Medizin Die Babymacher

Neue Techniken verhelfen immer älteren Paaren zu einem Baby. Forscher arbeiten nun daran, die Familienplanung vom Alter unabhängig zu machen. Das Geschäft boomt.

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Eine Frau mit ihrer Tochter Quelle: dpa

Der sechs Monate alte Leonhard ist ein Geschenk – nicht gerade des Himmels, eher der modernen Fruchtbarkeitsmedizin. Denn Leonhard wurde im Labor gezeugt. Auf natürliche Weise hätten seine Eltern Sabine, 35 Jahre, und Dirk Wasmer, 39, aus Ravensburg keine Kinder bekommen können. Denn Dirks Hoden produzieren zu wenig Spermien. Erst nachdem Ärzte aus Dirks wenigen die besten Samenzellen ausgewählt und im Labor mit Eizellen seiner Frau Sabine verschmolzen hatten, wurden die beiden Juristen zu glücklichen Eltern.

Und ein weiterer Kniff war nötig, um den Kinderwunsch der Wasmers wahr werden zu lassen. Weil ihn die deutschen Gesetze jedoch nicht erlauben, suchten sie eine Klinik in Salzburg auf. In Deutschland dürfen nach einer Hormonstimulation der Frau zwar bis zu zehn Eizellen gewonnen und befruchtet werden. Doch nur drei dürfen eingesetzt werden, bevor sie sich zu Embryonen entwickeln, indem nach 36 bis 48 Stunden die Kerne von Ei- und Samenzellen verschmelzen. In Österreich werden dagegen alle Eizellen befruchtet und fünf Tage lang im Labor kultiviert. Die fittesten Embryonen werden ausgewählt und in die mütterliche Gebärmutter eingesetzt. Das erhöht die Chance auf eine Schwangerschaft deutlich. So waren bei Sabine Wasmer von acht Embryonen am fünften Tag noch zwei am Leben. Beide wurden eingesetzt. Aus einer entwickelte sich Leonhard.

Die Wasmers sind Teil eines Massenphänomens: Immer später entscheiden sich die Deutschen für Kinder. Doch oft macht die Natur den Paaren einen Strich durch die Rechnung. Damit der Kinderwunsch trotzdem noch in Erfüllung gehen kann, wählen jedes Jahr Tausende Paare eine künstliche Befruchtung: Noch nie waren Menschen, die sich dafür entschieden, so alt wie 2008: Die Frauen waren laut Zahlen des Deutschen In-Vitro-Fertilisations-Registers im Schnitt 34,7 und Männer 37,8 Jahre alt.

Kinder auch nach einer Chemotherapie möglich

Und das Durchschnittsalter der Eltern wird in den nächsten Jahren vermutlich noch steigen: Aber neue und verfeinerte Techniken sorgen dafür, dass es auch bei älteren Paaren noch mit dem Wunschkind klappt. Zugleich arbeiten Forscher daran, eines der größten Probleme werdender Eltern zu lösen: Sie wollen das Kinderkriegen ganz unabhängig vom Alter planbar machen.

All das macht die Fruchtbarkeitsmedizin zu einem großen Geschäft. Experten schätzen, dass damit schon heute alleine in Deutschland rund 80 Millionen Euro umgesetzt werden. Kein Wunder: Schon ein einzelner Behandlungszyklus kostet zwischen 2000 und 4000 Euro.

Diese Geschäftsaussichten treiben die Innovationsgeschwindigkeit einer ohnehin boomenden Branche. Schon heute feiern Reproduktionsmediziner alle paar Monate spektakuläre Erfolge. Erst vor wenigen Wochen haben Ärzte aus Düsseldorf eindrucksvoll bewiesen: Selbst Frauen, denen eine Chemotherapie bevorsteht, können nach der Krebsbehandlung Kinder bekommen. Das war vor einigen Jahren noch völlig undenkbar. Erst die Fortschritte bei der Tumorbehandlung führten dazu, dass mehr Frauen ihre Erkrankungen überlebten und den Wunsch nach eigenen Kindern hatten.

Eine davon ist die 35-jährige Düsseldorferin Anna Kern. Sie ist die erste Deutsche, die nach überstandener Chemotherapie und Krebserkrankung ein gesundes Kind zur Welt brachte. 15 Monate nach ihrer letzten Chemotherapie wurden ihr zwei befruchtete Eizellen eingepflanzt, die vor der Behandlung entnommen worden waren. Eine davon entwickelte sich zu einem gesunden Baby, das im vergangenen Sommer geboren wurde.

Die Hand eines Säuglings Quelle: dpa/dpaweb

Auch ohne Tumorbehandlungen kann heute etwa jedes sechste Paar auf natürliche Weise keine Kinder bekommen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben verklebten Eileitern bei der Frau oder zu geringer Spermienproduktion beim Mann ist das Alter für Frauen der Fruchtbarkeitskiller Nummer eins. Die Zahlen sprechen für sich: Bei der Geburt haben Mädchen etwa eine Million Eizellen. Die Zahl sinkt auf etwa 300 000 bis zum Beginn der Pubertät und rund 25 000 im Alter von 37 Jahren. Mit 51 Jahren sind nur noch rund 1000 übrig.

Bleibt der Kinderwunsch unerfüllt, gibt es eine Reihe medizinischer Lösungen: Hormonbehandlung der Frau, um die Reifung möglichst vieler Eizellen auf einmal zu stimulieren, künstliche Befruchtung im Labor, Samen- und Eizellenspende und Leihmütter. Doch das deutsche Embryonenschutzgesetz zieht den 120 privaten und universitären Instituten einen engen Rahmen. Ihre Arbeit wird strenger reguliert als die der Kollegen in den Nachbarländern. So dürfen nur drei Embryonen in der Petrischale geschaffen werden, jedoch ohne sie vorher auf Erbkrankheiten oder Eigenschaften wie Geschlecht oder Augenfarbe zu untersuchen.

Trotz dieser Einschränkungen kamen 2008 in Deutschland knapp 13 000 Kinder nach einer Reagenzglasbefruchtung auf die Welt. 2009 waren es nach einer Schätzung von Wolfgang Dahncke vom Deutschen In-Vitro-Fertilisations-Register 13 200 Kinder. Ein Grund für den Erfolg: Weil der Embryo in Deutschland für jegliche Untersuchungen tabu ist, haben Forscher sich darauf konzentriert, die Eizellen ganz genau zu checken.

Fehlversuche als Belastung

Der Biologe Markus Montag ist einer von denen, die für den Kindersegen sorgen. Er weiß, was Eizellen brauchen. Montag leitet das Labor für künstliche Befruchtung der Universitätsklinik Bonn, wo Eizellen gewonnen und untersucht werden. Montag wählt von Frauen, die schwanger werden wollen, die besten aus. Er ist eine Art Eizellen-TÜV. Je älter eine Frau ist, desto wichtiger ist es, die Eizellen sorgfältig zu untersuchen. Dazu lenkt Montag den Lichtstrahl eines Stereo-Mikroskops auf eine einzelne Eizelle. Deren Hülle, die sogenannte Glashaut, wirft das Licht zurück. Aus der Art und Weise, wie das Licht reflektiert wird, kann Montag ermitteln, wie die Hülle aufgebaut ist. Ein spezielles Computer-Programm setzt die Messwerte in farbige Bilder um. Je regelmäßiger die Hülle ist, desto größer die Chance, dass aus der Eizelle nach der Befruchtung ein Embryo entsteht.

Eizellen weisen zudem viel häufiger genetische Fehler auf als die männlichen Spermien. Deshalb setzt hier die Polkörperdiagnostik ein, die die Gene der weiblichen Eizelle untersucht. Dazu saugt der Arzt unter dem Mikroskop mit einer Glaspipette die Polkörperchen der Eizelle ab. Diese enthalten überzählige Chromosomen, die bei der Reifeteilung entstehen, der letzten Teilung auf dem Weg zur Keimzelle: Hier wird der doppelte Chromosomensatz auf den einfachen Satz reduziert. An der Zahl der übrig gebliebenen Chromosomen in den Polkörperchen lässt sich ablesen, ob bei der Verteilung des Erbguts Fehler passiert sind, ob etwa ein Chromosom doppelt in der Keimzelle ist. Das führt nach der Verschmelzung mit der Samenzelle zu Trisomien, Verdreifachungen von Chromosomen, die oft zu schwersten Behinderungen führen. So lassen sich mit der Polkörperuntersuchung die Schwangerschaftsraten zwar nicht direkt erhöhen. Doch die Zahl der Fehlversuche reduziert sich – und die sind für jede Frau mit Kinderwunsch eine enorme Belastung.

wege zum wunschkind

Trotz modernster Technik nisten sich aber noch immer nur knapp 40 Prozent der künstlich erzeugten Embryonen in der Gebärmutter ein. Hans van der Ven schätzt, dass rund 70 Prozent dieser Fehlgeburten genetische Ursachen wie überzählige oder fehlende Chromosomen haben. Van der Ven leitet die Abteilung für Reproduktionsmedizin an der Universitätsklinik Bonn, die mit Düsseldorf zu den beiden größten Fachkliniken in Deutschland zählt.

Der Embryo selbst darf genetisch in Deutschland nicht untersucht werden. Hierzulande steht alles, was an Selektion und Zuchtwahl erinnert, seit dem Nazi-Terror gegen alles „unwerte“ Leben unter besonderer Beobachtung. Für Ärzte wie Jan-Steffen Krüssel, den Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Chef des Kinderwunschzentrums der Universität Düsseldorf, ist es dennoch ein Unding, dass Frauen die Tortur, die Fehlversuche bedeuten, zugemutet wird: „Das ist 60 Jahre her, doch keiner will in Deutschland an dieses Thema ran.“ Auch das neue Gendiagnostik-Gesetz, das vor wenigen Tagen in Kraft getreten ist, ändert daran nichts. Alle Hoffnungen, die Menschen mit Fruchtbarkeitsproblemen daran geknüpft hatten, wurden enttäuscht. Noch immer sind vorgeburtliche Untersuchungen des Embryos außerhalb des Mutterleibs verboten. Der Effekt der Vogel-Strauß-Politik laut Krüssel: „Weit über tausend deutsche Paare reisen jedes Jahr zur Fruchtbarkeitsbehandlung ins Ausland.“ Und es würden ständig mehr.

In Belgien oder Tschechien etwa werden nicht nur Eizellen getestet, sondern auch Embryonen. Große Kliniken und private Institute überprüfen jedes Jahr Tausende Embryonen, so hat beispielsweise der österreichische Reproduktionsmediziner Herbert Zech eine ganze Reihe von Kliniken in Österreich und den Nachbarländern aufgebaut. Hält er bei Paaren, in deren Familie etwa schwere Erbkrankheiten vorkommen, eine genetische Untersuchung wie die sogenannte Prä-Implantationsdiagnostik (PID) für notwendig, kann er seine Patienten auf die eigene Klinik in Tschechien verweisen, die diese Untersuchung machen darf.

Viele Techniken sind in Deutschland verboten

Alle Kliniken im Ausland locken ganz gezielt deutsche Paare mit dieser Technik an und verweisen auf ihre höheren Erfolgsraten. Diese werden international inzwischen nicht mehr in Form von erfolgreichen Schwangerschaften gemessen, sondern den tatsächlich geborenen Kindern, der sogenannten „Baby-Take-Home--Rate“.

Van der Ven kennt diese Zahlen. Skeptisch blickt er aus seinem Zimmer auf dem Bonner Venusberg, in dem sich gerade jede Menge Fachliteratur auf Stuhl, Schreibtisch und Regal türmt. Doch nach einer Weile des Überlegens sagt er: „Die Methode bringt keinen Fortschritt für die Frauen.“ Nach neuesten Untersuchungen schadet die PID dem Embryo sogar, er nistet sich nicht so gut ein und entwickelt sich schlechter.

Der Bonner Mediziner glaubt stattdessen, dass ein Blick durch das Mikroskop mehr aussagt. Damit lässt sich beurteilen, ob der Embryo gleichmäßig geformt ist und im richtigen Tempo wächst. Dieser sogenannte morphologische Test ist in skandinavischen Ländern, Belgien und Österreich längst Routine – in Deutschland ist er jedoch verboten.

Verboten ist hier auch der sogenannte Blastozystentransfer, dem die Wasmers in Österreich ihr Kind verdanken. Normalerweise werden die Embryonen, nachdem im Labor Eizelle und Spermium zusammengeführt wurden, am zweiten Tag nach der Eizellentnahme in die Gebärmutter verpflanzt. Beim Blastozystentransfer, wie er beispielsweise in Österreich praktiziert wird, werden Embryonen so lange in Nährlösungen kultiviert, bis sie etwa am fünften Tag das Stadium erlangen, an dem sie auch natürlicherweise die Gebärmutter erreichen und sich dort einnisten würden.

Eine Mutter mit ihrem drei Quelle: dpa

Wie empfindlich die Technik ist, zeigt eine weitere Beobachtung: Verbleiben die Embryonen zu lange in der Petrischale, nisten sie sich weniger gut in die Gebärmutter ein. „Am besten wäre wohl eine Auswahl am dritten Tag“, sagt van der Ven. Aber die Selektion der Embryonen, die die besten Chancen haben, sich einzunisten, ist in Deutschland verboten.

Mehr wissenschaftliche Klarheit, wann der ideale Zeitpunkt für das Verpflanzen ist, wäre vor allem im Interesse der Frauen nötig: „Ich hoffe darauf, dass man im Ausland wissenschaftlich untersucht, ob der Blastozystentransfer die Chancen auf eine Schwangerschaft wirklich erhöht. Aber bislang hat das leider niemand gemacht“, bedauert van der Ven.

Weil der Blastozystentransfer in Deutschland nicht erlaubt ist, stürzen sich die Ärzte und Forscher auf andere Methoden und feilen umso akribischer daran, dass diese den Patienten wirklich zu einem Kind verhelfen. Dazu gehört auch das sogenannte Assisted Hatching, die Schlüpfhilfe für die Eizelle. Denn die weibliche Eizelle ist von einer festen Schutzhülle umgeben, der Glashaut, die der Biologe Montag schon zu Beginn ihrer Entwicklung untersucht. Direkt nach der Befruchtung teilen sich die Zellen des Embyros innerhalb dieser Hülle. Doch ab etwa dem fünften Tag wird es zu eng für den Embryo, er muss die Hülle verlassen, um sich in der Gebärmutterwand einzunisten. Um ihm das Schlüpfen zu erleichtern, ritzt Montag die Hülle mit einem Laser ganz vorsichtig an. Ritzt er zu wenig, kann der Embryo steckenbleiben, ritzt er zu viel, verlässt der Embryo die Hülle zu früh und würde sich in beiden Fällen nicht einnisten.

Lange war umstritten, ob die Methode wirklich häufiger zu Schwangerschaften führt. Vor wenigen Wochen jedoch hat eine Analyse der Cochrane Collaboration, die die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten und damit den Erfolg medizinischer Therapien misst, die Vorteile des Hatchings belegt.

Jetzt gehen Forscher in Brüssel, Kopenhagen und Erlangen noch einen Schritt weiter. Mit den bei krebskranken Frauen erprobten Techniken eröffnen sich neue Chancen: beispielsweise das Einfrieren von Eierstockgewebe. Jede Frau verfügt über rund Hundert Eizellen pro Quadratmillimeter Eierstock. Dieses Fruchtbarkeitsdepot anzuzapfen und damit die biologische Uhr der Frau zu stoppen ist das Ziel von Ärzten und Forschern weltweit.

Dazu wird der Frau in einem weitgehend schmerzfreien Eingriff mit einer dünnen Hohlnadel Eierstockgewebe entnommen. Im Vergleich zur normalerweise üblichen Hormonkur gilt die Methode als verträglicher. Das Ziel: Jahre später wird das Eierstockgewebe aufgetaut, die Eizellen reifen im Labor heran, werden mit Spermien befruchtet und in die Gebärmutter verpflanzt.

Klappt die Methode, hätte das weitreichende Auswirkungen auf Lebens- und Kinderplanung: Eine 25-jährige Frau entscheidet, dass sie noch 10 oder 15 Jahre arbeiten und erst mit 40 Kinder bekommen will. Dann wäre sie aber nicht mehr sehr fruchtbar, also lässt sie mit 25 Jahren ihr Eierstockgewebe einfrieren – damit sie mit 40 schwanger werden kann.

Noch ist das Verfahren eher experimentell. „Zunächst geht es darum, die Technik zu perfektionieren“, zügelt van der Ven die Visionen. Er schätzt, dass es weltweit nur etwa zehn Schwangerschaften gibt, beispielsweise in den USA, Dänemark und Belgien, die aus gefrorenem Eierstockgewebe zustande kamen. Doch die Chance, die biologische Uhr ohne größere gesundheitliche Risiken zu stoppen und die Kinder dann zu zeugen, wenn der richtige Partner da ist und es ins Leben passt, ist verlockend.

Noch einen Schritt weiter gehen Forscher wie Professor Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Schöler lässt im Labor aus Nervenstammzellen sogenannte pluripotente Stammzellen entstehen. Diese Alleskönner entwicklen sich zu jedem gewünschten Körpergewebe, auch zu Eizellen und Spermien. „Bei der Maus können wir das schon“, sagt Schöler. Das weist die Richtung in die schöne neue Welt der Fortpflanzungsmedizin.

In Zukunft könnte der Vorgang der Reifung der Keimzellen, die Befruchtung und das Heranwachsen des Embryos komplett im Labor stattfinden. Das Alter der Eltern würde zumindest für den Embryo keine negativen gesundheitlichen Auswirkungen mehr haben. 

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