des Geschmacks gibt es nicht. Die Forscher mussten erkennen, dass nicht nur die Menschen, sondern auch ihr Geschmack höchst unterschiedlich ist. Stattdessen versuchen sie nun den Suppenküchen dieser Welt ihre regionaltypischen Geheimnisse zu entreißen.

Vom eingefangenen Geschmack bis zu einem für die Lebensmittelherstellung tauglichen Aroma ist es ein weiter Weg. Wenn die Forscher von ihren Reisen zurückkehren in die Labors, fängt die Arbeit erst richtig an. Nun gilt es, die eingefangenen Geschmacksnoten zu analysieren, die Komponenten zu identifizieren und möglichst originalgetreu nachzubauen. Das kann mit natürlichen Aromastoffen gelingen, von denen alle Aromahersteller Sammlungen besitzen. Es kann aber auch sein, dass ein Aroma künstlich im Labor synthetisiert werden muss.

Forscher im Hähnchengrillwagen

Die Exkursionen in die Welt helfen auch, die beste Herstellungstechnik für Aromen zu finden. Denn was die Forscher vor Ort erfahren, geht oft über das sensorische Erlebnis hinaus. Sie lernen, wie in anderen Küchen gekocht wird und mit welchen Zubereitungstechniken die Speisen Geschmack bekommen.

So konnte die Forschergruppe in Mumbai beobachten, wie die Köche im Sardar die Gewürze und Kräuter für das Pav Bhaji zubereiteten: Sie erhitzten Öl in einer flachen Pfanne so lange, bis es zu qualmen anfing. Erst dann warfen sie die Gewürze dazu. „Es breitete sich auf einen Schlag eine Wolke intensiven Dufts aus, die den ganzen Raum erfüllte“, schwärmt Expeditionsteilnehmer Peppet.

Nicht immer müssen die Forscher so weit reisen. Bei Symrise in Holzminden erfüllte ein Hähnchengrillwagen denselben Zweck: Er parkte im Sommer vergangenen Jahres mehrere Wochen lang auf dem Hof des Unternehmens. Tausende Hähnchen wurden dort zu Versuchszwecken auf die unterschiedlichsten Arten gegrillt und gegart – um herauszufinden, welcher Verarbeitungsschritt für welchen Geschmackseffekt sorgt. Dabei ist die Fragestellung ganz ähnlich wie beim populären Paprika-Schnitzel-Disput: Soll man das Fleisch erst anbraten und dann würzen oder zunächst mit Paprika einreiben und dann ins heiße Fett werfen? Das Ergebnis: Das Geschmacksergebnis fällt je nach Reihenfolge ein wenig anders aus.

Während zu Hause jeder sein Schnitzel braten kann, wie es ihm am besten schmeckt, suchen die Aromaprofis nach Verfahren, die stets dasselbe, klar definierte Geschmacksergebnis bringen. Was den Geschmackskompositeuren heute enorm weiterhilft, sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Schmecken und über die Rezeptoren auf der Zunge, die dafür verantwortlich sind. Die Rezeptoren sind die biochemischen Andockstellen für die Geschmacksstoffe. Noch längst sind nicht alle gefunden: Zwar beschrieb der japanische Forscher Kikunae Ikeda schon 1908 die typische Sojasoßen-Geschmacksqualität „umami“ erstmals. Der zugehörige spezielle molekulare Sensor der Zunge für umami aber wurde erst vor wenigen Jahren nachgewiesen. Er wird auch vom Geschmacksverstärker Glutamat aktiviert.

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