Lernen Fitness fürs Gehirn

Wer in Beruf und Schule vorn bleiben will, muss sein Wissen täglich erweitern. Neueste Forschungen zeigen, mit welchen Strategien das Lernen leicht fällt – und zudem Spaß macht.

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Schichtaufnahmen eines Quelle: dpa

Vor wenigen Wochen gab mein Telefon im Büro den Geist auf. Das Ersatzmodell war so modern, dass sich die gespeicherten Nummern und Adressen nicht ins neue Gerät übertragen ließen. Fast wäre ich deshalb ausgeflippt, dann erkannte ich das Ärgernis als Chance: Statt alle Nummern neu einzutippen, würden meine kleinen grauen Zellen jetzt wieder selbst arbeiten und zumindest einige der Nummern auswendig lernen – Hirnjogging pur!

Das ist ganz im Sinne des japanischen Hirnforschers Ryuta Kawashima. „Wir überlassen dem Computer immer mehr Arbeit und vernachlässigen damit unsere Denkfunktionen“, warnt er vor geistiger Trägheit. Seine Schlussfolgerung: „Das Gehirn muss genauso trainiert werden wie Muskeln und Ausdauer.“

An der Tohoku-Universität hat Kawashima Rechenaufgaben, Wortspiele, Sudokus und Konzentrationsübungen entwickelt, die den Denkapparat in Schwung bringen. So entstand 2005 das Spiel „Dr. Kawashimas Gehirnjogging“ für den japanischen Spielekonsolen-Hersteller Nintendo. Es hat sich mitsamt der zweiten Version weltweit bereits über 24 Millionen mal verkauft. Seit wenigen Tagen bietet Namco Bandai Games diesen Knobeltrainer auch als Download-Version für Mobiltelefone an.

Wer es weniger japanisch mag, der ist mit dem Gratis-Hirnjogging-Spiel auf der Titelseite dieser WirtschaftsWoche mindestens ebenso gut bedient. Abonnenten können die CD „Gehirnjogging“ telefonisch unter 0211/887-3645 oder per Fax unter 0211/887-3647 kostenlos anfordern. Bernard Croisile, Neuropsychologe aus Lyon und Gründer des Unternehmens Scientific Brain Training (SBT), das die Spiele unter der Marke „Happy neuron“ entwickelt und hierzulande über Emme Deutschland vertreibt, ist überzeugt: „Regelmäßiges Kognitionstraining erhöht die Lernkapazität des Gehirns.“ Und er verspricht: „Die Übungen fordern heraus und bringen Spaß.“

Mit der Explosion des Wissens und den steigenden Anforderungen in Schule und Beruf wächst die Sehnsucht nach Hilfen beim täglichen Lernen. Wie lässt sich das Pensum sinnvoll aufteilen, und wie prägen sich die vielen neuen Fakten und Informationen am schnellsten ein? Neueste Erkenntnisse der Hirnforschung zeigen, mit welchen Strategien dies jungen wie älteren Menschen am leichtesten fällt. Seit die Wissenschaftler mit Aufnahmen aus dem Kernspin- oder Positronen-Emissions-Tomografen dem Gehirn quasi beim Denken zuschauen können, gewinnen sie immer genauere Einblicke in die Vorgänge beim Lernen, Erinnern und Denken. Auf dieser Grundlage entstehen Handlungsempfehlungen, die das Lernen schon in naher Zukunft revolutionieren könnten.

Eine Art Nürnberger Trichter für das Wissen ist zwar nicht in Sicht: Auch in Zukunft wird es ohne eigene Anstrengung und Konzentration nicht gehen. Aber die neuen Techniken machen das Lernen leichter und effektiver. Das tröstet. Denn es ist eine riesige Menge Stoff, die das Gehirn täglich neu aufnehmen muss – und die Anforderungen an die grauen Zellen werden im Berufsalltag eher noch steigen als geringer werden: Manager wollen die Chancen einer neuer Technologie für ihr Unternehmen verstehen, Büroangestellte die neue Textverarbeitungssoftware, Arbeiter die neue Maschinensteuerung. Viel Zeit bleibt ihnen dafür meist nicht. Doch nur wer dem heutigen Lerntempo gewachsen ist, wahrt seine Chancen auf der Karriereleiter.

Kniffe für eine bessere Merkstrategie

Ein Weg zum Erfolg, so propagieren es nicht nur Nintendo und Kawashima, ist das sogenannte Gehirnjogging, das systematische Training des Denkapparats. Der heute an der Universitätsklinik Erlangen forschende Psychologe Siegfried Lehrl behauptet das schon seit 26 Jahren. Er hat die Gripsgymnastik quasi erfunden und, um ihre Verbreitung zu fördern, 1989 die Gesellschaft für Gehirntraining gegründet. Mit speziellen Messverfahren stellte Lehrl im Labor fest, dass der Intelligenzquotient des Menschen ohne ständiges Gehirntraining merklich sinkt.

Die Lernforscherin Elsbeth Stern, Professorin an der Eidgenössisch- Technischen Hochschule Zürich sieht das zwar differenzierter, sagt aber auch: „Wenn ich ein Altersheim leiten müsste, würde ich dort Hirnjogging anbieten.“ Dass diese Art, die grauen Zellen auf Trab zu bringen, Wirkung zeigt, haben Forscher des Centers of Desease Control and Prevention in Des Moines im US-Bundesstaat Iowa nachgewiesen. Trainierten Alzheimer-Patienten ihr Gehirn im Frühstadium der Erkrankungen mit Spielen von Happy neuron, schritt der Gedächtnisverlust langsamer voran und die kognitiven Fähigkeiten der Spieler verbesserten sich sogar für eine gewisse Zeit wieder.

Wachsender Beliebtheit erfreuen sich auch sogenannte Mnemotechniken, berichtet die mehrfache Junioren-Gedächtnisweltmeisterin Christiane Stenger. Mit ihren Tipps zu witzigen und leicht zu merkenden Gedankenbrücken tingelt sie derzeit durch Deutschland. An Schulen verrät sie Jugendlichen Kniffe zum Auswendiglernen. Und Unternehmen buchen die 20-jährige Politik-Studentin für Führungskräfte-Seminare. „Sie müssen sich ja nicht wie ich 2000 Binärzahlen merken können, aber sollten sehr wohl die Namen wichtiger Geschäftspartner immer parat haben“, beschreibt Stenger das Ziel der Kurse.

Unstrittig ist, dass Gedächtnistraining und Hirnjogging den Geist wie einen Muskel geschmeidig halten. Schlauer machen sie hingegen nach Ansicht des Magdeburger Hirnforschers und Medizin-Professors Henning Scheich nicht: „Das ist in keiner Weise erwiesen.“ Für Scheich stellen sie eine Art Lockerungsübung dar, die den Kopf aufnahmebereiter für neues Wissen macht. Sehr viel effektiver noch findet er Übungen, die zugleich das strategische Lösen von kniffeligen Problemen trainieren. Da seien Computerspiele Büchern überlegen. Denn die meisten böten immer neue Spielvarianten, und der Schwierigkeitsgrad könne systematisch gesteigert werden.

Gerade bei Aufgaben, die das räumliche Vorstellungs- und Denkvermögen fördern, seien die dreidimensionalen und farblichen Darstellungsmöglichkeiten am Computer dem Lernen mit Papier um Längen voraus. „Ich spiele zuweilen selber ganz gerne am Computer.“ Scheichs Rat: „Sobald es Routine wird, sollte man das Spiel wechseln, denn dann trainiert man nur noch das Reaktionstempo, lernt aber nichts mehr dazu.“

Die zwölf Spiele auf der WirtschaftsWoche-CD erfüllen solch höchste Ansprüche. Sie bietet die Möglichkeit, Gedächtnis, Logik, Sprache, Konzentration und visuelles Vorstellungsvermögen in verschiedenen Schwierigkeitsstufen zu trainieren. Ein wissenschaftlich fundiertes Programm wertet die Ergebnisse aus und gibt Lernempfehlungen. Zu einem kleinen Einstein macht die CD indes niemanden, schränkt Entwickler Croisile ein, der das Neuropsychologielabor des Neurologischen Krankenhauses in Lyon leitet: „Das Gehirn lässt sich nicht in gleicher Weise wie ein Muskel trainieren. Gerade deshalb müssen die Übungen so vielfältig sein und mindestens dreimal pro Woche wiederholt werden.“

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