Lernen Fitness fürs Gehirn

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Es ist wenig wahrscheinlich, dass hirnstimulierende Pillen diese Anstrengung ersetzen können. Dennoch bauen nach einer Umfrage des renommierten Wissenschaftsmagazins „Nature“ von Anfang dieses Jahres immer mehr Menschen auf die Wirkung der kleinen chemischen Helfer. Von 1400 Befragten in 60 Ländern gab ein Fünftel an, mehr oder weniger regelmäßig die konzentrationsfördernden Mittel Ritalin und Provigil oder angstlösende Betablocker zu schlucken. 60 Prozent der Teilnehmer der Umfrage waren jünger als 35 Jahre. 80 Prozent von ihnen forderten, die Medikamente frei kaufen zu können.

Inwieweit Medikamente, die gegen unterschiedlichste Gehirnerkrankungen entwickelt wurden, sich positiv auf die Gehirnleistung von gesunden Menschen auswirken, ist bisher unzureichend erforscht. Die Einnahme, erst recht die regelmäßige, sollte jedenfalls gut bedacht sein, denn die Pillen haben zum Teil schwere Nebenwirkungen. Sie reichen vom Brechreiz über Halluzinationen bis hin zu Selbstmordgedanken. Sogar der US-Medizin-Nobelpreisträger Eric Kandel, selbst Entwickler von Lernpillen für Gesunde, hat die Forschungsanstrengungen seines Unternehmens Memory Pharmaceuticals inzwischen auf die Behandlung von Hirnerkrankungen wie Alzheimer und Schizophrenie umgelenkt.

Doch die Forschungen gehen weiter. So hat eine Neurologen-Gruppe am Göttinger Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Versuchen mit jungen Mäusen gerade herausgefunden, dass sich mit dem Blutbildungshormon Epo nicht nur die Kondition steigern lässt, sondern auch die Gedächtnisleistung. Bekamen die Tiere drei Wochen lang täglich Epo gespritzt, veränderte sich die Tätigkeit ihrer Nerven im sogenannten Hippocampus: Diese Gehirnregion spielt die zentrale Rolle bei der Übertragung von Wissen aus dem Kurzzeit- in den Langzeitspeicher. Sogar drei Wochen nach Absetzen des Dopingmittels konnten sich die Tiere besser als Artgenossen ohne Epo-Behandlung daran erinnern, dass einem bestimmten Ton ein schmerzhafter Elektroimpuls folgt.

Weniger problematisch als Pillen, aber ähnlich wirkungsvoll ist die Schaffung einer anregenden Lernumgebung. Hilfreich ist dies vor allem, wenn die Sinne voll aufnahmefähig sind. Hirnjogging-Erfinder Lehrl hat bei älteren Menschen beobachtet, dass ihr IQ wieder steigt, wenn sie eine Hörschwäche mithilfe eines Hörgeräts korrigieren. Eine aktuelle Studie der Hochschule Aalen und des Kultusministeriums in Stuttgart mit Grundschülern kommt zum gleichen Ergebnis: Wer nicht richtig hört und sieht, schreibt deutlich schlechtere Noten, berichtet Professor Eckhard Hoffmann von der Fakultät für Optik und Mechatronik. Saubere Ohren scheinen demnach eine nicht zu unterschätzende Größe für den Lernerfolg zu sein.

Starker Einfluss des Hörens

Wie stark der Einfluss gerade des Hörens auf eine gesunde Entwicklung und das Lernen ist, beginnen die Forscher erst zu erkennen. Eher zufällig machten Forscher in Dänemark vor zwei Jahren die Beobachtung, dass autistische Kinder selbstsicherer werden, sich öffnen und sogar Augenkontakt aufnehmen, wenn sie die Stimme ihres Lehrer per Funkübertragung direkt auf ein Hörgerät im Ohr übertragen bekommen – auch wenn sie gar nicht schwerhörig sind.

Eine jüngst abgeschlossene, groß angelegten Studie bestätigt den Effekt. Die Forscher erklären ihn so: Weil autistische Kinder sich sehr schwertun, die auf sie ein prasselnden Sinneseindrücke zu sortieren und zu bewerten, könnte die Verstärkung des Hörens ihnen die Orientierung und Konzentration auf einen Reiz möglicherweise deutlich erleichtern.

Mit allen Sinnen zu lernen, das ist für den schwäbischen Mittelständler Festo aus Esslingen bei Stuttgart kein Schlagwort, sondern Anforderung und Aufgabe zugleich. Der Spezialist für industrielle Automatisierung und Pneumatik engagiert sich zunehmend in der Fortbildung und der Förderung von Nachwuchskräften. Unter dem Namen fabCom hat das Unternehmen, das weltweit fast 13.000 Menschen beschäftigt, eine Initiative gestartet, die es Jugendlichen ermöglicht, an Schulen und in Jugendhäusern Technik anschaulich zu erleben. Dabei sollen die Jugendlichen ihre Ideen in Projekten umsetzen. Festo unterstützt das mit Ausrüstung, Ausbildern und Räumlichkeiten. Speziell für Schulen und Hochschulen hat Festo mit der Cornell-Universität in den USA einen preiswerten Bausatz für einen Rapid-Prototyping-Automaten entwickelt. Er wandelt die am Computer erzeugten Konstruktionsvorlagen in reale Produkte um – aus Silikon, Epoxydharz oder einfach aus Zuckerguss.

Festo arbeitet dabei eng mit Hirn- und Sinnesforschern zusammen und baut deren neueste Erkenntnisse in die Fortbildungsprogramme ein. Mit dem Humanwissenschaftlichen Zentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München und dessen Leiter, dem Hirnforscher Ernst Pöppel, hat Festo den berufsbegleitenden Studiengang „Applied Knowing“ geschaffen. An der Universität Bremen startet in wenigen Wochen der ebenfalls berufsbegleitende Studiengang „Master of Mechatronics“.

Fortbildung hat sich gelohnt

Komplexes Wissen mit Anwendungen zu vernetzen sei das Prinzip dieser Ausbildungsphilosophie, erläutert der zuständige Festo-Manager Hermann Klinger. „Wissen ist ein Produktionsfaktor, den wir unbedingt nutzen müssen.“ Wie dieser Transfer mithilfe neuer Lernmethoden funktionieren, das hat Festo-Mitarbeiter Jürgen Kohlhaas gerade erfahren. Der 36-Jährige studierte Betriebswirt hatte nach sieben Jahren Berufserfahrung im Festo-Projektmanagement den sogenannten Festo-C-Master-Kurs belegt. Der mündete nach knapp drei Jahren in ein Semester an der Fachhochschule Deggendorf. Das endet jetzt mit dem Titel des Master of Business Administration (MBA).

Da die Fallstudien, die Kohlhaas während der drei Jahre lösen musste, allesamt aus seiner realen Arbeitswelt stammten, hat sich die Fortbildung für ihn in zweierlei Hinsicht gelohnt: „Durch die Zusammenarbeit mit den Professoren ist sehr viel Wissen aus der Hochschule direkt in meine tägliche Arbeit eingeflossen, sodass ich heute Projekte noch zielgerichteter und effizienter bearbeite als zuvor. Zugleich trage ich mehr Verantwortung.“

Vielleicht lag es aber auch daran, dass Kohlhaas seit Jahren regelmäßig Gehirnschmalz fördernde Knobelspiele und Sudokus löst. Auf jeden Fall hat er nun beste Chancen, auf der Karriereleiter eine Stufe höher zu klettern. Das wurde Fortbildungsmanager Klinger schon signalisiert.

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